„Ich arbeite mit Menschen, die sich zeigen wollen.“

Foto: Der Unfertige © 2013 Jan SoldatGod Help the Girl, Generation 2014, GBR 2013, REGIE: Stuart Murdoch, Olly Alexander, Emily Browning, Hannah Murray © FINDLAY PRODUCTIONS LIMITED 2012
God Help the Girl, Generation 2014, GBR 2013, REGIE: Stuart Murdoch, Olly Alexander, Emily Browning, Hannah Murray © FINDLAY PRODUCTIONS LIMITED 2012

Endlich habe ich es geschafft, mich mit Jan Soldat zu treffen. Dieser junge Regisseur feiert in wenigen Tagen seinen dreißigsten Geburtstag und kommenden Monat schließt er sein Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam ab. Er drehte unter anderem die Kurzfilme „Der Unfertige“, den ich auf dem Weg nach Berlin im Zug gesehen habe und der für den Preis der deutschen Filmkritik nominiert ist, und „Zucht und Ordnung“, der auch im Rahmen des Prager Filmfestes lief.

Jan, auf der Berlinale sitzt du in der Jury der Festival-Sektion Generation14+. Wie ist es dazu gekommen?

Vor zwei Jahren habe ich einen halbstündigen Film für ein junges Publikum gedreht, der auf der Berlinale im Wettbewerb der Sektion Generation lief. Und jetzt wurde ich angesprochen, ob ich als Juror zur Verfügung stehe. Also eigentlich ging das ganz einfach.

Wer sind die anderen Jurymitglieder?

Wir sind zu dritt, eine Regisseurin aus Costa Rica (Laura Astorga Carrera, Anm.), die in der Sektion Generation im vergangenen Jahr mit einem langen Film vertreten war, Bird Runningwater, der Leiter des Programms „Native American and Indigenous“ beim Sundance Institute und ich. Wir sind also eine relativ gemischte Gruppe.

Wie viele Preise vergibt die Jury?

Zwei – einen Preis für den besten Film und einen für den besten Kurzfilm.

Wodurch zeichnen sich die Filme aus, die man im Rahmen der Sektion sehen kann?

Das sind Filme für ein junges Publikum zwischen 14 und 16 Jahren. Sie beschäftigen sich mit der Lebenswirklichkeit junger Menschen. Oft geht es darin um Unwissenheit, fehlende Bereitschaft etwas zu tun, Probleme beim Kennenlernen oder in der Familie... Aber das sind keine Filme, die ausschließlich ein junges Publikum ansprechen, in den Vorführungen sitzen Leute verschiedenen Alters, auch wenn die meisten wohl etwa 18 bis 20 Jahre alt sind.

In die Jury bist du also Dank eines Jugendfilms gekommen, deine anderen Filme sind aber eher für Erwachsene. Kann man sagen, dass dein Thema Homosexualität ist? Wie bist zu zu dem Thema gekommen?

Eigentlich nicht. Ich nehme meine Filme nicht als queer oder homosexuell wahr, was auch immer das bedeutet. Ich denke nicht, dass das mein „Thema“ ist. Bestimmt interessiert mich Sexualität, das ist an sich schon ein großes Thema. Oder auch Themen wie Nähe oder Körperlichkeit. Aber im Fall von Klaus (dem Protagonisten des Films Der Unfertige, Anm.) handelt es sich für mich um einen Film über Freiheit und die Grenze zwischen Macht und Kontrolle. Wichtig ist auch die Sehnsucht, geliebt zu werden... Mir geht es immer um irgendeine Energie. Wahrscheinlich weißt du das nicht, aber ich habe versucht ähnliche Filme auch mit heterosexuellen Paaren zu drehen. Der Versuch blieb aber immer irgendwo stecken und die Hauptsache blieb verborgen. Mir gefällt es, wenn die Figuren offen über ihre Sexualität reden – das spielt für mich im Film eine Schlüsselrolle. Aber du hast recht, dass ich viel mit homosexuellen Figuren arbeite, eben weil die sich stärker öffnen können. Der Film handelt gerade von dieser Offenheit. Es gefällt mir, wenn die Protagonisten ehrlich und ohne Scham sind.

Deine Filme erscheinen mir persönlich in erster Linie sehr menschlich. Aber wie reagiert das Publikum?

Zum Film Zucht und Ordnung war die Resonanz eigentlich durchweg positiv. Im Fall von Geliebt war es krass, da muss der Zuschauer wirklich an seine Grenzen gehen – der Film handelt von Sex mit Tieren. Es gab viele ablehnende Reaktionen, denn das ist ein sensibles Thema. Jetzt bei Klaus reagiert das Publikum vor allem erstaunt. Das hat aber auch viel mit der Länge des Films zu tun, er dauert fast 50 Minuten. Der Zuschauer fühlt den Protagonisten geradezu, er kann ihn berühren...

Wie suchst du die Figuren, mit denen du dann drehst?

Hauptsächlich im Internet. Ich durchforste Foren, in denen sich Homosexuelle treffen, um Sexpartner zu finden. Sebstverständlich nicht immer nur für Sex, aber... ich habe ihnen geschrieben, wir haben uns getroffen, und eigentlich hatte ich schon von Anfang an die Kamera mit dabei – ich wollte eine Distanz gewinnen. Es ging mir nicht um ein persönliches Kennenlernen. Natürlich musste ich immer relativ lange suchen, bis ich jemanden gefunden hatte, den ich gerne zeigen wollte. Oft musste ich auch aufhören mit Leuten zu drehen, weil sie sich nicht mehr zeigen wollten. Ein bestimmter Grad von Exhibitionismus ist für mich im Dokumentarfilm die Voraussetzung. Ich muss mit Leuten arbeiten, die sich zeigen wollen, ich will sie ganz sicher nicht ausquetschen.

Wenn ich mich nicht irre, hast du bislang nur Kurzfilme gedreht. Würdest du dich als Kurzfilmregisseur bezeichnen, oder ist das für dich eine Art Vorstufe, bis du einen abendfüllenden Film drehst?

Eine Vorstufe ist das ganz sicher nicht, aber als reinen Kurzfilmregisseur würde ich mich auch nicht bezeichnen. Ich suche mir Themen aus, zu denen ich arbeiten will, und die Themen geben dann selbst die Länge des Films vor. Klaus zum Beispiel wollte ich mich so intensiv wie möglich widmen, aber mir war klar, dass die endgültige Version nicht mehr als 50 Minuten lang sein könnte. Das wäre zu viel gewesen.
Tomáš Fridrich
bloggt für jádu von der Berlinale.

Copyright: Goethe-Institut Tschechien, Online-Redaktion
Februar 2014

    Tomáš Fridrich arbeitet in der Programmabteilung des Goethe-Instituts Prag. Neben der Zusammenarbeit mit tschechischen Festivals beschäftigt er sich vor allem mit der Dramaturgie und Organisation des Festivals deutschsprachiger Filme Das Filmfest. Wenn er nicht im Kino sitzt, finden sie ihn wahrscheinlich außerhalb der Stadt, meistens im Gebirge.