Der tschechische Comic, eine wechselhafte Geschichte

Der tschechische Comic zeichnet sich durch eine Besonderheit aus – er entwickelte sich in Wellen. Auch in den kreativen Jahren von 1989 bis 2010 wechselten sich Perioden, in denen man Comics auf tschechischen Ladentischen vergebens suchte, mit solchen üppiger publizistischer Aktivität ab.

Die Zeiten des Booms in der Geschichte des tschechischen Comics werden jeweils als Generationen bezeichnet. Sie benennen spezifische Gruppen von Künstlern, die den Comic in dieser Periode prägten, ebenso wie die jeweiligen Leser, die diese neuen Strömungen dankbar annahmen. All dies geschah vor dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlich-wirtschaftlichen Situation.

Jede Generation trägt eine Bezeichnung, die auf eine spezifische Charakteristik oder Dominante in den Werken der Künstler zurückzuführen ist. Die älteste ist die Generation des Zweiten Weltkriegs, deren Mitglieder vor 1939 und nach 1945 aktiv waren. Es folgte die Generation von Kája Saudek und den Wiederauflagen der Serie Rychlé šípy (Schnelle Pfeile) aus den Jahren 1967-70. Danach kamen die Generation der Jugendzeitschrift ABC in den 1970er und 1980er Jahren, die Generation der Comic-Zeitschrift Kometa (bekannt auch als Generation 89), die Generation des Comic-Magazins CREW (1997-2000) und schließlich die gegenwärtige Generation, in der sich der tschechische Markt zum ersten Mal frei entwickeln, sich selbst reflektiert und im Austausch mit den weiterentwickelten Szenen in den westlichen Ländern steht. In dieser Generation lässt sich keine einheitliche Charakteristik erkennen, weshalb sie auch als postmodern bezeichnet wird.

Symbol der Generation 89 - Kometa

Doch nur in einigen dieser Generationen haben sich auch tschechische Autoren aktiv an deren Herausbildung beteiligt. Heute ist dies zum Glück anders und die aktuelle Szene wird von der sogenannten Generation Null beeinflusst, die ihre Publikationstätigkeit im Jahre 2000 aufnahm. Beginnen wir jedoch mit der Generation Kometa, die die moderne Ära des tschechischen Comics einläutete.

Zum Flaggschiff des Comic-Booms nach der Wende wurde die erste tschechische Comiczeitschrift Kometa, die bereits zu Beginn des Jahres 1989 das erste Mal erschien. Die nach Comics lechzenden Leser – insbesondere die 10- bis 16-Jährigen – ermöglichten bereits nach drei Ausgaben einen Anstieg der Auflagenzahlen auf den damaligen Standard von 300.000 Stück. Kometa verwendete anfangs vor allem die Geschichten von Jaroslav Foglar, interpretiert von Kája Saudek und Marko Čermák. Im Laufe der Zeit kamen neue Autoren hinzu, die später zur Basis der Generation 89 wurden.

Als erstes ist hier Jan Štěpánek mit seiner berühmten und beliebten Adaptation von Karel Čapeks Der Války s Mloky (Krieg mit den Molchen) zu nennen. Es folgten Jiří Grbavčic, der die abenteuerlichen Geschichten von A. V. Frič oder von Otakar Batlička zeichnerisch gestaltete, dann Lubomír Hlavsa mit dem legendären Hard-Science-Fiction Hlídač na Ikaru (Der Wächter auf dem Ikarus) oder der herausragende Vladimír Hanuš mit dem Action-Science-Fiction Dračí let (Drachenflug) nach einer Vorlage von Ladislav Kubic. Der wohl bekannteste Autor dieser Zeit veröffentlichte unter dem Pseudonym Bof (Bohumil Fencl). Er ist Schöpfer des verspielten, szenisch brillanten Manhattener Detektivs Mr. Sweet – eine gut durchdachte und sehr unterhaltsame Parodie auf Gangsterfilme. Der Maler Karel Zeman erschuf mit seinem Comic Stopou velkého Tora (Auf den Spuren des großen Tor) das erste klassische Fantasy-Comic á la Conan der Barbar. Sein Debüt feierte in Kometa auch der später weitaus bekanntere Štěpán Mareš, Zeichner des politische Comicstrips Zelený Raoul (Der Grüne Raoul).

Schwerpunkt der Zeitschrift waren jedoch Kinderabenteuer und Science-Fiction. Einflussreich waren dabei besonders Roman-Adaptionen, wie dies für die Anfangsphase einer Comic-Szene typisch ist. Eine Ausnahme ist die fast experimentell anmutende Serie O bozích a lidech (Von Göttern und Menschen) von Bohumil Gemrot, der antike Fabeln sehr frei und mit scharfem Humor adaptierte.

In 36 Ausgaben mit ausschließlich tschechischen Autoren veröffentlichte Kometa ein paar für jene Zeit wirklich hervorragende Comic-Serien für Jugendliche. Die Mehrheit der Künstler und Comics waren jedoch eher künstlerisch schwach und bestätigen, wie unterentwickelt die von modernen Einflüssen größtenteils unberührte Szene noch war. Dennoch brachte Kometa die erste Generation tschechischer Leser hervor, die Comics nicht als Sahnehäubchen auf dem allgemeinen Kulturangebot warnahmen, sondern als etwas Selbstverständliches, als regelmäßige Befriedung ihres Verlangens nach Unterhaltung.

Tulák (Wandervogel) oder der vom Schicksal verfolgten Zeitschrift Aréna, kam es zu vielen Neuauflagen von Geschichten aus der Serie Rychlé Šípy und auch der Comics von Kája Saudek. Allerdings war dies nur der Schwanengesang des bekanntesten aller tschechischen Comiczeichner. In den 1990er Jahren zeichnete Saudek keine hochwertigen Comics mehr und die heutigen Autoren beziehen sich nicht mehr auf ihn.

Der Comic schlägt zurück

Nachdem der Nationalsozialismus und danach der Kommunismus den tschechischen Comic bis an den Rand des Untergangs getrieben hatte, widerholte sich dies durch den Einfluss des Kapitalismus nach der Wende im November 1989. Die weitreichenden gesellschaftlichen Umwälzungen, der Zerfall des Vertriebsnetzes, die Abwertung der Währung und insbesondere die Überflutung mit Verbrauchs- und Kulturgütern zeigten, wie gering in Tschechien das Interesse an Comics in Wirklichkeit war. Ab 1991 ging die Verlagstätigkeit stark zurück und von 1994 bis 1997 erschien so gut wie kein Comic mehr.

Viele Serien und Zeitschriften wurden eingestellt und die Künstler verloren ihre Originale, ihre Illusionen und die Hoffnung, dass sie mit Comics ihren Lebensunterhalt verdienen könnten. Dennoch ließ sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten, eine neue Generationen bildete sich heraus und begann, die Akzeptanz des Comics als ebenbürtigen Bestandteil der Kunst und (Pop-)Kultur durchzusetzen. Alles begann im Jahre 1997 mit der Entstehung der Comiczeitschrift CREW (zu lesen „krev“, also „Blut“ im Tschechischen – alles andere ist ein Fauxpas). Dort wurden zum ersten Mal wirklich hochwertige Comics publiziert, vergleichbar mit Glanzstücken der Film- und Literaturproduktion aus jener Zeit. Allerdings handelte es sich dabei nur um Arbeiten ausländischer Autoren. Die tschechischen Autoren mussten erst noch aus ihrem Winterschlaf erwachen.

Den ersten Impuls gab der Zeichenwettbewerb der Zeitschrift CREW Sterben heißt nicht leben im Jahre 1999, bei dem neue Autoren entdeckt wurden. Diese wurden dann 2000 durch die neue Comiczeitschrift Aargh! aufgefangen. Während Übersetzungen ausländischer Comics erfolgreich als eigenständige Comicbücher und -alben verkauft wurden, hielten sich tschechische Autoren an die zumeist improvisierten, von Comicliebhabern herausgegebenen Zeitschriften: Sorrel, Pot, Zkrat, Bedeman, BubbleGun und KomiksFest! revue. Erst in den letzten Jahren erschienen auch eigenständige Alben. Werke wie der Comic Oskar Ed des slowakischen Autors Branko Jelinek oder John Doe von Matěj Němeček richten sich an den harten Kern der tschechischen Comicszene.

Die breite Öffentlichkeit kennt heute dank der Bewerbung durch den Verlag Labyrint die Trilogie Alois Nebel des Musikers Jaromír 99 und des Schriftstellers Jaroslav Rudiš, der seine Zuneigung zu Deutschland auch in dieses Werk einfließen ließ. Aufgrund ihrer künstlerischen Finesse ist auch die phantasiereiche Serie Monstrkabaret Freda Brunolda (Fred Brunolds Monsterkabarett) des Künstlerpaars Džian Baban und Vojtěch Mašek beliebt. Autorenprojekte wie 130: Odysea des Autoren Nikkarin und die Serie Voleman von Jiří Grus erfreuen sich indes in der breiten Öffentlichkeit als auch unter Comicliebhabern großer Aufmerksamkeit.

Obwohl sie immer noch durch den Idealismus einer Handvoll Autoren, die aus purer Begeisterung zeichnen, getragen wird, ist die aktuelle Situation der Szene recht erfreulich. Zumindest annähernd kommerziell erfolgreich sind dabei lediglich Comicstrips, die in Zeitungen abgedruckt werden bzw. Kindercomics. Durch Comicfestivals findet das Genre heute auch in den Medien Resonanz. Neben dem Fanverlag CREW ermöglicht insbesondere das alljährlich im November stattfindende KomiksFEST!, die Stärkere Verbindung mit anderen Medien. Zeichnerisch stehen die tschechischen Künstler den westlichen in nichts nach und es kommt allmählich zu ersten Experimenten im Stil des japanischen Manga. Formal sind insbesondere avantgardistische und experimentelle Ansätze beliebt. Kommerzielle, erzählende Comics harren der Vergrößerung ihrer Lesergemeinde, die deren Finanzierung erst ermöglicht. Optimisten erwarten diesen Zustand im Laufe der nächsten zehn Jahre.

Autorenkollektiv SEQENCE o.s.

Die Vereinigung zur Unterstützung von Comics SEQENCE o.s. verfolgt das Ziel, sich aktiv an der Promotion des Comics als modernes und vielfältiges Medium zu beteiligen und den Comic als "neunte Kunst" zu etablieren. Dies realisiert SEQENCE insbesondere durch die Organisation des Comicfestivals KomiksFEST!, durch Ausstellungen, Workshops und Comicprojekte im öffentlichen Raum sowie durch Publikationen und Informationen über die aktuelle Comicszene.

Übersetzung: Rico Schote

Copyright: Goethe-Institut Prag
Oktober 2010

Links zum Thema

Themen auf jádu

Gemischtes Doppel | V4

Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

Heute ist Morgen
Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

Im Auge des Betrachters
… liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

Dazugehören
Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

Themenarchiv
Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...