Weißwurst in der Waffel?

Foto: © Matthias Münz, Der verrückte Eismacher

Ein verrückter Eismacher, der ausgefallene Eissorten serviert, das geht nur im Wunderland.

Foto: © Matthias Münz, Der verrückte Eismacher
Foto: © Matthias Münz, Der verrückte Eismacher

Folge dem weißen Kaninchen! Macht man es wie Alice, kann man in der Münchner Maxvorstadt Weißwurst, Schokolade, Bier, Hugo oder Zimtsterne probieren – alles in einem Laden und alles in derselben Form: als Eiskugel. Matthias Münz, der selbsternannte verrückte Eismacher, hat vor zwei Jahren ein gleichnamiges Eiscafé mit ungewöhnlichen Eissorten eröffnet und könnte glatt selbst der Feder von „Alice-im-Wunderland“-Autor Lewis Carroll entsprungen sein.

Die ehemalige Politik-Studentin Sissi erinnert sich noch gut an ihren ersten Besuch im Eiscafé Der verrückte Eismacher gegenüber der Ludwig-Maximilians-Universität in der Amalienstraße. Sie wollte eigentlich in der Bibliothek nebenan für ihre Magisterprüfung lernen, als Freunde anriefen und sie „nur kurz“ zum Eis essen überredeten. Nichtsahnend probierte sie Weißwurst-Eis. „Da war ich schon sehr überrascht und brauchte erst einmal etwas zum Runterspülen“, gesteht sie heute. „Das Funkuchen-Apfelmus-Eis esse ich viel lieber.“

Betritt man das Eiscafé, stechen sofort die bunt bemalten Wände ins Auge: Motive aus Alice im Wunderland wie die Grinsekatze, die mürrische Königin, der verrückte Hutmacher und Spielkarten verschmelzen in Farbwirbeln, rote Fliegenpilze als Tische ergänzen die Wunderwelt. Das weiße Kaninchen, das so manchen Gast – vielleicht in Gestalt der eigenen Freunde – zum verrückten Eismacher gelockt hat, wartet schon an der Wand hinter der Vitrine, in der sich Berge von Eis türmen: vielversprechende Sorten wie Apfelmus-Pfannkuchen-Eis oder Stollen- und Lebkuchen-Eis, aber auch Geschmacksrichtungen wie Bier, Weißwurst, Schweinebraten mit Semmelknödel oder Käsespätzle mit Röstzwiebeln. Sissis Freundin Kathi isst am liebsten das Milchschnitte-Eis: „Das Eis erinnert mich immer an meine Kindheit. Wenn man als Kind die braunen Kekse der Milchschnitte auseinandergemacht und dann die weiße Creme abgeschleckt hat – so schmeckt das Eis.“

Auch die Berliner Tiermedizin-Studentin Katharina ist zum richtigen Fan geworden. Sie kommt im Sommer einmal die Woche zum Eismacher, seitdem sie ihn zusammen mit einer Kommilitonin entdeckt hat. „Das Weißwurst-Eis schmeckt wie kalt gewordene Weißwurst! Aber das Augustiner-Eis ist richtig lecker, weil es nach gefrorenen Bier-Schaum schmeckt.“ Nun muss ihr Freund Oli sie oft begleiten. Der Vorteil: So kann sie auch noch sein Hugo-Eis probieren, ihr Lieblingseis. „Im ersten Moment schmeckt’s total lecker nach Prosecco, dann ganz erfrischend nach Minze und zum Schluss nach Holunder.“ Das Maracuja-Paprika-Eis mit dem in Klammern gesetzten Warnhinweis „scharf“ überlässt sie aber lieber ihm. „Mein Mund hat nach der Kugel wirklich leicht gebrannt“, gibt Oli zu. Für den Eismacher Matthias Münz, der von einem Eismeister in Italien das Handwerk lernte, ist vor allem eines wichtig: „Mein Ziel ist nicht nur das Eis, sondern auch das Erlebnis. Sorten wie Weißwurst mach’ ich eigentlich nur, damit die Leute anfangen zu lachen.“

Foto: © Manuela Muschner
Sissi und Kathi, Stammgäste beim verrückten Eismacher, Foto: © Manuela Muschner

Viel zu viele Glückshormone

Ein Erlebnis sind nicht nur der kreative Laden oder die zum Teil mehrmals am Tag wechselnden Eissorten, sondern auch der 27-jährige Eismacher selbst: schwarz-weiße Lederschuhe, aus denen knallrote Socken hervorlugen, umgeschlagenen Hosenbeine einer blauen Jeans, dazu eine pinke Kochjacke mit zwei Reihen schwarzer Knöpfe. Das i-Tüpfelchen: der schwarze Zylinder über dem strahlenden Gesicht. Fängt der gebürtige Regensburger erst einmal an zu lachen, dann kann man gar nicht anders als einzustimmen. „Ich verlier’ eigentlich nie die gute Laune. Anscheinend habe ich viel zu viele Glückshormone“, erklärt er in atemberaubendem Tempo und beschreibt sich selbst als „ein bisschen ausgeflippt, lustig und humorvoll“. Seine Lebensfreude überträgt sich auch auf die Gäste, wenn er breit grinsend hinter seinen 20 Eissorten steht, sich zu den erwartungsvollen Augen beugt und fragt: „Halli hallo, was darf’s denn sein?“ Als Zusatz reicht er nicht nur Unentschlossenen einen Löffel mit einer Kostprobe.

Zeichen der Freiheit

Matthias, der höchstens per E-Mail ein „Sie“ zulässt, trägt jeden Tag einen Hut, auch in seiner Freizeit. „Ich habe auch schon bevor ich mein Eiscafé aufgemacht habe sehr gerne Zylinderhüte getragen. Dann habe ich nach einem Konzept gesucht, das mir erlaubt, jeden Tag meinen Hut aufzusetzen, und was passt da besser als Alice im Wunderland?“ Wie viele Exemplare er in seinem Schrank hat, verrät er allerdings nicht, denn: „Über Hüte spricht man nicht!“ Seine spezielle Vorliebe habe sich direkt nach dem Abitur entwickelt, als er einen Cowboyhut aus Filz „als Zeichen der Freiheit“ aufgesetzt hatte. Von da an wählte er auch „ausgeflipptere“ Kleidung, bevorzugt in Pink, trug ein Vorhängeschloss als Halskette und ging als Künstler nach Paris. Ein Glück für die Eis-Fans, dass er von seinem Wunsch, Kunst zu studieren, abkam und er für ein Tourismusmanagement-Studium nach München kam. Sonst wäre im Rahmen seiner Bachelorarbeit – über Eisdielen – wohl nie das Konzept für den wundersamen Eisladen entstanden.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

Neben seinem Studium spielte er in der Kaufingerstraße alle drei Wochen auf seinem Akkordeon. An guten Tagen verdiente er über 100 Euro in drei Stunden, was jedoch auch ganz schön anstrengend gewesen sei. „Man steht immer im Zentrum, wird von allen Leuten angeschaut und muss immer gut drauf sein.“ Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass dies für ihn jemals anstrengend werden könnte. Immer wieder grüßt er, auch während der Unterhaltung, hereinkommende Stammgäste, probiert einen Löffel frisch produziertes Zitronen-Joghurt Eis oder winkt einem kleinen Mädchen, nur um dann hinter der Eistheke auszuhelfen und schließlich in der Küche zu verschwinden, um die neue Sorte zu perfektionieren. Immer in Bewegung, wie das kleine weiße Kaninchen, nur ohne tickende Uhr.

Foto: © Matthias Münz, Der verrückte Eismacher
Spareribs-Eis!!! Foto: © Matthias Münz, Der verrückte Eismacher

Großer Eis-Hunger

Er wollte schon immer etwas Eigenes machen, sagt Matthias, dass er jedoch Eisverkäufer wurde, war für ihn Schicksal. „Ich habe als Kind schon immer sieben Kugeln Eis in der Waffel bestellt. Bei so einem großen Eis-Hunger bleibt einem eigentlich gar nichts anderes übrig, als ein Eiscafé aufzumachen.“ Sein Eiscafé läuft so gut, dass er es Anfang des Jahres mit einer zweiten Eismaschine, einer neuen Vitrine und pinken Ventilatoren ergänzt hat. Mit einer zweiten Filiale lässt er sich aber erst einmal Zeit, auch wenn sich auf Facebook bereits viele Menschen aus anderen Städten eine solche sehnlichst wünschen. Seine knapp 20.000 Facebook-Fans versorgt Matthias nicht nur mit Fotos von sich selbst im Großhandel, am Strand (natürlich auch dort mit Hut) oder in pinker Lederhose auf der Wiesn, sondern bewirbt hier auch seine neuesten Eiskreationen, wie am Weltkondomtag ein „Prachtstück“ – ein Eis am Stiel in besonderer Form oder zum Start der Fußball-WM das gelb-grüne Mawi Kingo Eis, das nach Mango und Kiwi schmeckt.

Der Eismacher strotzt nur so vor neuen Ideen und bewahrt sich dabei die Neugier von Alice, die Verrücktheit des Hutmachers, die Rastlosigkeit des weißen Kaninchens und das „grinsekatzengrinsende“ Gesicht. „Wir feiern hier jeden Tag unseren Nichtgeburtstag“, zitiert er das Lied des Hutmachers aus der Disney-Verfilmung. „Unser Ziel ist es, die gute Laune an die Leute weiterzugeben, man lebt schließlich nur einmal.“ Und für die Gäste, die das geplante Rucola-Heuschrecken- oder Stracciawurmtella-Eis dann doch zu verrückt finden, gibt es natürlich auch harmlose Variationen von Erdbeer-, Vanille- und Schokoladeneis.

Manuela Muschner

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Juli 2014

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...