Currywurst und Champagner

Foto: © Tatyana SynkováFoto: © Tatyana Synková
Bei „Bier’s Ku’damm 195“ kann man zur Currywurst für 2,60 Euro eine Flasche Champagner für 95 Euro dazu bestellen. Foto: © Tatyana Synková

Zwischen Audi und Gucci, im 2012 neu renovierten Luxusobjekt „No° 195 Kudamm“ befindet sich eine der bekanntesten Currywurstbuden Westberlins. Seit fast 50 Jahren serviert man bei „Bier’s Ku’damm 195“ für die Upperclass Currywurst mit Champagner.

Auf den Besitzer einer Currywurstbude zu warten, kann durchaus eine spannende Sache sein, besonders dann, wenn er eine Art Luxusimbissbude besitzt. Was ist das wohl für ein Typ? Jeder Gast, ob arm oder reich, dick oder dünn, könnte der potenzielle Chef sein – bis er dann doch die Geldbörse zückt und eine Currywurst bei der charmanten urberliner Bedienung bestellt. Die fragt mit Vorliebe auf deutsch oder englisch in derbem Ton: „Wolln’se noch wat trinken? Vielleicht ’nen Champagner?“ und zeigt auf die Flaschen, die die Wand hinter dem Tresen säumen. Volksnah und doch luxuriös, das scheint das Verkaufsprinzip dieses Ladens zu sein.

Von dem Besitzer keine Spur. Am Telefon hieß es, er sei in ein paar Minuten da. „Gleich is’ bei den Biers so’ne Sache“ sagt die Urberlinerin, doch da kommt auch schon Gregor Bier. Der Vierzigjährige, sportlich schick gekleidet, wirkt leicht schnöselig. Im Schlepptau hat er zwei Männer. Der eine ist sein Vater, Klaus-Peter Bier, ein stolzer, hagerer älterer Herr mit Strohhut, der zweite ist dessen Kumpel Oliver Marlon, Sohn des Schauspielers Harald Juhnke, der zu seinen Lebzeiten im Bier’s Stammgast war. „Ick hab leider auch gar keine Zeit für ein Interview, aber mein Vater hat ja den Laden gegründet und weiß sowieso mehr darüber“ stellt der junge Bier schnell klar und widmet sich wieder den bekannteren Gesichtern.

Prominenz ist bei Bier’s Alltag, denn nicht nur der Ort sondern auch das ungewöhnliche Menü locken seit Jahren Stars und Touristen aus der ganzen Welt zu Bier’s Kudamm 195, immerhin kann man hier zur Currywurst für 2,60 Euro eine Flasche Champagner für 95 Euro dazu bestellen.

Foto: © Tatyana Synková
Zwischen Audi und Gucci, im 2012 neu renovierten Luxusobjekt „No° 195 Kudamm“, Foto: © Tatyana Synková

Champagner, weil die Nachfrage da war

Das ist die Marktlücke, die Imbissgründer Klaus-Peter Bier 1965 mit seinem Szene-Imbiss für die Berliner Schickeria füllte. „Vor dem Fall der Mauer war das hier ja das Zentrum Westberlins. Der Kurfürstendamm war Treffpunkt für alle. Hier spielte sich das Nachtleben ab und oft standen Hunderte von Menschen nachts auf der Straße“, erinnert sich Bier leicht nostalgisch. Der gelernte Fotojournalist hatte seine größten Erfolge mit den Dokumentationen des Mauerbaus im Jahre 1961. Seine Bilder kann man direkt neben dem Kickertisch bewundern, an einer der roten Wände des sonst eher kühl mit silbernen Stehtischen gestalteten Ladens.

Klaus-Peter Bier arbeitete bei verschiedenen Zeitungen, als freier Journalist und entschied sich dann als Endzwanziger eine Currywurstbude aufzumachen. Fast Food à la McDonalds oder Döner gab es damals noch nicht, da war Currywurst für Nachtschwärmer und Geschäftsmänner eine gute Option. Unter anderem war Bier auch mit Herta Heuwer befreundet, der angeblichen Erfinderin der Currywurst, die 1949 an ihrem Imbissstand an der Ecke Kant-/Kaiser-Friedrich-Straße in Berlin-Charlottenburg nicht weit von Bier’s erstmals Currywurst verkaufte.

Aber warum Currywurst und Champagner? „Weil die Nachfrage da war! Das hat sich so ergeben“, sagt Bier. Man kannte Leute, hatte gute Kontakte, tauschte sich aus und das Klientel, das gerne Champagner genoss, flanierte ohnehin über den nächtlichen Ku’damm.

Die Prominenz schmückt

Ein Luxusrestaurant sollte Bier’s aber nie sein. Das hätte Klaus-Peter Bier nicht gewollt. Bei einem Stehimbiss sei das auch schwierig, gibt er zu. Doch war sein Angebot und vor allem die Lage verlockend genug, um zu einem Kult-Imbiss für die Westberliner zu werde, besonders für Nachtschwärmer und die Prominenz: „Es kamen die Bundespräsidenten, die Kanzler, Kohl, Strauß und so weiter. Und das alles über Mund zu Mund Propaganda. Große Schauspieler waren hier, Weltraumfahrer, Top-Milliardäre, gut situierte Menschen, Touristen, normale Menschen. Die ganze Palette und das war eigentlich auch schon immer so“, beteuert Bier leicht überheblich. Und die Bekanntesten haben auf den Berlin-Bildern, die an der anderen Wand neben der Theke hängen, unterschrieben, auch Fotos von Bier mit den Promis dürfen hier nicht fehlen – als Schmuck und als Beweis.

Expandieren wollte Bier allerdings nie, ein gut gehender Laden reiche aus: „Man muss ja auch leben.“ Aber Angebote gab es genug: aus den USA, der Schweiz, Österreich – alle wollten Sie die Biersche Currywurst haben. Aber alle lehnte er dankend ab. Zu viel Arbeit sei ungesund. Seit einigen Jahren leitet sein Sohn Gregor Bier den Imbiss mit ihm zusammen, so kann er sich wieder der Fotografie widmen und Bier’s geht an die neue Generation mit neuen Visionen über. Und so gab es dank Bier Junior auf der Dachterrasse des Ritz-Carlton, direkt am Roten Platz in Moskau auch einen Sommer lang die Biersche Currywurst für schlappe 22 Euro. „Unser Erfolg hat nichts mit dem Champagner zu tun“, behauptet Klaus-Peter Bier. „Der Grund ist, dass unsere Wurst und das sag nicht nur ich, sondern auch meine Kunden, einfach eine der Besten der Stadt ist.“ Vor allem, wenn man sie in Gesellschaft des Ladenbesitzers, der scharfen Soße und ein paar Zwiebeln verzehrt.

Tatyana Synková

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Juli 2014

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...