Jesus in der Turnhalle, der Papst im Negligé
Über das Verhältnis von Kunst und Glauben
Man kann leicht den Eindruck gewinnen, dass sich heutzutage kaum ein Künstler mit Glauben und Religion beschäftigt. Das stimmt gar nicht, allerdings wird das Thema nur selten direkt formuliert. Sicherlich gibt es noch Künstler, die Heiligen- und Bibelgeschichten auf althergebrachte Art und Weise darstellen, und es werden auch heute noch neue Kirchen gebaut. Einige Künstler gehen das Thema Religion jedoch aus einer neuen Perspektive an.
Statt der jahrhundertelang üblichen Ernsthaftigkeit steht dabei oft Provokation im Vordergrund. Manchmal soll die Verwendung christlicher Symbole schockieren, manchmal möchten die Künstler so jedoch auf Zusammenhänge hinweisen, die ihrer Ansicht nach Aufmerksamkeit verdienen.
Jesus als Athlet
Das war auch das Ziel der Künstlergruppen Kamera Skura und Kunst Fu, das sie mit ihrem Gemeinschaftswerk Superstart verfolgten. Es wurde im tschechisch-slowakischen Pavillon im Rahmen der Biennale 2003 in Venedig ausgestellt und war eine Jesus-Figur in der bekannten Kreuzigungsposition, also mit ausgestreckten Armen. Christus war jedoch mit seinem leidenden Antlitz nicht ans Kreuz genagelt, sondern hing an Turner-Ringen. Die Künstler wiesen damit hin auf die Verehrung von Sportstars und anderer Prominenter, mit der die modernen Gesellschaften den Glauben an Gott zu ersetzen scheinen.Andere Künstler wollen eher unterhalten: Für großes Aufsehen sorgte beispielsweise Maurizio Cattelanos berühmtes Werk Die neunte Stunde – eine naturgetreue Darstellung des Papstes Johannes Paul II., wie er von eine Meteoriten erfasst wird. Der Papst ist überhaupt ein beliebtes Objekt künstlerischer Provokation. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Plastik Miss Kitty des Italieners Paolo Schmidlin, die Benedikt XVI. im Negligé und einer Schleife im Haar darstellt.
Bloße Provokation?
Die erwähnten Künstler bemächtigen sich der geläufigsten christlichen Symbole und spielen mit dem Kitsch. Andere wiederum bemühen sich nicht nur zu schockieren, sondern dringen in ernstere Ebenen vor. Bei einigen bekannten „Querulanten“ überrascht das durchaus. Roman Týc etwa wurde vor allem wegen ausgetauschter Ampelmännchen bekannt. Dafür musste er sogar für einen Monat ins Gefängnis. 2008 ließ sich der damals 33-Jährige Týc (das angebliche Alter von Jesus zum Zeitpunkt seiner Kreuzigung) einen Nagel in seine Hand schlagen. Das Blut, das aus seinen Wunden strömte, ließ er auf Papier laufen. Die Flecken fotografierte er und stellte sie zu Ostern als großformatige Bilder in den gläsernen Werbeschaukästen an Prager Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs aus. Vielleicht ist einigen Passanten gerade durch dieses Werk Kreuzweg bewusst geworden, dass zu Ostern die Auferstehung Christi gefeiert wird und der Osterhase eine Erfindung späteren Datums ist.
Einer der berühmtesten Gegenwartskünstler ist Damien Hurst. Seine in riesigen Formaldehyd-Aquarien eingelegte Haie und Kühe zählen zu seinen Hauptwerken. Ähnlich morbid wenn auch weniger spektakulär ist sein Werk The Importance of Elsewhere – The Kingdom of Heaven. Das monumentale Gemälde erinnert an große Kirchenfenster. Statt farbigem Glas verwendete Hirst allerdings echte Schmetterlingsflügel – Schmetterlinge stehen in der christlichen Symbolsprache nämlich für die Hoffnung auf ein ewiges Leben.
Neue Sichtweisen, neue Sprache
Die zeitgenössische Kunst scheint sich tatsächlich weniger mit dem Glauben zu beschäftigen als noch in vergangenen Jahrhunderten, aber dafür bietet sie neue Zusammenhänge und Sichtweisen. Da der Glaube heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen die Menschen ihn stärker in Frage und zweifeln an ihm. Gleichzeitig aber finden sie im Glauben Hoffnung und Antworten auf ihre Fragen. Skulpturen von Päpsten in Negligés bekommen in den Medien viel Raum, aber wenn man mehr Zeit zum Suchen hat, stößt man auf viel interessantere Werke. Beginnen kann man beispielsweise mit einem Besuch der Prager Kirche des Heiligen Salvator, die in ihren barocken Räumlichkeiten regelmäßig Werke führender tschechischer Künstler ausstellt. Diese sprechen zwar eine neue Sprache, sind aber genauso so beeindruckend wie die barocken Altäre daneben.
Übersetzung: Ivan Dramlitsch
Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2012