Rebell gegen den Irrsinn der Normalität
Die Filmemacherin Andrea Roggon begleitete den Künstler Helge Schneider über knapp vier Jahre für ihren Dokumentarfilm „Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort“. Herausgekommen ist ein Portrait eines vielseitigen Mannes, der schwer zu fassen bleibt.
Viele kennen Helge Schneider nur als albernde, etwas skurrile Figur auf der Bühne oder in seinen Filmen. Dabei ist er weitaus mehr als das. Es gibt auch den ernsten Helge und den Perfektionisten. Nur zeigt er den Menschen Helge Schneider nicht, sondern macht um sein Privatleben ein Geheimnis. „Geheimnisse sind wichtig“, sagt er zu Beginn von Roggons Debütfilm. „Nehmen wir mal an Van Gogh, der berühmte Maler... Stell dir mal vor, die Leute wüssten wie der gewesen ist, wenn der einkaufen geht. Deshalb hab’ ich auch nicht gerne, wenn man zu viel über mich weiß.“ Und so sabotiert Helge Schneider die für den Film vorgesehene Struktur, indem er private Fragen ablehnt, Tagespläne umwirft oder nach nur einer Interviewfrage das Zimmer verlässt.
Schneider polarisiert
Spätestens seit dem Erscheinen seines ersten Spielfilms 1993 ist Helge Schneider in Deutschland einem größeren Publikum bekannt. Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem ist ein Western à la Schneider. Grotesk ist nicht nur nicht nur die Handlung, die den Protagonisten Doc Snyder (gespielt von Helge Schneider selbst) nach 30 Jahren Abwesenheit zurück in seine Heimatstadt führt. Er will dort einen Sack schmutziger Wäsche von seiner Mutter waschen lassen. Auch die Nebencharaktere wie der alternde Revolverheld Nasenmann oder Doc Snyders garstige Mutter (gespielt von einem Mann) sind überdrehte Versionen des klassischen Westernpersonals. Der in einem Wohnwagen hausende liebe Gott oder der aus einer anderen Zeit stammende Kommissar 00 Schneider (natürlich auch von Helge Schneider selbst verkörpert) lassen die Erwartungen an Dramaturgie und Logik endgültig ins Leere laufen.
Die eigenwillige Ausstattung und die zum Großteil improvisierten Szenen und Dialoge, die aus dem geringen Budget eine Tugend machen, tragen ein Übriges zum gewollt dilettantischen Charakter des Films bei. Dieser Linie blieb Helge Schneider nicht nur bei seinen weiteren vier Filmen treu. Vor allem das Element der Improvisation durchzieht sein gesamtes Schaffen. Er legt ein so breites kreatives Repertoire an den Tag wie kaum ein anderer Künstler in Deutschland. Neue Spielfilme, Bücher, Hörspiele, Konzerte und Bühnenshows scheinen nur so aus ihm herauszusprudeln. Und im Wechselspiel mit seinem Live-Publikum läuft Helge, der Improvisator, zu Höchstform auf.
Dass ihm die Improvisation im Blut liegt, mag auch mit Helge Schneiders musikalischer Ader zu tun haben. Selbst seine größten Kritiker müssen neidlos anerkennen, dass der mittlerweile 60-Jährige ein begnadeter Jazzpianist ist. Eine Vielzahl weiterer Instrumente beherrscht Schneider ebenfalls.
So sind seine Bühnenshows durchsetzt von musikalischen Einlagen, die ebenso zwischen Improvisationen und Einstudiertem oszillieren, wie der Rest des Programms. Doch bei allem bleibt Helge Schneider dennoch Perfektionist. „Ich erkläre mir meine eigene Perfektion. Meine eigene Perfektion kann auch wackelig sein. Das macht einem alles ein bisschen leichter.“ Besonders deutlich wird das in Andrea Roggons Film, wenn Helge Schneider seine Begleitband akribisch Fehler einstudieren lässt.
Helges Auftritte sind so ziemlich das Gegenteil der sonst vorherrschenden aalglatten und einstudierten Comedy auf deutschen Bühnen. Aber er ist nicht jedermanns Sache. Sein Humor, manche bezeichnen ihn als dadaistisch, ist geprägt von einem Minimalismus, man könnte sagen, es ist eine Art Verweigerungshumor. Und den zieht er konsequent durch – egal, ob er auf der Bühne steht, einen Film dreht oder in einer seriösen TV-Talkrunde sitzt. Die einen nervt sein Genuschel, seine absurden Monologe und seine Art schlechthin, bei den anderen jedoch genießt er unangefochtenen Kultstatus.
„Den grauen Alltag mache ich mir selber bunt“
Die Szene, in der Helge Schneider auf eine Frage von Andrea Roggon über Freiheiten mit den Worten „Die Freiheit muss man sich nehmen“ das Interview abbricht und das Zimmer verlässt, ist exemplarisch für den ganzen Film. Schneider ist nicht greifbar und die Arbeit mit ihm nicht planbar. Man muss immer wachsam sein, um die Grenze zwischen dem Künstler und dem Mensch hinter der Maske erkennen zu können. Das gelingt nicht oft.
Anders ist es aber an der Stelle, als Helge anfängt, über seine Kindheit zu erzählen. Von seinen roten Haaren, die ihm quasi von Natur aus die Rolle des Außenseiters aufgedrückt haben. In dieser Zeit habe auch seine Rolle als Witzbold begonnen und man hört heraus, dass eben das seine Art von Protest gegen alles Normale darstellt – oder was als normal angesehen wird. Helge Schneider macht, was er will. Ist der Alltag grau, macht er ihn sich bunt. Helge Schneider ist der Anarchist unter den deutschen Komikern.
Wer ist der Mensch Helge Schneider?
Helge Schneider hier und da, so lautet der Untertitel des Films. Gezeigt werden sollte ein privater Schneider, der noch immer in seiner Heimat, dem Ruhrgebiet, lebt. Dem gegenüber steht der Helge Schneider auf der Bühne und in seinen Filmen. So persönlich das Portrait vielleicht einmal angedacht war, wirklich näher kommt der Film dem Menschen Helge Schneider nicht. Denn der gibt sich einfach nicht zufrieden mit der passiven Rolle des Interviewten und Betrachteten. Stattdessen nimmt er den Verlauf des Films ein Stück weit selbst in die Hand und so wird aus der Dokumentation über Helge Schneider vielmehr eine Dokumentation über den Versuch, eine Dokumentation über Helge Schneider zu drehen.