Wie im Himmel?

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Medrese und Moschee in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, Foto: © Corinna Anton

Ein Urlaubsziel sollte türkisfarben sein. In der Hinsicht hat Usbekistan genau den richtigen Farbton, den es braucht um unter der Rubrik Traumland im Reisekatalog abgebildet zu werden: Tausendfach türkisfarben leuchten der Himmel und die seidenen Stoffe, die Eingangsportale der Medresen und die Kuppeln der Moscheen. Doch dazwischen drängen sich auch andere, dunklere Bilder. Nichtregierungsorganisationen werfen dem Land schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Sollte es deshalb als Reiseziel ausscheiden?

Buchara, Chiwa, Samarkand: So klangvoll wie die Namen, so beeindruckend sind die usbekischen Städte an der Seidenstraße. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich im Schatten der imposanten Bauwerke in ein Märchen aus Tausendundeine Nacht versetzt zu fühlen. Aus dem Basar duftet es nach Kreuzkümmel und Koriander, Türme aus Melonen und Granatäpfeln sind nebeneinander aufgebaut. Ganz zu schweigen von den prächtigen Fassaden der Moscheen und Medresen.

In Usbekistan sind ausländische Touristen gern gesehene Gäste. Die Menschen sind gastfreundlich. Auf den Basaren und in den Geschäften sind Devisen gefragt: „Dollar, Dollar“ möchten die Verkäufer von Seidenschals und Keramikschüsselchen gerne haben, nicht die heimischen Zum, die man umgetauscht hat und jetzt loswerden muss. Es nicht erlaubt, sie auszuführen. Angaben der usbekischen Botschaft in Deutschland zufolge sind in dem Land mehr als 360 Reiseveranstalter tätig. Sie gewährleisteten die Versorgung einer halben Million ausländischer Touristen pro Jahr. Der Anteil deutscher Besucher betrage davon etwa zehn Prozent.

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Auf dem Basar von Taschkent, Foto: © Corinna Anton

„Viele haben noch nie junge Europäer gesehen“

In Deutschland haben etliche Reiseveranstalter Usbekistan im Programm. Der Studienreiseanbieter Studiosus aus München zum Beispiel verzeichnete in Zentralasien im Jahr 2012 ein Teilnehmerplus von 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt bereisten 2012 rund 1400 Gäste mit Studiosus die Länder der Seidenstraße. Fast alle Touren führten dabei entweder ausschließlich nach Usbekistan oder beinhalten einen Aufenthalt im Land. Einen Zuwachs bestätigt auch Ury Steinweg, Geschäftsführer des Kieler Reiseveranstalters Gebeco. Das Land spreche vor allem „klassische Kultururlauber“ an. Am Flughafen in Taschkent und am Frühstücksbuffet in Buchara zeigt sich, was das heißt: Offensichtlich sind es vor allem Touristen im Rentenalter, die aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern nach Usbekistan kommen. Dass sich eine Studentengruppe für ihr Land interessiert, erstaunt manche Einheimische deswegen: „Viele haben noch nie junge Europäer gesehen“, freut sich eine Stadtführerin in Samarkand über uns. Wir absolvieren unsere Sommerschule des „Osteuropastudiengangs“ der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Regensburg in Usbekistan.

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Baumwollpflanzen zieren Stoffe und Taschen ebenso wie Teller, Gebäude und das usbekische Wappen. Foto: © Corinna Anton

Weißes Gold

Doch unser Programm ähnelt sehr dem der betagteren Kulturtouristen. Das liegt auch daran, dass uns unsere usbekische Reiseagentur gerne von Museum zu Museum lotst. Einen Blick hinter die Kulissen zu erhaschen ist schwierig. Als uns ein Busfahrer von Buchara nach Samarkand bringt, lässt er sich zu einem sehr kurzen unvorhergesehenen Stopp überreden. Wir möchten die Baumwollfelder, die links und rechts kilometerweit die Straße säumen, aus nächster Nähe sehen und fotografieren. Eigentlich darf der Fahrer hier nicht anhalten, heißt es. Er macht es trotzdem – aber nur so lange, bis wir die Kameras gezückt und einmal schnell abgedrückt haben. Menschen bei der Arbeit, die mit bloßen Händen die Baumwolle von den kniehohen Sträuchern auf den scheinbar endlos großen Feldern pflücken, haben wir bei Zug- und Busfahrten immer wieder aus weiter der Ferne gesehen. Hier ist kein Arbeiter zu erblicken.

Geschichten über die Baumwollernte müssen wir uns deshalb von anderen erzählen lassen. In Taschkent, Buchara und Samarkand sprechen Reiseführer und Einheimische immer wieder davon. Sie beschrieben de Baumwollernte als eine nationale Angelegenheit, bei der alle gebraucht werden – auch Ärzte und Krankenschwestern, Studenten und Professoren. Es hört sich an als wären sie stolz auf das, was das Volk gemeinsam leistet. Baumwolle, das weiße Gold, als Exportschlager, der dem Land Wohlstand und Ansehen bringt, und für dessen Gedeihen alle mit anpacken. Ein Blick ins Stadtbild spricht für diese Interpretation: Baumwollpflanzen zieren Stoffe und Taschen ebenso wie Teller, Gebäude und das usbekische Wappen.

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Brottransport in Samarkand, Foto: © Corinna Anton

Schwarze Karte

Anders sehen das Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW): Für die Baumwollernte im Herbst 2012 habe die usbekische Regierung mehr als eine Million ihrer eigenen Bürger gezwungen, Baumwolle zu ernten, unter missbräuchlichen Bedingungen und Androhung von Strafe – so heißt es in einem Bericht, den HRW im Januar veröffentlichte. Es handle sich dabei eindeutig um Zwangsarbeit, wird Steve Swerdlow, Zentralasienexperte bei HRW, darin zitiert. Kinder und Erwachsene hätten in vielen Fällen zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet und „wenig oder keine Bezahlung“ für ihre Arbeit erhalten oder sogar Geldstrafen bezahlen müssen, weil sie nicht die vorgeschrieben Tagesmenge erfüllt hätten. Die usbekischen Behörden verweigerten internationalen Beobachtern im vierten Jahr in Folge den Zugang, beklagt HRW. Örtliche Aktivisten und unabhängige Journalisten, die versuchten, über die Situation der Zwangsarbeit zu berichten, würden bedroht oder verhaftet.

Doch nicht nur die Baumwollernte ist für usbekische Journalisten ein kritisches Thema. Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) führt Usbekistan auf der Rangliste der Pressefreiheit, die sie im Januar 2013 veröffentlichte, auf Platz 164 – hinter Saudi-Arabien und Belarus. Auf der Weltkarte der Pressefreiheit von ROG ist Usbekistan ebenso tiefschwarz eingefärbt wie Iran und China. Usbekistan zählt laut ROG außerdem zu den schlimmsten Internetzensoren weltweit.

Die einheimische Reiseführerin, die uns ein wenig Landeskunde beibringen will, sieht das anders: „Wir haben viele Zeitschriften. Wir haben zum Beispiel Zeitschriften für Frauen, Zeitschriften für Kinder“, erzählt sie in fließendem Deutsch. Dafür, dass wir ihre Meinung über die usbekische Geschichte nicht immer teilen, hat sie eine Erklärung: „Wir haben unsere Bücher, Sie haben Ihre Bücher. Ich erzähle Ihnen das, was in unseren Büchern steht. Sie können das lesen, was in Ihren Büchern steht.“

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Gäste einer usbekischen Hochzeit in Buchara, Foto: © Corinna Anton

Amnesty wirft Usbekistan Folter vor

Nicht in den usbekischen Büchern steht vermutlich das Fazit, das die Nichtregierungsorganisation Amnesty International (AI) in ihrem Jahresbericht 2013 über Usbekistan zieht: „Das Recht auf freie Meinungsäußerung war 2012 stark eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden weiterhin schikaniert, geschlagen, strafrechtlich verfolgt und inhaftiert.“ Menschenrechtsverteidiger seien in Haft, „teilweise unter grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen“, so AI. „Anlass zur Sorge bot weiterhin der häufige Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen, um ‚Geständnisse‘ zu erpressen. Dies betraf insbesondere Personen, die verdächtigt wurden, mit verbotenen religiösen Gruppen in Verbindung zu stehen.“

Amnesty International erhält wie ausländische Journalisten und andere Menschenrechtsaktivisten keinen Zugang nach Usbekistan. Die Angaben stützen sich „auf die Erkenntnisse aus unserer jahrelangen Arbeit zum Land und auf zahlreiche Kontakte mit Menschen in Usbekistan - beispielsweise Menschenrechtsverteidiger oder Opfern von Menschenrechtsverletzungen und ihren Angehörigen“, erklärt Marie von Möllendorff, Fachreferentin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International Deutschland.


Austausch oder Boykott?

Als Reisender sieht man davon nichts. Heißt das, dass man ruhigen Gewissens den kulturellen Reichtum des Landes bestaunen und dabei die Stimmen vergessen darf, die beklagen, dass hinter den Kulissen Unrecht geschieht?

Auf diese Frage haben selbst Experten keine eindeutige Antwort. „Einen Boykottaufruf machen wir nicht“, erklärt zum Beispiel Antje Monshausen, Referentin für Tourismus und Entwicklung bei „Brot für die Welt“. Der evangelische Entwicklungsdienst engagiert sich für einen nachhaltigen, sozial verantwortlichen und umweltverträglichen Tourismus und gibt den Informationsdienst TourismWatch heraus, den Monshausen leitet. Auch die Nichtregierungsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch haben keine grundsätzliche Position zur Frage, ob man in ein Land reisen sollte, das die Menschenrechte missachtet. Reisende und Reiseveranstalter sollten jedoch „besondere Sorgfalt anwenden“, zum Beispiel bei der Auswahl der Dienstleister und Vertragspartner, erklärt Monshausen. Seitens der Reiseveranstalter gäbe es erste Anzeichen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, allerdings stehe die praktische Umsetzung noch weitgehend aus. Einige wenige Veranstalter hätten sich bereits „auf den Weg gemacht, Verantwortung für Menschenrechte zu übernehmen“. „Brot für die Welt“ sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht und fordert von ihr, dass sie verbindliche Regeln für deutsche Unternehmen definiert.

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Auf dem Basar von Buchara wird vor dem Kauf verhandelt und die Qualität der Ware geprüft. Foto: © Corinna Anton

Individuelle Verantwortung

Reisenden rät Monshausen, sich schon vorab über die sozialen, kulturellen und politischen Hintergründe im Zielland informieren, um sich am Urlaubsort verantwortungsvoll zu verhalten. Aber auch im Urlaub sollte man die Augen offen halten: „Wenn ein Tourist zum Beispiel im Hotel feststellt, dass das Personal viel zu viel arbeitet, kann er das dem Reiseveranstalter mitteilen.“ Außerdem könne man bei der Planung von Ausflügen, beim Kauf von Souvenirs oder bei Restaurantbesuchen darauf achten, lokale Anbieter zu wählen. Eine Sensibilität für das Thema Menschenrechte sei bei deutschen Touristen durchaus vorhanden. Sie schlage sich jedoch nicht auf das Kaufverhalten nieder. Deshalb fordert Monshausen: „Der Urlaub – das sind die schönsten Wochen des Jahres, da sollte der Schutz der Menschenrechte inklusive sein.“

Das Beispiel Usbekistan zeigt, dass es für den einzelnen Reisenden nicht einfach ist, hinter die Kulissen zu blicken und zu beurteilen, wer letztendlich von den ausländischen Touristen im Land profitiert. Für den Reiseveranstalter Studiosus ist die Antwort dennoch eindeutig: „Durch unsere Reisen schaffen wir Austausch, Begegnungen, Information und Öffentlichkeit. Wir glauben daher, dass verantwortungsvoller und nachhaltiger Tourismus langfristig zu einer positiven Veränderung der Menschenrechtssituation beiträgt“, heißt es im Unternehmensleitbild. Ähnlich sieht das auch Gebeco-Geschäftsführer Steinweg: „In Ländern, wo ein mehrseitiger Informationsaustausch durch politische Rahmenbedingungen eingeschränkt oder sogar verhindert wird, ist der Kontakt zwischen einheimischen und außenstehenden Menschen und ihren Kulturen umso wichtiger. Der Tourismus kann dabei helfen, Augen und Ohren offen zu halten und einen Austausch anzuregen.“ Dieses Argument wiege für ihn mehr als das Argument der wirtschaftlichen und eventuell moralischen Unterstützung von autoritären Regimen, so Steinweg. Er fügt allerdings hinzu: „Letztlich gibt es in solchen Fällen kein richtig oder falsch. Jeder Reisende muss für sich selbst entscheiden, welches Argument für ihn persönlich überwiegt.“

Corinna Anton

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juli 2013
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