Junge Mormonen auf Missionsreise

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„Kennt ihr das Buch Mormon? Damit könnt ihr herausfinden, ob es Gott gibt. Wollen wir unsere Telefonnummern austauschen?“ Foto: © Kristina Staab

Die Missionare der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ (besser bekannt als Mormonen) stellen sich für eineinhalb oder zwei Jahre vollkommen in den Dienst ihrer Kirche. Sie wollen Menschen Hilfe und Beistand geben, auf den rechten Weg führen – mit dem Buch Mormon. Dieses Buch enthält – so glauben sie – Gottes Antwort auf alle unsere Fragen. Ihre Aufgabe mache sie glücklich und sei ein Dienst an der Menschheit. Die jungen Mormonen verzichten während ihrer Missionsreisen auf alles, was sie von ihrer Mission ablenken könnte – sind immer freundlich, immer höflich, immer hilfsbereit.

„Glaubt ihr an Gott? Kennt ihr das Buch Mormon? Damit könnt ihr herausfinden, ob es Gott gibt. Indem ihr es lest und darüber betet, was ihr gelesen habt. Wollen wir uns noch mal irgendwann treffen? Für 20 Minuten, oder so? Wollen wir unsere Telefonnummern austauschen?“ Diese Fragen stellt der 22-jährige Missionar Taylor Lindsey jungen Passanten in Oberursel in der Nähe von Frankfurt am Main. Eine Handynummer bekommt er nicht, verschenkt aber trotzdem ein Buch Mormon an einen jungen Mann, der sich auf ein Gespräch eingelassen hat. Auch eine Karte mit seiner Telefonnummer gibt er weiter. Aber mit einem Treffen rechnet der Missionar aus Colorado eher nicht: „Er war nicht so sehr interessiert. Aber falls er Fragen hat, kann er anrufen.“

Seit drei Wochen hat Elder Lindsey einen neuen Missionspartner: den 18-jährigen Nick Emery aus Utah. Vorher hat der noch nicht den Ehrentitel „Elder“ getragen, sondern im Missionary Training Center neun Wochen Deutsch gelernt und sich auf die Mission vorbereitet. Er wird ab jetzt für zwei Jahre auf sein altes Leben verzichten: kein Collegebasketball, kein privates Handy oder Internet, kaum Kontakt in die Heimat; das größte Problem ist aber die Sprache: „Deutsch ist so schwierig, davon bekomme ich Kopfschmerzen.“ Die beiden Elders studieren am Vormittag zusammen Sprache und heilige Schriften. Elder Lindsey ist bereits seit Januar im Land und spricht fließend Deutsch.

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Immer auf der Suche: Doch nicht jeder, der sucht, findet auch. Foto: © Kristina Staab

Das Leben des Missionars: immer suchen

Am Nachmittag haben die beiden einen Termin mit einem Mann, der sich für ihre Kirche interessiert. Missionare aus Mainz haben den Kontakt an sie weitergegeben. Der Mann ist vor Kurzem von Mainz nach Oberursel gezogen. In der angegebenen Straße scheint es die entsprechende Hausnummer nicht zu geben. Elder Lindsey telefoniert mit dem Zonenleiter, Elder Chicky, um die Adresse zu überprüfen. Rechts der Straße erstrecken sich Wiesen, links liegen unscheinbare Gebäude – aber mit Satellitenschüsseln; Einzimmer-Containerwohnungen drängen sich zu Blockgebäuden zusammen. Hausnummern sind von außen nicht zu sehen. Während Elder Lindsey wieder telefoniert, beobachten aus einigen Fenstern Bewohner die ungewöhnlichen Besucher in weißen Hemden und dunklen Anzughosen. Immer wieder fragen die Missionare nach dem Interessenten, aber niemand kennt ihn. Ein Äthiopier schickt sie in den ersten Stock eines Gebäudes. Im Flur des Hauses ist es dunkel, es riecht muffig. Einige Männer laufen an ihnen vorbei und grüßen freundlich. Ein Iraker kann auch nicht weiterhelfen. „Das ist das Leben eines Missionars: immer suchen“, sagt Elder Lindsey.

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„Wir sprechen keine Menschen direkt damit an, dass wir von der Kirche Jesu Christi kommen, das ist komisch“, sagt Sister Chard. Foto: © Kristina Staab

Freundlichkeit und Höflichkeit: Das sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Missionar mitbringen sollte, meint Sister Chard. Sie steigt in die S-Bahn 5 ein. Sister Chard setzt sich zielstrebig neben eine blonde Frau mittleren Alters auf einen herunterklappbaren Sitz. „Ich mag Ihre Tasche, die hat etwas Cowboyartiges“, sagt sie freundlich in ihrem amerikanischen Akzent. Die Missionarin fragt nach den Kindern der Frau, woher sie komme und wie es ihr gehe. Die Dame zieht ab und an die Augenbrauen hoch, lächelt aber weiter und beantwortet alle Fragen. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter in einem Haus und es gehe ihr sehr gut. Am Glauben von Sister Chard ist sie nicht interessiert.

Die Mission der Sisters Emily Wood, Miranda Robison und Danielle Chard dauert 18 Monate. Die drei 19-jährigen Frauen aus Utah und Ohio verzichten ebenso wie ihre männlichen Kollegen für diese Zeit auf ihr persönliches Leben – auch flirten ist jetzt verboten oder mit einem Mann allein in einem Raum sein. Alkohol, Zigaretten, Kaffee und Sex vor der Ehe ist bei Mormonen nie erlaubt. Das ist für so manchen merkwürdig: „Ihr seid Mormonen – seid ihr nicht extrem christlich?“, fragt eine junge Mitreisende im Zug. „Wir sind nicht extrem, wir halten uns nur an die Gebote“, meint Sister Chard.

„Wahrscheinlich Gottes Plan“

Die Missionarinnen besuchen einen grauhaarigen Herrn namens Wolf. Er sei protestantisch getauft, sagt er. Wolf trägt heute ein Hemd und eine Krawatte, was die Missionarinnen sofort bemerken und ihm Komplimente machen. Sie haben Wolf in einem Park kennengelernt, daraufhin hat er sie zu sich eingeladen, um mit ihm über Glaubensfragen zu sprechen. Heute besuchen sie ihn zum dritten Mal. „Hast du im Buch Mormon gelesen?“, fragt Sister Chard. „Ich habe etwas über eure Taufe gelesen“, sagt Wolf. „Hast du es verstanden? Hast du Fragen?“, wollen die Sisters wissen. Wolf hat keine Fragen zur Taufe.

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Gottes Pläne: aus Sicht der Mormonen nicht unergründlich. Foto: © Kristina Staab

Die Sisters haben Textstellen aus der Bibel und dem Buch Mormon vorbereitet. Sie lesen sie vor und fragen Wolf, wie er sie versteht, und diskutieren darüber, was sie bedeuten. Außerdem hat Sister Chard ein Puzzle mit der Aufschrift „Der Erlösungsplan“ mitgebracht. Er zeigt das Leben aus der Perspektive der Mormonen. Der Geist kommt aus einem Geisterreich durch die Geburt auf die Erde. Durch den Tod kommt er wieder in eine Geisterwelt. Nur wer sich im Leben und nach dem Tod an die Gebote Gottes hält, darf schließlich in Gottes Reich eintreten. Teil für Teil fügt Sister Chard ein, fragt Wolf, was er darunter versteht, und legt ihre Sichtweise dar. Der Erlösungsplan ist die Grundbotschaft, die die Missionare an alle Menschen weitergeben und erklären wollen. „Die Entscheidungsfreiheit der Menschen macht den Plan perfekt“, sagt Sister Chard.

„In der Kirche sind alle freundlich, spielen kein falsches Spiel, die Freundlichkeit ist mir sehr wichtig“, erklärt Wolf. „Ich wohne allein mit meinem Hund und finde es schön solche Gespräche zu führen. Toll, dass sich diese jungen Damen mit so einem alten Mann einlassen. Wahrscheinlich war das Gottes Plan“, überlegt Wolf. „Bestimmt war es das!“, sagt Sister Chard.

Zum Schluss beten die Missionarinnen noch einmal zusammen mit Wolf. Sie fragen ihn außerdem, ob er weiter im Buch Mormon lesen und darüber beten wird. Wolf ist zögerlich, er habe viel mehr davon, wenn die Missionarinnen ihm persönlich von Textstellen erzählen, sagt er. „Auch wir machen Fehler, Wolf“, gibt Sister Robison zu bedenken, „es ist wichtig, dass du selbst die Textstellen interpretierst.“ Wolf lässt sich überzeugen, er werde weiter im Buch Mormon lesen.

Zonenleiter sind Missionare, die organisieren und Kollegen bei Problemen unterstützen. Der Aufbau der Mission: Ein Missionspräsident pro Land beruft Missionare zu bestimmten Positionen. Zwei Elders assistieren dem Präsidenten. Sieben Zonenleiter im Raum Frankfurt kümmern sich um bis zu 40 Missionare. Diese teilen sich wieder in Distrikte mit sechs bis zehn Missionaren auf, die von einem Distriktleiter organisiert werden. Sister-Trainer-Leaders übernehmen die gleichen Aufgaben für die weiblichen Missionare.
Kristina Staab

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juli 2013

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