Broiler aus der Kaufhalle

Foto: © Janna Degener
Wie hat sich die Sprache im Osten und Westen Deutschlands seit dem Mauerfall verändert? Norbert Dittmar, emeritierter Linguistik-Professor der Freien Universität Berlin, sagt, die „sprachliche Wiedervereinigung“ sei schon lange abgeschlossen. Sein Kollege Manfred Hellmann, der zu dem Thema am Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim geforscht hat, spricht dagegen von einer „sprachlichen Übernahme“. jádu-Autorin Janna Degener hat einige Studenten der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin nach ihren persönlichen Eindrücken gefragt.

Foto: © Janna DegenerJulian, 18: Ich komme aus Ragow in Brandenburg, nicht weit von Wildau entfernt, und habe immer hier gelebt. Hier an der Hochschule merkt man im Alltag keinen Unterschied im Sprachgebrauch zwischen Ost- und Westdeutschen. Aber manchmal benutzt man die alte Ostsprache, um einen Spaß zu machen. Da sagt man dann „Plaste“ oder man spricht scherzhaft mit einem Ostakzent. Ich kenne das vor allem aus dem Fernsehen, aber meine Oma spricht auch mit Berliner Akzent, und der hört sich so ähnlich an wie der Ostakzent. Vor dem Mauerfall wurde im Osten sicherlich überall nur so gesprochen.

Katja, 24: Ich komme aus Gera in Thüringen und habe da bis zu meinem 20. Lebensjahr gelebt. Ich denke, dass sich die Sprache in DDR und BRD vor dem Mauerfall auf jeden Fall unterschieden hat – allein wegen des offiziellen Sprachgebrauchs in der DDR. Wir haben da zum Beispiel nicht „Fahne“ oder „Flagge“ gesagt, sondern „Winkelement“. Für unsere Generation spielt die DDR-Politik keine Rolle mehr, weil die, die ab 1990 geboren sind, das gar nicht mehr miterlebt haben. Aber natürlich gibt es noch die regionalen Unterschiede in der Sprache, wie überall. Wer im ostdeutschen Umfeld aufwächst, lernt noch die Uhrzeit anhand eines Kuchens. Deshalb sagen wir zum Beispiel „drei viertel neun“ und nicht „viertel vor neun“. Aber es wird weniger, und man sagt heute zum Beispiel kaum noch „Broiler“, sondern eher „halbes Hähnchen“.

Foto: © Janna DegenerKenny, 20: Ich komme aus Königs Wusterhausen bei Berlin und lebe jetzt gleich um die Ecke in Wildau. Ich denke, dass es auf jeden Fall Unterschiede zwischen der Ostsprache, die zu DDR-Zeiten von FDJ und SED eingeführt wurden und der Westsprache gibt,. Zum „Wochenendgrundstück“ sagt man in Ostdeutschland zum Beispiel „Datsche“, ehrenamtlich geleistete Arbeit nennt man mitunter noch „Subbotnik“. Man sagt nicht „Plastik“, sondern „Plaste“. Das sind solche Begriffe, die ältere Leute im Osten noch verwenden und die im Westen unbekannt sind. Die Jüngeren verwenden eher die Begriffe, die man auch im Westen kennt: Man geht also zum Beispiel in den „Supermarkt“, und nicht mehr in die „Kaufhalle“. Die Ostsprache stirbt aus, weil sie nicht mehr staatlich gelenkt ist. Wir haben ja auch die westdeutschen Fernsehsender übernommen, und da wird die Sprache des Westens gesprochen.

Foto: © Janna DegenerJulian, 20: Ich komme ursprünglich aus Niedersachsen und bin vor eineinhalb Jahren nach Berlin gekommen, wo ich in Charlottenburg, also im Westen der Stadt wohne. Ich habe erst an der Humboldt-Universität in Berlin studiert und bin dann an die Technische Hochschule Wildau gewechselt. Hier ist der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen heute nicht so auffällig. Aber als ich neulich mal in Berlin-Hohenschönhausen, im Osten der Stadt, war, habe ich bemerkt, dass die Leute schon anders sprachen, und zwar einen starken Berliner Dialekt: Die Ausdrucksweise war irgendwie anders und es gab Wörter, die ich nicht verstand. Ich denke, bei älteren Menschen ist das noch verbreitet, und das färbt auch auf Jugendliche ab. Aber an Hochschulen spielt das aus meiner Sicht keine Rolle mehr.

Benjamin, 32: Ich bin in Berlin-Lichtenberg geboren, habe den Großteil meiner Kindheit in Berlin-Marzahn verbracht und wohne jetzt in Berlin-Lichtenberg. Ich war also immer im Ostteil der Stadt zu Hause. Dass es Unterschiede im Sprachgebrauch zwischen Ost und West gibt, habe ich nicht so intensiv wahrgenommen. An der Hochschule habe ich jetzt Kontakt zu Leuten aus anderen Bundesländern und da fällt auf, dass sie manche Wörter nicht kennen, die ich verwende: Zum Beispiel „Kanten“ für das letzte Stück vom Brot.

Foto: © Janna DegenerAnnemarie, 26: Ich komme aus Berlin-Grünau und lebe da auch jetzt noch. Darüber, ob sich die Sprache in DDR und BRD vor dem Mauerfall unterschied, weiß ich nichts. Heute macht es in Berlin kaum noch einen Unterschied, ob jemand aus dem Osten oder aus dem Westen kommt. Aber manchmal kann man es doch noch erkennen, weil die Leute aus dem Osten nicht unbedingt Hochdeutsch sprechen.

Janna Degener

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Januar 2015


Foto: Günter Höhne © picture alliance/ZB

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