28. November 2015
60 Jahre Goethe-Institut Thessaloniki

Festrede von Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

Das Goethe-Institut wird 60 Jahre alt und ist damit eines der ältesten Institute in der Welt. Es hat sich zu seinem eindrucksvollen Geburtstag selbst ein Geschenk gemacht: Alle Gebäude wurden saniert und renoviert und für neue Aufgaben ausgestaltet. Das griechisch-deutsche Team von Architekten und Architektinnen, Planern und Bauleuten hat es in diesen schwierigen Zeiten geschafft, im Kosten- und Zeitplan zu bleiben. Eine großartige Leistung im baulichen und logistischen Ergebnis! Es wird künftig nicht nur lokal agieren sondern verstärkt auch regional arbeiten, insbesondere in den Bereichen Bildung und Fortbildung. Es wird ein Residenzprogramm aufbauen und im Zusammenhang mit einem Open Space für junge Kreative einen intensiven Ideenaustausch und Innovationsprozess fördern.

Das eigene Geschenk dient also nicht dem Eigennutz sondern dem Gemeinnutz, der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und hier insbesondere den jungen Leuten. Das Goethe-Institut Thessaloniki ist nicht 60 Jahre alt sondern 60 Jahre jung, mit einer aufregenden Dynamik, neuen Möglichkeiten und wichtigen Aufgaben.

Schon immer war das Goethe-Institut Thessaloniki im Kulturleben der Stadt fest verankert und mit allen Partnern in der Stadt und in Nordgriechenland gut vernetzt – u.a. mit der Stadtverwaltung, der Präfektur, den Museen, Theatern und griechischen Künstlerinnen und Künstlern und Kulturschaffenden. Es genießt eine hohe Wertschätzung und ist deshalb besonders auch in kritischen Zeiten mit seiner Glaubwürdigkeit ein Frei- und Dialograum für die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen der Gegenwart, die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, den Reform- und Sparkurs mit den Auflagen der Europäischen Kommission, den Flüchtlingsströmen aus Afrika und dem Nahen Osten, zu erheblichen Belastungen der Gesellschaft und des Einzelnen führen. Zu dem spürbar positiven Einfluss tragen in Thessaloniki nicht zuletzt die rund eine Millionen Arbeitsemigranten und ihre Familien bei, die in den 60er Jahren als erste Gastarbeiter ihre Erfahrungen in Deutschland gemacht haben und in ihre Heimat zurückgekehrt sind.

Europa, insbesondere die Europäische Union, hat sich zunächst ausschließlich als Wirtschaftsraum verstanden. Inzwischen wissen wir, dass eine ökonomisch bedingte Weltsicht nur bedingt zukunftsfähig ist. Die Belastbarkeit verengt sich dann schnell auf ökonomische Daten. Solche Voraussetzungen genügen nicht, ein europäisches Selbstbewusstsein zu schaffen, einen offenen partnerschaftlichen Dialog zu führen und eine inhaltliche Neuorientierung herbei zu führen. Die Entwicklungen der neuesten Zeit haben deutlich gemacht, wie fragil der gemeinsame Handlungsrahmen ist. Ein von oben verordnetes Europa wird auf Dauer ohne eine aktive zivilgesellschaftliche Teilhabe nicht erfolgreich sein.

Thessaloniki mit seiner mehr als 2000-jährigen Geschichte hat tiefgreifende Umbrüche seit Beginn des 20. Jahrhundert verarbeiten müssen, die Stadt und Gesellschaft nachhaltig verändert haben und noch heute nachwirken, vom Ende des Osmanischen Bereiches, der Besatzung und den Kriegsverbrechen der Deutschen, dem Bürgerkrieg, der Militärdiktatur. Der Beitritt zum Euroraum bedarf noch der stabilisierenden Aufarbeitung.

Europa ist auch und vor allem Kultur. Es geht um die politische Kraft der Kultur. Sie ist kein privater Spielplatz für Künstler und Intellektuelle, sie ist auch nicht der Grundstoff für die Kommerzialisierung, sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft, um offen zu sein und Neues zu denken. Daran arbeitet das Goethe-Institut. Sie tut das in einer Stadt, die trotz der massiven finanziellen Einschnitte ihr kreatives Potential zu nutzen sucht, sich über den engen lokalen Rahmen öffnet und positive Veränderungen ermöglicht. Das macht sie inzwischen zu einem hoffnungsvollen Ort der "jungen Kreativen" in der Kultur und der Wirtschaft. Das Goethe-Institut nimmt nur allzu gern diese Ansätze auf und beteiligt sich an Veranstaltungen, Festivals und Koproduktionen.

Das Interesse an der deutschen Sprache ist ungebrochen hoch, wobei die derzeitige Krise leichte Rückgänge zeigt. Aber noch immer ist das Goethe-Institut Thessaloniki mit jährlich ca. 18 000 Prüfungen eines der größten Prüfungsinstitute weltweit. Seit 2011 touren zwei Deutschwagen durch Griechenland mit einer hohen Akzeptanz. Sie waren in 700 Schulen. Sie haben mit ihren Möglichkeiten 40 000 Menschen erreicht, sie informiert, Gespräche geführt, Fragen beantwortet und sich ausgetauscht. Diese Begegnungen waren für das gegenseitige Verstehen ungemein wichtig. Es ist bezeichnend, dass das Institut Thessaloniki das Deutschwagen-Projekt federführend betreut. Die Zusammenarbeit bei Sprache und Bildung mit der Deutschen Schule Thessaloniki ist dafür ein wichtiges Element, auch mit dem DAAD. Das Generalkonsulat unterstützt wirkungsvoll die Aktivitäten, wobei es hier auch um Lehrerfortbildung, und berufliche Ausbildung geht.

In der Programmarbeit konzentriert sich das Goethe-Institut auf die derzeitigen spezifischen Probleme der urbanen Transformationsprozesse, der hohen Jugendarbeitslosigkeit, der Entwicklungsmöglichkeiten zum Balkan, auf die Chancen von Kreativwirtschaft und die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Deshalb stärken wir Austauschprogramme von Autoren und Künstlern, fördern die Übersetzung von Literatur, investieren in Film und Medien, arbeiten zusammen mit Bürgerinitiativen und stärken die kulturelle Infrastruktur. Hier kommt es auch zu wirkungsvollen Kooperationen mit anderen europäischen Kulturinstituten. Der Lernort Bibliothek ist ein wichtiger Ort des Austausches und der Information über Deutschland.

Das Goethe-Institut Thessaloniki ist mit den jetzt verfügbaren Möglichkeiten sehr aktiv in europäischen und internationalen Projekten. Und das ist gut so! Es rückt damit die Region wieder stärker von der Peripherie ins Zentrum.

Ein großes Projekt ist Artecitya, ein EU-Projekt (2015 – 2019) mit acht europäischen Städten. Es verfolgt das Ziel, öffentliche urbane Räume durch die aktive Beteiligung von Bürgern, Künstlern, Architekten und Stadtplanern neu zu gestalten und zu lebenswerten Städten der Zukunft zu entwerfen. Die Künstlerresidenz ist durch das Projekt schon Ende dieses Jahres aktiv.

stART richtet sich an griechische Hochschulabsolventen, die sich im internationalen Kulturmanagement qualifizieren wollen, es begann 2015 und kooperiert mit der Bundesvereinigung soziokultureller Zentren Berlin, unterstützt von der Robert Bosch Stiftung.

Nach dem großen CIN-Forum 2014 spiegeln auch das Literaturfestival „Das weiße Meer“, eine Kooperation mit der Allianz-Stiftung und der Akademie der Künste und der große NECE-Kongress im Oktober in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung, klar das neue Profil des Goethe-Instituts Thessaloniki wider.

Der deutsch-griechische Zukunftsfonds finanziert das Ausstellungsprojekt „Gespaltene Erinnerung“, eine Koproduktion mit dem Makedonischen Museum, dem Jüdischen Museum Thessaloniki und dem Deutschen Historischen Museum (2015/2016). Es befasst sich mit der deutschen Besatzungszeit und mit dem griechischen Bürgerkrieg.

Auch im Bereich von Flüchtlingsfragen gibt es verschiedene Kunstprojekte. Zum einen „Silent Migration“, eine Theaterperformance, die sich einerseits mit dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch 1923 und mit dem polnisch-deutschen nach 1945 befasst; zum anderen ein Vernetzungsprojekt mit dem „Cultural Innovators Network“, einem Vernetzungs- und Entwicklungsprojekt für junge Aktivisten im Kulturbereich, das sowohl die Flüchtlingsfragen des Nahen Ostens als auch die Auswirkungen in Südeuropa behandelt. Bereits 2013 hatte das Goethe-Institut Thessaloniki zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung und lokalen NGOs sehr erfolgreich eine Tagung zu „Asyl und Flüchtlinge“ organisiert und ist seither mit den Flüchtlingsorganisationen gut vernetzt.

Das Goethe-Institut wird zunehmend als „Thessaloniker Einrichtung“ gesehen und gesucht. Es ist das offene Haus für die entscheidenden gesellschaftlichen Themen, unabhängig und glaubwürdig. Es wird als Brücke zwischen Griechenland und Deutschland wahrgenommen. Es ist ein gesuchter Akteur in der Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. Es erhält zunehmend Bedeutung für europäische und internationale Anbindung, interreligiöse Fragen und Erinnerungskultur.

Das ist alles mit großer Verantwortung, hohem Engagement und verfügbarer Expertise verbunden. Deshalb gilt an einem Festtag wie heute mein großer Dank in aller erster Linie den Kolleginnen und Kollegen des Goethe-Instituts Thessaloniki mit ihrem Leiter Peter Panes, die nicht nur das langjährige Vertrauen im Land erworben und gesichert haben sondern auch erneut einen weiteren gewichtigen Schritt in die Zukunft tun, um Chancen zu nutzen, unser beiderseitiges Verhältnis positiv zu entwickeln, Hoffnung zu geben und Verantwortung für einen gemeinsamen europäischen Kulturraum zu übernehmen.

Blaise Pascal hat im Zusammenhang mit Europa einmal gesagt: "Vielfalt, die sich nicht zur Einheit ordnet, ist Verwirrung. Einheit, die sich nicht zur Vielfalt gliedert, ist Tyrannei."

Es gilt das gesprochene Wort.
 

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