14. Oktober 2016
Fünf Jahre Villa Kamogawa

Begrüßungsrede des Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann

Sehr geehrte Damen und Herren,
 
wir sind heute hier zusammen gekommen, um das fünfjährige – überaus erfolgreiche – Bestehen der Villa Kamogawa zu feiern. Ich erinnere mich gerne an die Eröffnung am 26.10 2011 mit dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Damals wurde die Villa Kamogawa als erste Künstlerresidenz des Goethe-Instituts anlässlich des 150jährigen Jubiläums der deutsch-japanischen Beziehungen eröffnet. Seither ermöglichen wir jedes Jahr zwölf Stipendiatinnen und Stipendiaten, für drei Monate hier in Kyoto zu leben und zu arbeiten.
 
Unser Namensgeber Johann Wolfgang von Goethe hätte sich hier in der Villa Kamogawa sicher auch wohl gefühlt. Warum? Goethe hat immer wieder in seinen Schriften über das Eigene und das Fremde reflektiert. Aussagen finden sich in Maximen und Reflexionen, im West-Östlichen Divan oder in den Gesprächen mit Eckermann. So schreibt er:
 
„Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.“

Oder:
„Die Existenz fremder Menschen sind die besten Spiegel, worin wir die unsrige erkennen können.“
 
Die Zitate sprechen von der Erfahrung mit der Fremdheit und vom Nutzen der Wechselwirkung.  Das Verlassen der eigenen heimatlichen Denk- und Lebensstrukturen sind entscheidende Voraussetzungen für Offenheit, Erkenntnis, Verstehen und Verständnis. Goethe plädiert für Weltoffenheit und Weltneugier, er plädiert aber auch dafür, sich des Eigenen bewusst zu sein – und das Eigene und das Fremde nicht vermessend, sondern in ihrer Unterschiedlichkeit gleichwertig neben- und miteinander zu denken.
 
Diese Auffassung Goethes ist für unsere Zeit keine Selbstverständlichkeit, aber eine umso dringendere Notwendigkeit. Ohne kulturelles Verständnis, ohne Dialogfähigkeit wird unsere Welt immer weniger lesbar und zugänglich. Es braucht Menschen, die sich dem Dialog aussetzen, mit der Fähigkeit des Umgangs mit kulturellen Unterschieden, mit der Kenntnis anderer Modelle des Zusammenlebens, mit Empathie. Weltformeln bieten keine Lösung, sondern persönliche Begegnungen und Erfahrungen.
 
Künstlerresidenzen können die langfristige und nachhaltige Vernetzung zwischen kulturellen Szenen leisten, sie können einen ungewöhnlichen Perspektivwechsel ermöglichen, sie können kulturpolitische Impulse im Gastland und im Anschluss im Herkunftsland auslösen und sie bieten durch den Eigenwert künstlerischen Schaffens experimentelle Freiräume für Neues. Eine Produktionsverpflichtung besteht nicht, Residenzen sind zweckfrei und ergebnisoffen. Aber sie sind kein arkadisches Refugium sondern eher ein Basislager für Künstler und Intellektuelle. Sie sind Freistätten der Inspiration, der Begegnung und der künstlerischen Arbeit, die sich mit ihren Veranstaltungen einem vielfältigen Publikum öffnen. Es sind ehrgeizige Orte, die Zukunft schaffen!
 
Und das auch in schwierigen Zeiten. Wenn wir heute fünf Jahre Villa Kamogawa feiern, dann können wir das nicht, ohne daran zu erinnern, dass sich die Katastrophe von Fukushima ebenfalls zum fünften Mal jährt. Es ergibt sich von selbst, dass wir mit unserem Jubiläumsprogramm diesem tragischen Ereignis und allen davon betroffenen Menschen gedenken.
 
Ich möchte an dieser Stelle exemplarisch drei Stipendiatinnen der Villa Kamogawa nennen, die sich in ihrer Arbeit mit dieser Thematik auseinander gesetzt haben.
 
Als erstes Lucy Fricke. Die Autorin hat es gewagt, bereits im Katastrophenjahr 2011 ihren Residenzaufenthalt anzutreten. Ihre Erfahrungen in Kyoto hat sie in ihrem Roman „Takeshis Haut“ verarbeitet – ein Buch, das ich Ihnen allen ans Herz legen möchte.
 
Liebe Doris Dörrie, liebe Ulrike Haage: Es freut mich ganz besonders, dass Sie beide heute hier in Kyoto sind. Auch Sie beide haben sich während Ihrer Zeit in Kyoto mit dem Beben und seinen Folgen auseinander gesetzt – filmisch und musikalisch. Sie, liebe Doris Dörrie, mit Ihrem Film „Grüße aus Fukushima“, der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde und den wir heute Abend sehen werden. Sie, liebe Ulrike Haage, haben die beeindruckende und berührende Filmmusik dazu komponiert.  
 
Wir sehen: Durch Residenzen entstehen Netzwerke und Freundschaften, die lange über den eigentlichen Aufenthalt hinaus wirken. Der Aufenthalt in Kyoto dient den Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland nicht nur als Inspiration und künstlerische Orientierung. Das Goethe-Institut bringt sie auch in den persönlichen Kontakt mit der Kulturszene in Kyoto. So entstehen nachhaltige Verbindungen zu japanischen Kultureinrichtungen und Kulturschaffenden, wie aktuell beispielsweise mit dem Kyoto Art Center. Oder auch mit der französischen Künstlerresidenz, der Villa Kujoyama.
 
Besondere Bedeutung kommt dabei auch der Alumni-Arbeit zu. Sie zu pflegen wird künftig noch stärker Bestandteil der Residenzarbeit sein. Die Villa Kamogawa geht hier mit gutem Beispiel voran. Für einen erneuten Arbeitsaufenthalt oder ein Folgeprojekt nach dem Ende des Stipendiums können die Alumni künftig direkt bei der Villa Kamogawa eine Nachförderung beantragen. Neben der Möglichkeit einer individuellen Nachförderung wird die Villa Kamogawa zusammen mit japanischen Partnern in den kommenden Jahren themenorientierte Veranstaltungen auf Einladungsbasis planen, bei denen die Alumni sich mit japanischen Kulturakteuren zu gemeinsamen Themen austauschen und präsentieren.
 
Mein herzlicher Dank für diese Initiativen gilt dem Leiter der Villa Kamogawa, Markus Wernhard, und seinem ganzen Team!
 
Nun freue ich mich aber, Ihnen, liebe Doris Dörrie, das Wort zu übergeben.
Einen inspirierenden Abend!

Es gilt das gesprochene Wort.

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