25. April 2018
Ausstellung „African Mobilities: This is not a Refugee Camp“

Eröffnungsrede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

Anrede,

ich freue mich sehr, heute Abend mit Ihnen die multidisziplinäre Ausstellung „African Mobilities: This is not a Refugee Camp" – die auch auf Initiative des Goethe-Instituts entwickelt worden ist, welches sich ebenso an der geplanten Tournee auf dem afrikanischen Kontinent beteiligen wird – eröffnen zu dürfen.

Die Ausstellung kommt in der gegenwärtigen Situation zum rechten Zeitpunkt, denn zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Bis 2050 werden vermutlich zwei Drittel der Erdbewohner in urbanen Zentren leben, sie werden der unmittelbare Lebens- und Erfahrungsraum für die Menschen sein. Schon im Mittelalter galt der Grundsatz: „Stadtluft macht frei". Damit waren aber nicht die Job- und Ausbildungschancen oder die besseren Möglichkeiten zu einer unabhängigen und individuellen Lebensgestaltung gemeint, sondern der Rechtsgrundsatz, dass Leibeigene ihre Freiheit erlangen, wenn sie es schafften, in eine Stadt zu fliehen und sich dort ein Jahr lang ihrer Grundherren zu entziehen. Damals begründete sich ein Teil des urbanen Wachstums in der Landflucht. Und auch heute resultiert der wesentliche Teile des Wachstums der Städte aus den globalen Migrationsströmen: Tag für Tag verlassen rund 170 000 Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika ihre Felder und Dörfer und ziehen in wuchernde Metropolen, wo die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt.

Die Urbanisierung ist dabei nirgendwo in der Welt so ausgeprägt wie in Subsahara-Afrika; mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Kontinents lebt bereits in Städten. Städte wie Dar es Salaam in Tansania oder Nairobi in Kenia wachsen jedes Jahr um mehrere zehntausend Einwohner – was sie vor enorme Herausforderungen stellt, nicht zuletzt im Versorgungsbereich.

Phänomene wie Migration, demografischer Wandel oder Erderwärmung werfen Fragen auf. Wer erbaut die Stadt und wer gestaltet ihre Zukunft? Wie können Investoren, Architekten, Stadtplaner, Einwohner und informelle Siedler gemeinsam daran arbeiten, nachhaltige Städte zu schaffen, die den Bedürfnissen ihrer Einwohnerinnen und Einwohner gerecht werden? Es bedarf geeigneter Voraussetzungen, welche die Architektur bereitstellen muss. Die Architektur muss hier gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, um das menschliche Zusammenleben menschenwürdig zu ermöglichen und dem Urbanismus eine soziale Form geben.

Das Goethe-Institut engagiert sich in diesen Fragen seit einigen Jahren mit entsprechenden Projekten gemeinsam mit Architekten, Wissenschaftlern und Künstlern für einen überzeugenden Pragmatismus, der ein menschenwürdiges Zusammenleben in den Städten schafft. Dabei spielen das starke Anwachsen der Stadtbevölkerung, die aktuellen Migrationsbewegungen, die unterschiedlichen demografischen und zivilgesellschaftlichen Entwicklungen sowie die Tendenzen gegenseitiger Abschottung einerseits und globaler Vernetzung andererseits eine gewichtige Rolle.

So hat das Goethe-Institut beispielsweise die Ausstellung „AFRITECTURE" – sozusagen die Vorgängerausstellung zu „African Mobilities" – gemeinsam mit dem Architekturmuseum der TU München organisiert, die gebaute Projekte in elf Ländern Afrikas zeigte, welche auf einen sozialen Wandel durch gestalterische Maßnahmen zielten. Oder die Tournee-Ausstellung „Think Global, Build Social", die 15 internationale Positionen einer alternativ sozial engagierten Architektur weltweit zeigte, die sich mit der sozialen Verantwortung von Architektur auseinandersetzte.

Für mich sind das wunderbare Beispiele für die Möglichkeiten, die das Netzwerk des Goethe-Instituts bietet, sich im globalen Austausch mit den drängenden Fragen unserer Zeit zu beschäftigen.

Mit insgesamt 47 Ländern, 650 Millionen Einwohnern und mehr als 1.000 Sprachen ist Subsahara-Afrika eine stark heterogene Region. Das Goethe-Institut verfügt über ein intensives Netz und arbeitet aktuell in elf Instituten und drei Verbindungsbüros, fördert sechs Goethe-Zentren, sowie zahlreiche Sprachlernzentren und Prüfungspartner. Darüber hinaus arbeiten wir in Ländern, wo wir nicht vertreten sind, mit deutschen Botschaften und anderen deutschen Institutionen zusammen. Die meisten Institute blicken auf eine lange Geschichte zurück: Die ersten wurden 1961 in Togo (Lomé), Kamerun (Yaoundé) und Ghana (Accra) eröffnet. Allein seit 2008 sind Repräsentanzen eröffnet worden in Tansania, Angola, Ruanda, Burkina Faso, Kinshasa und Windhoek.

Kunst und Kultur benötigen Strukturen, um sichtbar zu sein. Das Goethe-Institut verfügt über enge Kontakte vor Ort, es ist vertraut mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Kulturen, es betreibt Koproduktionen und Austausch. Daher hat das Goethe-Institut große Projekte initiiert, die Plattformen schaffen für Musik, Film und Fotografie. Darunter „Music in Africa", eine Plattform, die das Goethe-Institut gemeinsam mit der Siemens-Stiftung geschaffen hat. Mit einem innovativen digitalen Konzept stärkt das Portal die weltweite Wahrnehmung des afrikanischen Musiksektors, fördert Vernetzung und Kompetenzaufbau und eröffnet so zahlreiche Chancen. Bis 2019 werden sich alle afrikanischen Länder daran beteiligen. Damit wird der Aufbau kultureller Infrastrukturen, die den Künstlern nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine ökonomische Zukunft geben, gestärkt. Ich vertrete die Auffassung: Zugang zu Wissen und kulturellem Erbe stärken die Eigenverantwortung und das Entstehen von Zukunftsentwürfen, die für Afrika vor allem auch in Afrika entstehen müssen.

Auch der Koalitionsvertrag setzt einen deutlichen Schwerpunkt in der kulturellen Zusammenarbeit mit Afrika – darunter fallen schwierige Themen wie die Aufarbeitung des Kolonialismus und der notwendigen Provenienzforschung. Das Goethe-Institut bezieht hier in ersten Projekten wie bei „Unvollendete Vergangenheit" die afrikanischen Perspektiven durch Kuratorinnen und Kuratoren aus den ehemaligen Kolonialgebieten Deutschlands ein.

Aber auch die Zukunftsprogramme für Bildung spielen eine große Rolle. Zielgruppe sind die Frauen, die oftmals einen ungenügenden Zugang zu Wissen und Bildung haben, die aber eine prägende gesellschaftliche Rolle übernehmen können. Nur mit ihnen lässt sich der sozioökonomische Wandel einleiten. So investiert das Goethe-Institut in Subsahara-Afrika in einen verbesserten Zugang zu unterschiedlichen formalen und non-formalen Bildungsangeboten, insbesondere für junge Menschen und Frauen. Die Bandbreite der Bildungs- und Ausbildungsangebote des Goethe- Instituts ist dabei sehr groß: Während zum Beispiel „Wiki loves Women" Frauen einlädt, als Autorinnen für Wikipedia aktiv zu werden und so mehr Wissen über die Bedeutung von Frauen in politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Prozessen in Afrika zu produzieren, motiviert „I am Science" Schülerinnen dazu, sich über eine App auf ihren Mobiltelefonen mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Beide Programme stärken den eigenbestimmten und kreativen Umgang von jungen Mädchen und Frauen mit digitalen Inhalten. Bessere Bildung zeigt ihre Wirkung zwar erst nach Jahren, dann aber ist sie das beste Mittel.

Ich hoffe deshalb sehr, dass wir den neuen Koalitionsvertrag nutzen, um weitere afrikanische Institute gründen zu können, denn unser Nachbarkontinent hat ein enormes Potenzial. Er steht im Zentrum weltweiter Aufmerksamkeit – und will die Zukunft maßgeblich mitgestalten!

Für das Goethe-Institut ist es ein glücklicher Umstand, mit dem Architekturmuseum der TU München so eng im Denken, Planen und Realisieren zusammenarbeiten zu können. Herzlichen Dank dafür! Dank auch an die University of the Witwatersrand in Südafrika. Dank allen, die sich diesem wichtigen Thema widmen. Uns wünsche ich eine inspirierende Eröffnung!

Es gilt das gesprochene Wort!

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