08. Juni 2018
Buchvorstellung Antje Vollmer „Doppelleben"

Grußwort des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

Anrede,

es ist mir eine große Freude, heute mit Ihnen gemeinsam der Vorstellung von Antje Vollmers Buch "Doppelleben. Ein Leben für den Widerstand" beizuwohnen. Einem Buch, das an den Offizier Lehndorf und seine Frau Gottliebe erinnert. Antje Vollmer hat damit einem Hitlergegner, der wenig bekannt war, obwohl er zu den engsten Mitwissern des Kreises um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow gehörte, ein Gesicht gegeben. Das macht den Wert des Buches aus! Gerade heute ist es wichtig, deutsch-polnische Themen aus der Zeit des Nationalsozialismus zu vermitteln und damit Legendenbildungen entgegen zu wirken.

Ich bin der Meinung: Literatur kann wie kaum eine andere Kunstgattung die Gesellschaft spiegeln, verhandeln und vermitteln und fehlende Brücken bauen. Der wunderbare Übersetzer und Schriftsteller Karl Dedecius, der uns Deutsche die polnische Literatur geöffnet hat, sagte: "Literatur ist ein Fenster, durch welches ein Volk einem anderen in die Augen schauen kann." Er hat Recht. Besonders gilt dies in unserem globalen, transnationalen Zeitalter, in dem ohne kulturelles Verständnis die Welt immer weniger lesbar wird. Die Vermittlung von Literatur ist dabei das Herzstück des internationalen Kulturaustausches und ihre Übersetzung das zentrale Instrument zur interkulturellen Verständigung und Wissensvermittlung.

Der Ende Mai veröffentlichte "Deutsch-polnische Barometer 2018", durchgeführt von der Körber-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Warschauer Institut für Öffentliche Angelegenheiten, kam zu dem (erfreulichen) Ergebnis, dass sich die große Mehrheit der Polen unverändert mit Europa identifiziere. Zeitgleich seien die Sympathien der Polen für die Deutschen als Nachbarn auf einem neuen Höchststand: Der Anteil der Befragten, die für die Deutschen "Sympathie" äußerten ist nach einem Einbruch auf 30 Prozent nach der ersten Regierungszeit der PiS auf 56 Prozent gestiegen. Ein hoffnungsvolles Ergebnis, mit dem wir sorgfältig umgehen sollten. Bei den Deutschen waren das Verständnis und die Sympathien für den polnischen Nachbarn schon besser. Auch daran müssen wir arbeiten. Denn Deutschland braucht Polen als Partner mehr denn je.

Es sollte uns deshalb ein besonderer Ansporn sein, den kostbaren Schatz unserer guten Beziehungen auch in der Zukunft zu hüten und zu pflegen und uns auch durch aktuelle Störanfälligkeiten nicht irritieren zu lassen. Die deutsch-polnischen Beziehungen sind für beide Seiten von herausgehobener Bedeutung, die mit der Aussöhnung durch die katholischen Bischöfe in Polen 1965 begann, ehe 1968 die Denkschrift namhafter deutscher Katholiken erschien. Wir alle erinnern uns an das Bild vom Kniefall von Willy Brandt 1970 vor dem Ghetto-Denkmal in Warschau, in dessen Kontext es auch um die Anerkennung der Westgrenze Polens ging. 1990 kam es schließlich zur Unterzeichnung des Grenzvertrages zwischen dem vereinigten Deutschland und Polen; 2004 dann der Beitritt Polens in die EU. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der polnischen Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg der Bundespräsident am 5. Juni zu den Feierlichkeiten eingeladen wurde. Während die Politik die Rahmenbedingungen und die Akzente setzt, werden die Beziehungen mit Leben durch die Menschen selbst erfüllt.

Das Goethe-Institut nimmt sich in seiner beharrlichen Arbeit den deutsch-polnischen Beziehungen, wie sie etwa in der Förderung der Übersetzung zum Ausdruck kommt, dabei stetig an. Schließlich kommen wir auch heute hier zusammen, um ein übersetztes Buch vorzustellen. Das Goethe-Institut sieht in der Übersetzerförderung sowie in der Übersetzungsförderung ein wichtiges Arbeitsfeld und unterhält eine ganze Reihe von Initiativen, mit denen es sich für Übersetzungsförderung einsetzt und diese auch weiterhin fördern will. Im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jahres (2004/2005) haben wir beispielsweise gemeinsam mit der S. Fischer Stiftung ein Programm unter dem Titel "SCHRITTE / KROKI" zur Intensivierung der Übersetzung zeitgenössischer deutschsprachiger Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ins Polnische initiiert. Insgesamt sind im Rahmen der Reihe bis 2015 58 Titel erschienen. Darüber hinaus vergibt das Goethe-Institut gemeinsam mit Partnern auch verschiedene Übersetzerpreise, mit denen herausragende Übersetzerinnen und Übersetzer ausgezeichnet werden, die mit ihrer Tätigkeit zur Verbreitung zeitgenössischer Literatur in den Ländern beitragen. Dazu zählt beispielsweise auch der Brücke Berlin Preis, der mit Olga Tokarczuk (2002, Esther Kinsky für „Taghaus, Nachthaus") und Szczepan Twardoch (2016, Olaf Kühl für "Drach") bereits zwei polnische Preisträger hervorbrachte. Im vergangenen Jahr war Deutschland Gastland der Warschauer Buchmesse, der wir ein literarisches Begleitprogramm (mit Herta Müller u.a.) beisteuerten. Doch natürlich treiben wir auch in anderen Sparten den Austausch voran: Die "Radiobrücke" mit radio eins des Rundfunk Berlin Brandenburg im Goethe-Institut Warschau; bei der täglich live von 16 bis 19 Uhr aus dem Goethe-Institut gesendet und zum Beispiel nach den Auswirkungen der verbreiteten Europakritik in Polen gefragt wurde, zeichnete durch Künstlerinnen, Journalisten und Bürgerinnen den deutschen Zuhörern ein aktuelles Stimmungsbild der Stadt mit besonderem Blick auf die Kulturszene. 2016 war Breslau Europäische Kulturhauptstadt. In unserem Kulturprogramm des sogenannten "Pop Up Pavillons" (Glaspavillon am Neumarkt) mit deutlich europäischer Akzentuierung gab es viele Projekte, die sich mit der deutsch-polnischen Geschichte der Stadt befassten. Oder das Projekt Seitenwechsel: Für eine Woche tauschten der Leiter des Goethe-Instituts in Warschau und die Direktorin des Polnischen Instituts in Berlin 2016 ihre Schreibtische, im Gepäck jeweils die Kultur des Gastlandes. Eine wunderbare Aktion, die auch heute noch möglich sein sollte.

Eingangs zitierte ich den Schriftsteller Karl Dedecius, der 1921 als Sohn eines Beamten in Lodz geboren wurde und in einer deutsch-stämmigen Familie das Glück hatte, zweisprachig aufzuwachsen. Er verstand Sprache und Literatur als Mittel der Völkerverständigung. Denn: Wer die gleiche Sprache spricht, kann sich nicht nur miteinander verständigen, sondern die Fähigkeit zur Verständigung stiftet immer auch ein Gefühl der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit. Es erfreut uns deshalb sehr, dass nirgendwo in der Welt so viele Menschen Deutsch lernen wie in Polen. Über 2 Millionen Schüler lernen Deutsch. 108 polnische Schulen sind Partnerschulen Deutschlands. Der DAAD hat bis 2015 mehr als 70 000 polnische und 27 000 deutsche Wissenschaftler gefördert, das 2002 in Wroclaw gegründete Willy Brandt-Zentrum ist eines der wichtigsten Forschungseinrichtungen zu Deutschland in Polen. Zudem existieren erfolgreiche Germanistiklehrstühle in Polen oder in den zahlreichen Schulen, an denen Deutsch unterrichtet wird. Bilinguale Kooperationen auf Länderebene mit Brandenburg und Sachsen existieren zwar vereinzelt bereits, generell ließen sich diese aber sicherlich noch weiter ausbauen, was auch von Seiten des Goethe-Instituts begrüßt würde – als eine wichtige Aufgabe in unserer Zeit, in der die sprachliche Verständigung eine der nötigsten Voraussetzungen ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Es gilt das gesprochene Wort!

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