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Lebensfreude durch Zusammenwohnen

Lebensfreude durch Zusammenwohnen
Foto: Kalle Kervinen

Im Helsinkier Wohnheim Sanervakoti wohnen Demenzkranke, psychiatrische Rehapatienten und Studierende unter einem Dach. Die Studierenden beteiligen sich am gemeinsamen Alltag und sorgen für Aktivitäten für die betreuten Bewohner.

In den Gängen des Sanervakoti hört man jemanden Gitarre spielen. Bewohner der dritten Etage haben sich im Speisesaal versammelt, um sich das Spielen von Nikita Rytkönen anzuhören. Bald geht man ins unterste Stockwerk, um Hefegebäck zu backen. „Hier kann ich mein musikalisches Können ausleben und zusammen mit den Bewohnern spielen. Das ist nützlich für mein Studium und macht gleichzeitig großen Spaß“, berichtet Rytkönen.

Das von der Diakonissenanstalt Helsinki unterhaltene Sanervakoti ist ein Pionier einer neuen Art des gemeinschaftlichen Wohnens in Finnland. Das im Osten der finnischen Hauptstadt gelegene Wohnheim beherbergt in seinen drei unteren Etagen psychiatrische Rehapatienten und Demenzkranke, die Pflege rund um die Uhr benötigen. Der vierte Stock ist für Studierende reserviert, die gegen Arbeitsleistung im Haus günstig wohnen können. Zu ihren Aufgaben gehören zum Beispiel Spaziergänge, gemeinsames Fernsehen oder andere Aktivitäten mit den Bewohnern des Hauses.

Helsingin Diakonissalaitos (Die Diakonissenanstalt Helsinki) ist eine gemeinnützige Stiftung, die Dienstleistungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungssektor anbietet. Sanervakoti bietet ein Zuhause für 48 Demenzkranke. Die Idee von Studierenden als Mitbewohner entstand im Frühjahr 2015, als nach einem Umbau eine ganze Etage leerer Zimmer zur Verfügung stand.

„Schon davor hatten wir uns Gedanken gemacht, wie man mehr Freude und soziales Leben in den Alltag von demenzkranken Menschen bringen könnte. Für die Bewohner werden schon täglich Aktivitäten wie Bewegung, Musik, Basteln und Kochen vom Pflegepersonal veranstaltet. Unser Ziel ist es jedoch, dass dieses sich auf die Pflegearbeit konzentrieren kann, während andere sich um die Kultur- und Hobbyaktivitäten kümmern“, sagt die Abteilungsleiterin Anna-Liisa Arjama, die auch für die Entwicklung der Pflegearbeit zuständig ist.

Im Sanervakoti ist man bestrebt, einen anstaltartigen Charakter aktiv zu vermeiden und stattdessen mit Lehranstalten und Freiwilligen zusammen zu arbeiten. Die im Haus lebenden Studierenden bringen Abwechslung in das soziale Leben der Bewohner. Die bekannten Gesichter und gemeinsamen Tätigkeiten tragen zu Geborgenheit und Gemeinschaftlichkeit bei. Zugleich bekommen die Studierenden wertvolle Erfahrungen, die sie auch im Arbeitsleben werden brauchen können.

Wohnheim für betreutes Wohnen

Im August 2015 sind die ersten Studierenden ins Haus eingezogen. Sie wurden in erster Linie aus dem Studiengang Krankenpflege der Diakonissenanstalt selbst ausgesucht, aber es wohnen auch Studierende anderer Lehranstalten im Wohnheim.

„Hier könnte genauso jemand wohnen, der Kleinmaschinenreparatur studiert. Wir haben viele männliche Bewohner, und es ist nur von Vorteil, wenn jemand mit ihnen über Motoren und Maschinenöl sprechen kann“, stellt Arjama fest.

Der künftige Sozialassistent und Hobby-Gitarrist Nikita Rytkönen wohnt seit September im Haus. Von dieser Möglichkeit hat er über seine Lehranstalt erfahren, in einem Moment akuter Wohnungsnot. Vor dem Umzug hat er im Wohnheim Gespräche geführt und sich mit dem Haus vertraut gemacht. „Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt. Diese Wohnung ist ein Gewinn für mich. Und auch ein Gewinn für dieses Wohnheim“, erzählt er.

  • Nikita Rytkönen spielt für die Bewohner Gitarre. Die Aufgaben der Studenten werden nach deren eigenem Interesse vereinbart. Foto: Kalle Kervinen

    Nikita Rytkönen spielt für die Bewohner Gitarre. Die Aufgaben der Studenten werden nach deren eigenem Interesse vereinbart.

  • Tuulia Kivisaari bereitet mit einem Bewohner Teig vor. Später kommen die anderen Bewohner zum Backen dazu. Foto: Kalle Kervinen

    Tuulia Kivisaari bereitet mit einem Bewohner Teig vor. Später kommen die anderen Bewohner zum Backen dazu.

Geborgenheit und Abwechslung im Alltag

Die Studierenden können sich frei im Haus bewegen und abends Freunde in ihre Zimmer einladen. Manchmal werden in der vierten Etage auch gemeinsame Feste veranstaltet. „Man lebt hier ein ganz gewöhnliches Leben und achtet auf die Hausordnung wie in einem normalen Etagenhaus. Wenn ich ein Fest veranstalten will, so spreche ich darüber natürlich mit den anderen Studierenden“, sagt Rytkönen. Die Studierenden zahlen 350 Euro Miete pro Monat. Darin eingeschlossen ist ein Frühstück, das in den Gemeinschaftsräumen für alle Hausbewohner serviert wird. Die Bewohner der vierten Etage bekommen auch Unterstützung bei finanziellen Angelegenheiten und Fragen, die Wohnen und Studium betreffen.

Die studierte Sozialarbeiterin Tuulia Kivisaari, eine Mitarbeiterin des Sanervakoti, hat die Studierenden unter ihre Fittiche genommen. Sie erstellt mit jeder und jedem einen detaillierten Plan über die Arbeitsaufgaben und ist auch sonst im Alltag der jungen Erwachsenen dabei. „Ich besuche regelmäßig ihre Etage, um zu fragen, wie es ihnen geht. Die Jugendlichen kommen auch von sich aus, um mit mir zu sprechen, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. In Sachen Müll und Putzen der Küche habe ich mal etwas zu bemängeln gehabt. Inzwischen habe ich eine Art mütterliche Beziehung zu ihnen“, erzählt Kivisaari.

Man erwartet von den Studierenden, dass sie die Grundsätze des gemeinschaftlichen Wohnens beachten. Dazu gehören Respekt vor dem Verschiedensein, Zusammenarbeit und eine offene Einstellung. Es gibt jedoch keine strengen Regeln, sondern sie entwickeln sich im Laufe der gemachten Erfahrungen. Einmal im Monat gibt es gemeinsame Besprechungen, bei denen sich alle Hausbewohner und das Personal über das Zusammenleben und eventuelle Probleme austauschen.

Spiele und Fröhlichkeit

Der Mietvertrag der Studierenden sieht 20 bis 30 Stunden Arbeit im Monat vor. Beim Erstellen der Arbeitspläne werden das Können und die Interessen der Studierenden berücksichtigt und darauf geachtet, dass die Arbeitsaufgaben das aktuelle Studium ergänzen. Für die Arbeit im Wohnheim bekommen die jungen Erwachsenen Studienpunkte gutgeschrieben. Um sie zu ermutigen und sie im selbstständigen Arbeiten zu fördern, wird bei Bedarf mit dem Pflegepersonal zusammen gearbeitet.

Mittwochs organisieren die Studierenden für die anderen Bewohner Klubabende, bei denen man Zeit miteinander verbringt, indem man zum Beispiel zusammen Spiele spielt. Eine große Schar fröhlicher Menschen versammelt sich um den Tisch, und alle genießen das Beisammensein. „Es ist ein schönes Gefühl, andere Menschen um sich zu haben. Wenn man sonst nichts zu tun hat, kann man nach unten gehen und mit anderen fernsehen oder plaudern“, beschreibt Nikita Rytkönen den Hausalltag. Sanervakoti hat nicht mehr Ressourcen zur Verfügung als andere Einrichtungen und unterscheidet sich auch strukturell nicht von konventionellen Wohnheimen. „Unseren Bewohnern geht es auch gesundheitlich nicht besser, wir haben uns hier einfach Gedanken darüber gemacht, was man anders machen könnte. Mit der neuen Regelung ist es uns gelungen, Lebensfreude zu verbreiten – genau das, was wir uns erhofft hatten“, fasst Arjama zusammen.

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