Backsteinarchitektur prägt das Stadtbild von Hamburg und Toulouse. Sina und Mathilde machen sich auf die Suche nach den typischen Fassaden der beiden Städte.
Hamburgs „dynamische Melodie“
„Hamburg, meine Perle“ singen liebevoll die Fans des hiesigen Fußballklubs. Seine Eleganz, entstanden aus der Intelligenz, mit der es sein Erbe erneuert ohne es zu verraten, ist kaum zu übersehen.
Der erste Eindruck ist immer der Richtige, sagt man. Der, den ich bei meiner Ankunft in Hamburg hatte, hat sich bestätigt. Hamburg zieht einen schnell in seinen Bann, es lässt dem bewundernden Betrachter keine Zeit, seine anfängliche Begeisterung in Frage zu stellen. Auch ich konnte schließlich nicht anders, als die Harmonie der Fassaden, der langen Reihen aus braunem oder lackiertem Backstein zu spüren, die, wie in der Speicherstadt, perspektivische Perfektion erreichen.
Hamburgs Harmonie ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Brände, Bomben und Bauprojekte haben nur wenige Gebäude aus den vergangenen Jahrhunderten verschont, während die Politik in Frankreich das ein oder andere Stadtbild geglättet hat. Und auch wenn Hamburg die merkwürdigen Bauten der 1970er-Jahre weitgehend erspart blieben, ergötzt man sich offensichtlich an den gewagtesten architektonischen Innovationen. Aber wenn es eines gibt, was Hamburg fürchtet, ist es schlechter Geschmack, auch wenn er harmlos tut und alles, was einen die Stirn runzeln lässt, hinter dem versteckt, was der Hamburger Architekt Hadi Teherani als „dynamische Melodie“ bezeichnet.
So haben in Ottensen mehrere Geschäfte, ein Kino und eine Krippe scheinbar reibungslos das Grundgerüst einer ehemaligen Hubschrauberfabrik übernommen, ein italienisches Restaurant backt seine Pizzen im alten Industrieofen. Die alten Fabriken, von denen man noch die direkt zum Hafen führenden Gleise sehen kann, sind also das Glück moderner Unternehmen.
Für weniger Einigkeit sorgt die Elbphilharmonie. Dabei steht das nach einem Entwurf von Herzog & de Meuron errichtete Gebäude für den Willen der Stadt, sich ein gewagtes Denkmal zu setzen, das an die Wellen der Elbe mit ihrem Lichtspiel erinnert. Es ist die Rechnung, die aus ihm einen der größten deutschen Literaturskandale macht: Die Kosten haben sich verzehnfacht. Das ist der Preis, für den man für kommende Jahrhunderte baut.
Als Toulouse einst rot wurde
Als die Römer Toulouse besetzten und akuter Steinmangel herrschte, verwendeten sie zum Bauen roten Backstein. Er bestimmt bis heute die „rosarote Stadt“ und ergibt in Kombination mit den alten Fensterläden in Blau- und Grüntönen ein einzigartiges Bild, an dem ich mich nicht satt sehen kann.
Der Backstein von Toulouse hat ganz bestimmte Maße: 42 x 28 x 5 cm. Einst Star der mittelalterlichen Baukunst, wich er bald dem Holz, doch nach zahlreichen Bränden ordneten die Stadtherren, die Capitouls, eine Rückkehr zum roten Stein an. Wenn ich durch Toulouse laufe, kann ich die Stadtgeschichte an ihren Mauern ablesen. Das Hôtel d’Assezat zum Beispiel, eines der wunderschönen Stadthäuser, die einst von durch Pastelhandel reich gewordenen Bürgern gebaut wurden, erzählt in Stein, Holz und Ziegeln von den verschiedenen Etappen seiner Fertigstellung.
Doch während mich die geschichtsträchtigen Bauten sehr beeindrucken, suche ich in der Enge der denkmalgeschützten Altstadt fast vergeblich nach modernen Innovationen. Tradition ist Trumpf, und neu bedeutet zunächst Vorstadt und Fantasielosigkeit.
Fragwürdige Kreativität beweisen private Bauherren, die es sich nicht nehmen lassen, sich mit ein paar verspielten Säulen am toskanischen Flair zu versuchen.
Interessante Amalgame zwischen Alt und Neu sind, ebenfalls in Rot gehalten, der Justizpalast von Pascal Prunet und das Nationaltheater, die sich optisch ins Zentrum einfügen. Doch man muss ein Stück rausfahren, um Gebäude wie das Galilée zu sehen, ein Bürohaus, das nahe am Flughafen mit einer Art weißem Betonsegel beeindruckt. In einer so schnell wachsenden Stadt wie Toulouse würde ich mir statt Rückwärtsgewandtheit oder reinem Pragmatismus manchmal mehr Mut wünschen, denn was soll vom heutigen Städtebau bleiben? Doch all dies ist vergessen, wenn die Sonne untergeht und ein rötlicher Schimmer die Altstadt glühen lässt wie den Himmel über ihr.