Was dem Deutschen der Adventskranz sind dem Franzosen seine Austern. Sina und Mathilde erzählen uns, wie sie die Vorweihnachtszeit in Toulouse und Hamburg erleben.
Toulouse im Glitzerrausch
Hohoho, das kann ja heiter werden! Adventszeit in Südfrankreich. Es wird kein Schnee fallen, das ist das Eine, selbst gefütterte Stiefel sind hier meist überflüssig. Ob ich Adventskränze erwähne, Plätzchen backen oder Nikolaustag – ich werde fragend angeschaut. Wo ist die gemütliche Stimmung (ein Adjektiv, das es im Französischen gar nicht erst gibt)? Plötzlich denke ich sogar wohlwollend an die in der Grundschule auswendig gelernten Gedichte und miserablen Flötenkonzerte an Heilig Abend zurück. Da sind die Franzosen laizistischer und zugleich katholischer, Weihnachten ist in erster Linie ein christliches Fest, das sich auf den 24. und 25. Dezember beschränkt.
Beim Weihnachtsessen immerhin scheinen sich alle einig, viel und gut muss es sein. Und ganz ehrlich – wie oft hatte ich weiße Weihnachten, abgesehen von denen, die ich in meinen Astrid-Lindgren-Kinderbüchern verbracht habe? Für Glühwein ist es hier ein wenig zu warm, aber auch das – wirklich lecker? Oder nur gesüßt durch die Erinnerung an Treffen mit alten Schuldfreunden, wenn am Jahresende alle nach Hause kommen? So rede ich es mir ein, während ich durch den nicht vorhandenen Schnee stapfe.
Als ich den Kopf hebe, hängen da Kreise und Kronen aus Licht, endlose Glitzerketten, die sich wie ein Dach über mir ausbreiten. Ich folge ihnen und stoße auf der Place Saint-Georges auf Bäume mit gigantischen Christbaumkugeln, projizierte Sterne wandern über die Fassaden. Jeder kleine Laden in der Altstadt hat nicht einen, sondern zwei kleine geschmückte Tannen vor dem Eingang und auf der Place du Capitol steht ein Weihnachtsmarkt. Alles leuchtet so weiß, dass es in den Augen wehtut. Ich bin etwas versöhnt, fehlenden Willen kann man hier niemandem absprechen. Vielleicht schadet es nicht, den Ausdruck „Gemütlichkeit“ noch einmal zu besprechen. Im Gegenzug lasse ich mir auch gern erklären, warum guter Bordeaux warm nicht schmecken soll.
In Hamburg naht Weihnachten mit großem Getöse
So hat es angefangen: „Rabimmel, rabammel, rabumm“. Es war Ende November und man begegnete Dutzenden von Kindern, die mit der Laterne in der Hand zu Trompetentönen marschierten, um den Martinstag zu feiern. Bald darauf gingen die Lichterketten an und die kleinen Hütten der Weihnachtsmärkte schossen wie Pilze aus dem Boden. Da ich aus Lyon komme und damit an die Fête des Lumières, das Lichterfest, gewöhnt bin, hat mich das nicht weiter irritiert. Noch nicht.
Am folgenden Tag überraschte ich meine Kollegen bei einer angeregten Diskussion. Das Thema des Tages: Plätzchen backen – kleine Kekse, die in verschiedenster Form daherkommen, aber immer einen wunderbar würzigen Duft verströmen. Ihre Zubereitung ist alles andere als belanglos. Manche Familien verbringen mehrere Wochenenden mit ihrer Herstellung, um sie sich am Ende, in Schachteln von gigantischem Ausmaß, gegenseitig zu schenken. Tags darauf tauchte der süße Duft des perfekt gewürzten Glühweins auf, und die Leute drängten sich sogleich um die kleinen Häuschen, deren Dekoration selbst den Weihnachtsmann blass aussehen lässt. Oder eher den Nikolaus. Tatsächlich verteilte man an diesem Feiertag vor vielen Jahren die Geschenke, und noch heute ist es ein besonderer Tag für Kinder.
Weitab der in Frankreich herrschenden Spannungen um die Rolle der Religion im öffentlichen Raum, bewahren die deutschen Traditionen ohne Gewissenskonflikt ihre religiöse Dimension. Man wünscht sich gegenseitig einen schönen ersten Advent und die Kränze werden jeden Sonntag mit einer Kerze mehr versehen, bis man bei vier angelangt ist. Angeregt durch einen solchen Sinn fürs Warten, durch dieses Fest der Klänge, Düfte und Lichter, bin ich neugierig auf den Schlussakt. Was wird an die Stelle von Stopfleber und Austern treten? Wie bitte? Würstchen und Kartoffelsalat? Tradition hin oder her, dieses Jahr feiere ich deutsche Adventszeit und französische Weihnachten.