Zwischen dem Plattdeutschen und dem Okzitanischen liegen Welten. Sina und Mathilde über die Dialekte ihrer neuen Heimat und die Tradition zweier regionaler Mundarten.
Nordisch by Nature
Moin! In Hamburg vergeht kein Tag, an dem man sich nicht op Platt begrüßt. Um aber wirkliches Platt- oder Niederdeutsch in den Straßen der Stadt zu hören, muss man schon etwas länger die Ohren spitzen. Wenn Sie das Glück haben, dann werden aus den Mädchen die „Deern“ und aus den schlauen Kerlchen die „plietschen Dutt“. Alles ist in Ordnung, wenn man Sie liebevoll „Schietbüddel“ nennt. Vorsicht aber ist geboten, wenn Sie nicht viel mehr als ein „Torfkopp“ (Idiot) sind. Das Niederdeutsche teilt sich mit dem Bairischen den ersten Platz unter den beliebtesten Dialekten der Deutschen und das mag etwas heißen in einem Land, in welchem der Akzent oder einige Wörter schnell auf die Herkunft des Sprechers schließen lassen.
Das Niederdeutsche kannte seine Glanzzeit, als die reichen Händler der Hanse es überall dort zur Handels- und Rechtssprache machten, wo sie ihre Geschäfte betrieben. Da die Aristokraten und Bürger den Dialekt verschmähten, wurde Platt ab dem 18. Jahrhundert mehr gesprochen als geschrieben. So wurde das Niederdeutsche zur Sprache der kleinen Leute, zur Umgangssprache in der Familie oder unter Freunden.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich so selten auf seine tiefe, offene und etwas polternde Klarheit in den Hamburger Straßen stoße, und wahrscheinlich muss ich die Stadt einmal verlassen, um das Plattdeutsche etwas häufiger hören zu können. Dennoch schmückt der Dialekt stolz die Hamburger Mauern und hat es bis in die Verfassung des Bundeslandes geschafft. Zehn Millionen Sprecher werden weltweit verzeichnet, und die drei Theater der Stadt mit plattdeutschen Stücken im Repertoire sprechen für eine Renaissance des Dialekts. In ihm vereinigen sich Stolz und Kultur der Hamburger. Zu den Symptomen dieser Renaissance zählt sicher auch der Song Nordisch by Nature der Hamburger Band Fettes Brot.
Der Klang von « Tolosa »
Es ist mir schon aufgefallen, dass meine Freunde in Paris nun des Öfteren grundlos schmunzeln, wenn ich rede. Dem Grund dafür bin ich nun auf die Spur gekommen … Das Okzitanische begegnet mir in Toulouse in speziellen Buchhandlungen, durch die Ansage in der U-Bahn, Plakate für traditionelle Musik und Tanz und in Form des riesigen okzitanischen Kreuzes, welches das Pflaster des Place du Capitole ziert.
„Lo lengatge bèl“, die schöne galloromanische Regionalsprache des französischen Süd-Westens, die zuerst bei Dante als Langue d’oc belegt und später als Okzitanisch, mit vielen Unterteilungen, bezeichnet wurde, wird heute von 600.000 Menschen täglich verwendet. Zahlreiche Vereine und sogar politische Parteien setzen sich für den Erhalt der Kultur, aber auch der Sprache ein, die angeblich doppelt so viele Wörter hat wie das Französische.
Und damit diese nicht vergessen werden, gibt es sogar bilinguale Kindergärten und Schulklassen, Tendenz steigend. Angesichts der aktuellen Diskussion um den Abbau von deutsch-bilingualen Klassen in Frankreich regt sich bei mir da leiser Widerstand. Doch als ich nachforsche, stoße ich auf eine Liste von Wörtern, die ich nicht nur täglich höre, sondern inzwischen oft selbst benutze. Ich sage weder „feng“ für „faim“, noch öffne ich das „o“ auf „rose“, und dennoch: Was ich auf Straßenschilder gebannt glaubte, hat sich klammheimlich in meine Gespräche geschlichen. Ich sage, auch weil Fehlverhalten in Tolosa schwer geahndet wird, bewusst „chocolatine“ statt „pain au chocolat“. Aber dass so viele Wörter, (z.B. „cramer“ für „etwas verbrennen“, „eh bèh“ statt „eh bien“ und „qu‘ es aquô?“, ausgesprochen „quezako“, für „Was ist das?“) okzitanischen Ursprung haben, überrascht mich doch. Ganz abgesehen von der Eigenart, statt Satzzeichen Schimpfworte zu benutzten, sorgen vor allem sie dafür, dass ich höre, wo ich bin. Und dass man andernorts inzwischen hört, wo ich lebe.