Nacktheit oder Politik: Welche Themen treiben den Deutschen und Franzosen die Schamesröte ins Gesicht? Sina und Mathilde haben ihre Erfahrungen gemacht – und sind mehr als einmal ins Fettnäpfchen getreten.
Immer schön im Takt
Takt, Schamgefühl, Diskretion – « La pudeur » im Französischen lässt vieles anklingen und wird hierzulande hochgeschätzt. Zum einen sind da die sprachlichen Umschreibungen: ein Hauch von verschönerndem Puder, und damit eine Vielzahl von Euphemismen und Komplimenten, ist Teil des Miteinanders, vor allem in Toulouse, wo die Temperaturen im Umgang wie auch sonst über denen in Paris liegen sollten.
Es ist schon oft geschehen, dass ich ein höfliches Angebot, zum Beispiel eine Einladung, schnörkellos angenommen habe, wenn Ablehnung erforderlich gewesen wäre. Auch ein simples „Nein“ kann als schroff aufgefasst werden. Ich wiederum grübele über zweideutigen Antworten und hake solange nach, bis ich nach dem dritten „Ja, vielleicht“ verstanden habe, wie der Hase läuft, nämlich gar nicht. In einer Diskussion über Gesellschaftspolitik dagegen komme ich mit einer relativierenden Antwort im diplomatischen Graubereich nicht weit, hier heißt es Farbe bekennen, persönliche Empfindlichkeiten und der Wunsch nach Konsens, den ich ständig vor mir hertrage, haben wenig Raum. Trotz derber Ausdrücke darf man sich nicht täuschen, Raffinesse wird seit der Blütezeit der Salonkultur in der Konversation besonders geschätzt, und auch in anderen Bereichen steht sie hoch im Kurs:
Stoffliche Ver- und Enthüllung ist bei Französinnen ein wichtiges Thema, das Mille-feuilles mit vielen Blätterteig- und Cremeschichten ein beliebtes Dessert und das Liebesleben des Präsidenten ein Thema, das Diskretion erfordert. Das Private muss privat bleiben. Die ungezwungene naturverbundene Hüllenlosigkeit deutscher Ostseeurlauber oder Nacktheit in der Sauna wären wohl ein Schock – Spitzenlingerie als Gesprächsthema ist es nicht. Ich versuche also, taktvoll auszuloten, wo Peinlichkeiten entstehen können, denn eine ungewollte Bloßstellung oder -legung wäre wohl mit das Schlimmste.
Der Tritt ins Fettnäpfchen
Wie erkennt man eine Französin in einer Sauna in Deutschland? Selbst wenn sie über ein angemessenes Maß hinaus kurzsichtig ist, wird sie den Blick fest an die Decke heften und ihr Handtuch fester um sich ziehen, während es sich ihre Nachbarinnen und Nachbarn bequem machen. Denn in die Sauna geht man nackt – das ist gut für den Körper – und ein Handtuch ist nicht dazu da, um sich zu bedecken, sondern um sich draufzusetzen. Die in Frankreich normale Schamhaftigkeit wird in einem Land, in dem Nacktheit nicht gleich sexuelles Interesse bedeutet, schnell zur Prüderie. Nur eine Stunde von Hamburg entfernt, kann man dies jedes Jahr am Meer, an den Stränden der Nudisten beobachten, auf deren Anwesenheit gerade mal ein kleines Schild hinweist.
In dieser Situation diskret den Blick abzuwenden stellt sich als weniger unangenehm heraus, als bei einem Tritt in ein Fettnäpfchen bloßgestellt zu werden. Sich bedeckt halten ist nicht nur eine körperliche Angelegenheit, sondern bezieht sich auch auf Gespräche, selbst die harmlosesten. Wenn einen die deutsche Direktheit auch manchmal stutzen lässt, sobald man hört, wie die intimsten Details über die Unannehmlichkeiten der letzten Periode erzählt werden, so kann man in den Augen des Gegenübers das gleiche Unwohlsein erkennen, wenn man sich nur ein wenig aufregt, sobald es um Politik geht oder um die schlechte Qualität halterloser Seidenstrümpfe. Die Unterwäsche, die man trägt, soll ebenso im Verborgenen bleiben, leicht anzügliche Bemerkungen oder politische Meinungsaussagen, die die Gruppe daran hindern könnte, zu einer harmonischen Einigung zu kommen.
Als richtige Französin laviere ich herum, reagiere ausweichend, differenziere und mache Andeutungen, spreche „durch die Blume“. Herrje, mein deutsches Gegenüber sieht vor lauter Blumen den Wald nicht und bleibt, verlegen, ohne Antwort auf seine Frage zurück. Aber sobald ich neugierig bin und die Grundfesten dieser sonderbaren Gesellschaft hinterfrage, sobald ich die nächste Revolution plane und nur auf sie warte, um die Welt neu zu gestalten, lehnt es der pragmatische und reservierte Norddeutsche ab, Partei zu ergreifen und holt mich in die harte Wirklichkeit zurück. Wer gibt mir einen Kompass, damit ich weiß, wo ich hintrete?