Deutsche Braumeister und französische Winzer verlassen sich nicht mehr nur auf ihr traditionelles Handwerk. Wie experimentierfreudig sind Hamburger und Toulouser mit Bier und Wein?
Die reine Liebe zum Bier
Am 23. April 2016 wurde in Deutschland das weltweit älteste, ein Konsumgut betreffendes Gesetz gefeiert. Welches Produkt rechtfertigt diese Inbrunst? Das Bier !
Das Reinheitsgebot schrieb Braumeistern die Verwendung von ausschließlich vier Zutaten vor: Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Es handelte sich um eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, denn nach der Verkostung von einigen sehr „kreativ“ gebrauten Bieren unter Zusatz von verschiedenen Kräutern, Ruß oder sogar Belladonna war es zu plötzlichen Todesfällen gekommen.
Das Gesetz ist geblieben und die Reinheit des deutschen Bieres ist eine Quelle des (National-)Stolzes geworden. Darin ähneln die deutschen Braumeister auf seltsame Art und Weise französischen Winzern. Aber Vorsicht! Die Sache ist heikel. In der Tat bewahren die großen Hamburger Brauereien wie Holsten oder Astra immer noch dieses Erbe, und ihre Biere sind weiterhin sehr beliebt – das bezeugen die leeren Bierdosen, die sich zu Beginn der Grillsaison auf den Liegewiesen finden lassen. Aber die Deutschen trinken weniger Bier und sind immer anspruchsvoller und neugieriger. Sie interessieren sich mehr und mehr für Biere, die Kräuter oder Auszüge von Karamell oder Kaffee beinhalten und somit weniger orthodox hergestellt wurden und nicht in Deutschland gebraut, jedoch hier verkauft werden dürfen.
Diese Neugier wird von einer neuen Konsumentenhaltung begleitet, insbesondere unter der jungen städtischen Bevölkerung, zu der auch ich gehöre: Man trinkt nicht mehr nur um sich zu erfrischen – man kostet, analysiert, beschäftigt sich mit der Herstellung, und die lokalen Bierbrauereien haben einen Erfolg, der nicht zu unterschätzen ist. Manche beginnen sogar, ihr eigenes Bier zu brauen, auch auf die Gefahr hin, Magenkrämpfe zu bekommen und dutzende Liter verrinnen zu lassen.
In vino animus
Wer den Wein nicht liebt, hat es hier schwer. Zu wissen, dass Sauvignon keine Stadt in der Provence ist und Fruchtgehalt nichts mit der Erdbeerdichte in Sektbowle zu tun hat, ist allein schon wichtig, um bei einem Mitbringsel nicht völlig daneben zu liegen. Inmitten einer Weinregion mit dreißig verschiedenen Appellationen, eingekreist von Gaillac, Fronton und Cahors und unweit von Bordeaux, sind die edlen Tropfen in Toulouse traditionell eine Leidenschaft. Gerade die Fachleute schwärmen seit einiger Zeit von Bio-Wein oder doch zumindest Naturwein, der oft fruchtiger schmeckt und vor allem frei von Zusatzstoffen ist.
Doch so mancher Toulouser, der schon im Kindesalter den ersten Roten zu kosten bekam, kann bei diesem Thema richtig laut werden und schwenkt verächtlich den sprudelnden Rosé in die Balkonpflanze, um den gewohnten Côte du Rhône zu entkorken, auch wenn vom Schwefel am nächsten Tag der Schädel brummt. Die jüngere Generation scheint mir nur stellenweise experimentierfreudiger, ist aber auf jeden Fall zurückhaltender, was das Glas Wein am Mittagstisch betrifft. Gerüchten nach tranken die Großeltern hier schon zum Frühstück Wein, die Eltern am Mittag, und die jungen Erwachsenen beschränken sich nun eher auf den Abend. Dennoch gibt es viele junge Weinbauern und -händler, die an die Tradition anknüpfen wollen, das Interesse scheint in letzter Zeit sogar noch zu steigen. Dass ich in Deutschland manchmal Weißwein mit Sprudel trinke, will mir hier niemand so recht glauben, und so orientiere mich bei der Auswahl im Zweifel an den glänzenden Medaillenaufklebern auf dem Etikett und halte den Mund, zumindest solange, bis jemand von australischem oder belgischem Bier erzählt.