Tzusoo über digitale Wesen und Mutterschaft

Im MMCA Seoul wächst derzeit der fünfte „Agarmon“ in einer eisernen Gebärmutter – ein hybrides Wesen, das Grenzen zwischen digitaler und physischer Welt sprengt. Begleitet von den „Eight Spirits of Flesh“ entfaltet sich eine faszinierende und zugleich verstörende Ästhetik. Wir sprechen mit der Künstlerin Tzusoo über ihre Reise von „Schrödinger’s Baby“ (2019) bis zur aktuellen Ausstellung „Agarmon Encyclopedia: Leaked Edition“ und tauchen ein in ihre einzigartige Welt zwischen Kunst, Technologie und Identität.

TZUSOO MMCA © Kang Minkoo

Seit meiner Kindheit wollte ich sowohl Mutter als auch Vollzeitkünstlerin werden. Aber als ich meine Karriere begann, begriff ich, dass dies nicht mehr möglich war. Deshalb fing ich an, mir selbst ein Wesen zu erschaffen, um das ich mich kümmern musste.
Der widersprüchliche Wunsch, sowohl „Künstlerin“ als auch „Mutter“ zu sein, brachte den digitalen Fötus „Schrödinger’s Baby“ (2019) hervor. Danach erschuf Tzusoo „Agarmon“ (seit 2023), ein Wesen, das die Grenzen der digitalen Welt überwindet und erfass- und erlebbar ist. Im Jahr 2025 wächst in einer eisernen Gebärmutter mitten im Museum of Modern and Contemporary Art Seoul (MMCA Seoul) der fünfte Agarmon heran: fremd und doch vertraut, wunderschön und doch auch etwas gruselig. Gesellschaft leisten ihm die technisch perfekt umgesetzten „Eight Spirits of Flesh“ – die „acht Geister des Lebens“.

Heute nehmen wir die Einzelausstellung „Agarmon Encyclopedia: Leaked Edition“ (2025, MMCA) zum Anlass, um mit der Künstlerin Tzusoo auf eine Reise in ihre Vergangenheit und Zukunft zu gehen und in ihre einzigartige Welt einzutauchen.

Rekonstruktion des Mutterseins

Agarmon ist ein Monster, das im Moment des Orgasmus geboren wird und das sich, soweit ich weiß, aus dem koreanischen Wort „aga“ („Baby“) und der Bezeichnung „Agar“ für ein Geliermittel zusammensetzt. Agarmon wird häufig als „nicht vollwertiges Lebewesen“ bezeichnet. Wie definieren Sie ein Lebewesen, und wo sehen Sie Agarmon in Bezug auf diese Definition?
Agarmon ist ein Lebewesen, in dem der aus Agar bestehende Körper und das darauf angesiedelte Moos ein gemeinsames Ökosystem bilden. Selbst wenn der Körper fault und zusammenfällt, wächst das Moos darauf weiter. Ist Agarmon dann gestorben? Louisa Buck sagte es einmal so: „Verfall ist eine Form der Wiedergeburt und etwas Positives.“ Auf dem faulenden Körper siedeln sich Bakterien an, und auch auf dieser Kolonie von wimmelnden Bakterien kann das Moos seine Sporen verbreiten und sich weiter ansiedeln. Agarmon ist ein Wesen, in dem Leben und Tod koexistieren. Man sagt, als Mutter, wächst die Liebe zum Kind jeden Tag. Haben Sie bei der Pflege von Agarmon wirklich die erwartete emotionale Befriedigung gespürt? Wenn ein Agarmon zugrunde ging, spürten Sie dann ähnliche Gefühle wie eine tatsächliche Mutter, deren Welt zusammenbricht? Wie würden Sie vor dem Hintergrund das Muttersein für sich definieren?
Wie allgemein bekannt ist, erschuf ich Agarmon nicht, um Ersatzbefriedigung als Mutter zu finden. Vielmehr wollte ich mich mit der Pflege von Agarmon beschäftigt halten, um meinen Kinderwunsch zu vergessen. Aber dann war er so süß! Und war so empfindlich. Wenn man konstant Licht und Feuchtigkeit regulieren und sich um ihn kümmern muss, gewinnt man ihn richtig lieb.

Der einzige Agarmon, der bislang gestorben ist, war Nummer zwei. Ich erhielt in Deutschland ein Foto und konnte es gar nicht richtig anschauen. Dass mein Vater ihn am Berg Guksabong in Geoje begrub, lag sicher auch daran, dass ich mich so liebevoll um ihn gekümmert hatte. Auch den Kurator*innen im Museum tat Agarmon leid, als er zunehmend faulte. Er scheint ein besonderes Wesen gewesen zu sein, zu dem die Menschen eine Bindung aufgebaut haben. Aber der Tod eines Agarmon lässt sich nicht mit dem Abschied von einem Familienmitglied vergleichen. Das wäre anmaßend.

Sie erkunden verschiedene Aspekte der Sexualität durch die Geister namens GAN und TAE: Cis-Heteronormativität, Homosexualität, Weiblichkeit und Krankheit. Was möchten Sie über weibliche Sexualität ausdrücken? Wie sollte weibliche Sexualität Ihrer Meinung nach erforscht werden?
Ich möchte Vielfalt. Der Begriff ‚erotisch‘, obwohl eigentlich grenzenlos, wird auf eine absurd kleine Kategorie von Dingen angewendet. Pornografie empfinde ich nicht als erotisch. Ich versuche herauszufinden: Was empfinde ich als erotisch? Was empfinden Frauen als erotisch? In der Hoffnung, dass diese Dinge Teil der unendlichen Formen von ‚Erotik‘ werden.
   

Raum und Lokalität

In Korea wird die niedrige Geburtenrate als gesellschaftliches Problem breit diskutiert. Welche lokale Bedeutung hat Ihr aktuelles Werk in diesem Kontext?
Ich denke, dass diese Installation eine Reihe von Ereignissen in der koreanischen Gesellschaft der letzten zehn Jahre in vielerlei Hinsicht anspricht. Deshalb war sie in dem schwierigen Auswahlprozess am Ende erfolgreich, und deshalb findet sich das Publikum darin wieder und nimmt sie begeistert an. Ich habe das Gefühl, lange meinen eigenen Weg allein gegangen zu sein, aber die Tatsache, dass das MMCA Seoul ein so zentrales Kunstzentrum ist, muss etwas bedeuten.

In der Vorstellung der „MMCA × LG OLED Series“ heißt es, dass „jedes Jahr durch Empfehlungen und Prüfung von Expert*innen ein*e Künstler*in ausgewählt wird, der oder die dann ein neues Werk zeigt, welches die räumlichen Besonderheiten des MMCA Seouls widerspiegelt.“ Warum haben Sie die Ausstellung so gestaltet, wie sie jetzt ist?
Ich habe ein „Portal“ erschaffen, das die Besucher*innen einlädt. Es ist wie ein Spiel. Das MMCA Seoul, dass teils 13 Meter hoch und auf allen Seiten offen ist, ist ein herausfordernder Raum für Künstler*innen. Ich habe dort ein Portal gebaut und locke die Menschen für einen Moment in eine andere Welt. Durch das Portal wurden auch Agarmon und die Geister herbeigerufen.

Welche Reaktionen gab es bislang auf die Cis-Heteronormativität, die explizite Erotik und die Ausdrücke von Geschlechtlichkeit in dem Werk „Agarmon“? Gab es einen Unterschied zwischen den Reaktionen in Deutschland und Korea, und hat das dem Werk eine neue Bedeutung verliehen bzw. erweitert?
Dass Sie es als „explizite Erotik“ empfunden haben, ist Ihre sehr persönliche Wahrnehmung. Jeder beschreibt es anders: süß, eklig, warmherzig. Entgegen meiner Befürchtung gefällt es auch Kindern. Für sie ist es ein Werk wie Pokémon oder Digimon. Die Kritikerin Hyo-sil Yang meinte mit einer Zigarette im Mund: „Das ist zu vulgär, das kann ich mir nicht anschauen.“ Die Wahrnehmung unterscheidet sich nicht so sehr zwischen Deutschland und Korea, sondern nach dem persönlichen Geschmack.
Exhibition at MMCA Seoul Box X LG OLED, TZUSOO, 2025

Exhibition at MMCA Seoul Box X LG OLED, TZUSOO, 2025 | © MMCA

Die Zukunft der Kreativität

In einem früheren Interview sagten Sie: ‚KI wird in den Museen der Zukunft unzählige Bildschirme übernehmen. In dieser Ausstellung möchte ich mich mit KI auseinandersetzen. […] KI ist für mich nur eines von vielen Werkzeugen.‘ Ihre Werke besitzen eine gewisse Lebendigkeit, die nur durch einen praktischen, handwerklichen Ansatz in der künstlerischen Gestaltung entstehen kann. Warum glauben Sie, dass von Menschen geschaffene Dinge die Öffentlichkeit trotz der rasanten KI-Entwicklung heutzutage noch stärker anziehen? Und wie sehen Sie die Zukunft der Kreativität vor diesem Hintergrund?
Das ist eine erfreuliche Frage. Dass ich mich mit KI anlegen will, war eine spontane Aussage in dem Interview. In der Kunst gibt es eigentlich kein Gewinnen oder Verlieren. Seltsamerweise spürte ich aber dennoch diesen Ehrgeiz, zu zeigen, dass KI „mit meinen Händen noch nicht mithalten kann“. Damit schuf ich mir meine eigene Hölle, denn in sechs Monaten musste ich für die Ausstellung ein neues Werk erschaffen und dafür zwei Videos mit einer 8K-Auflösung in Handarbeit produzieren.

Ich kann nicht sagen, was genau der Unterschied ist. Aber in meiner Schaffenswut und bei meinen vielen Ausstellungen habe ich gelernt: Die Leute merken genau, wo viel Handarbeit drinsteckt, und mögen das dann. Auch wenn es sich etwas esoterisch anhört: Ich glaube, wenn ich mein Herzblut in etwas stecke, dann spüren die Menschen diese Energie.

Ich habe zum Beispiel den Inkubator in dieser Ausstellung ebenfalls selbst designt. Auf die acht Herzpiercings, die daran hängen, habe ich wirklich viel Zeit verwendet. Da steckt im wahrsten Sinne des Wortes viel Handarbeit drin. Die Piercings sind ganz einfach, an ihnen ist nichts Auffälliges dran. Ich habe mich sogar gefragt, ob sie überhaupt irgendjemandem auffallen. Aber die Menschen können ihre Blicke nicht davon lösen. Das zeigt mir, dass da eben doch etwas Besonderes dran ist. (Was nicht gut ist: Eigentlich darf man sie nicht anfassen, aber jeder tut es…)

Die KI von heute habe ich satt. 2022 fand ich sie noch interessant, aber nach „Dalle’s Aimy“ haben die KIs gelernt, welche Bilder die Menschen mögen. Sie sind weniger kreativ geworden, weswegen ich in letzter Zeit überhaupt nicht mehr mit KI arbeite.
Exhibition at MMCA Seoul Box X LG OLED, TZUSOO, 2025

Exhibition at MMCA Seoul Box X LG OLED, TZUSOO, 2025 | © MMCA

Sie haben einmal gesagt, dass „künstlerisches Schaffen eine Reise der Selbsterkenntnis“ ist. Gibt es etwas Neues, was Sie bei der Vorbereitung der Einzelausstellung „Agarmon Encylopedia: Leaked Edition“ über sich selbst gelernt haben?
Wenn ich während der Installation des Werkes täglich auf der Rolltreppe ins MMCA Seoul hinunterfuhr, sah ich dort immer schon die Kuratorin Park Deok-seon, wie sie sich mit gerunzelter Stirn über etwas Gedanken machte. Ich fragte mich, warum es ihr so wichtig war, dass die Installation gelingt. Es war definitiv eine Leidenschaft, die über die mit ihrer beruflichen Position verbundene Verantwortung hinausging. Und dabei war ich die Künstlerin…

Letztlich hatten all die vielen Menschen, die an der Ausstellung gearbeitet haben, dasselbe Ziel: eine gute Ausstellung auf die Beine zu stellen. Ist das nicht großartig? Keiner von ihnen hat viel Geld damit verdient. Für mich persönlich war es ein Verlustgeschäft. Warum machen sie das also? Weil sie Kunst mögen. Das war für mich zwar keine neue Erkenntnis, aber ich war erfüllt von Respekt, Bewunderung und Zuneigung für die Fachleute, die letzten Sommer mit mir zusammengearbeitet haben.

Stuttgart, Deutschland

Ich habe gehört, dass Sie derzeit als Gastprofessorin an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Stuttgart arbeiten. Sie sagten einmal, dass Sie nach Deutschland gegangen sind, weil Sie der deutschen Philosophie verfallen waren. Welche Philosophen waren das konkret? Und welche Philosophen haben Ihre Werke zur Weiblichkeit bis hin zu „Agarmon“ beeinflusst?
Es handelt sich nicht um die Philosophie einer Person. Es ist eher so, dass der Charakter der modernen und zeitgenössischen deutschen Philosophie insgesamt gut zu mir passt. Sie ist direkt und schnörkellos. Wenn ich die Kulturkritiken lese, die Gotthold Ephraim Lessing und Johann Georg Hamann damals in Publikationen veröffentlicht hatten, kann ich selbst heute noch meine Begeisterung für diesen mit klarer Sprache geführten Kampf bis aufs Blut nicht verbergen. Er erinnert an die Rap-Battles in der südkoreanischen Fernsehshow „Show me the Money“, aber Thema waren Kunst und Philosophie. Wow, … Ich bin so neidisch. Ich würde das auch gerne tun.

Philosophen, deren Denken direkt in meine Werke eingeflossen sind, kann ich Ihnen nicht nennen. Meine Werke sind wie meine Kinder, die aus meiner ganz persönlichen Erfahrung heraus geboren wurden. Aber mein Leben wurde durch viele Bücher geprägt, und so gesehen gibt es unzählige Verknüpfungen. Interessanterweise sind darunter viele deutsche Ästhetiker wie Hannah Arendt, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Ludwig Wittgenstein (Anmerkung der Redaktion: Wittgenstein ist Österreicher).

Welchen Einfluss hatten das Leben und die Kunstausbildung in Deutschland auf Thema und Form Ihres Werkes und auf Ihr ästhetisches Denken?
Gute Frage. Bei Ausstellungen in Korea wird gesagt, dass meine Kunst deutsch ist, in Deutschland wird sie als koreanisch bezeichnet. In den USA fragte man, warum Aimy asiatisch aussieht, aber Englisch mit deutschem Akzent spricht. Es ist wohl alles vermischt.

Ihr Abschlusswerk an der Stuttgarter Kunstakademie, „I’M ASHAMED TO HAVE GRADUATED HERE“ („Ich schäme mich, meinen Abschluss hier gemacht zu haben“, 2022), kritisierte die Semestergebühren für Student*innen aus Nicht-EU-Ländern. Sie machten über eine Plakatwand und eine Verkaufsaktion, die die Studiengebühren in Höhe von 1.500 Euro zum Thema hatten, auf die Ungerechtigkeit aufmerksam. Der Avatar Aimy, in dem Sie sich selbst widerspiegelten, verbildlichte die Erfahrungen Ihres Kunststudiums und die systemischen Probleme in Deutschland. Es war ein äußerst eindrucksvolles Werk. Könnten Sie uns die Situation damals genauer erläutern? Wie waren die Reaktionen der Bürger*innen, Student*innen und Professor*innen in Deutschland?
Es wurde kontrovers diskutiert. Es gab Professoren, die sagten: „Vergleich das doch mal mit den Studiengebühren, die du in Korea zahlen würdest.“ Es gab Kommentare wie: „Dann studieren Chinesen kostenlos in Deutschland, gehen zurück und bauen ballistische Raketen.“ Studenten hinterließen online Kommentare wie: „Ein Kind, das laut heult, bekommt mehr Milch.“ oder „Das nimmt den Betroffenen ihre Stimme weg.“

Das lag daran, dass ich von den Studiengebühren ausgenommen war. Ich war also keine Betroffene. Bei Solidarität auf der Betroffenheit herumzureiten, ist ein klassischer Schachzug. Ich hatte bereits zu Beginn meines Studiums, vor meiner Befreiung von den Studiengebühren, Arbeiten produziert, die dieses Problem kritisierten.

Ich war ein Jahr vor meinem Abschluss nach Berlin gezogen. Als ich zurück an die Uni kam, um mein Diplom zu machen, war das kein Thema mehr – einfach, weil inzwischen ein paar Jahre vergangen waren. Aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, die Uni mit schlechtem Gewissen zu verlassen. Also begann ich, dieses Projekt zu planen.

Einige Freunde, mit denen ich fünf Jahre lang zusammen studiert hatte, halfen mit. Rebecca Ogle übernahm die Planung der Installation, und die Künstler Florian Siegert, Shaotong He, Johannes Hugo Stoll und Park Seonha unterstützten beim Aufbau. Mona Barmeier kümmerte sich um den Papierkram, der nötig war, um die Genehmigung vom Rathaus zu bekommen. Der Leiter des Baden-Württembergischen Kunstvereins, Hans D. Christ, stellte uns inoffiziell einen Raum zur Verfügung, in dem wir die Rohre zuschneiden und das Gerüst bauen konnten, und gab uns Rat und Unterstützung
I_M ASHAMED TO HAVE GRADUATED HERE, 2022

I_M ASHAMED TO HAVE GRADUATED HERE, 2022 | © TZUSOO

Wenn ich Fotos von dem Werk sehe, habe ich immer noch gemischte Gefühle und mir wird schwer ums Herz. Aber jedes Mal, wenn ich nach Stuttgart zurückkehre, um dort zu unterrichten, spüre ich eine große Solidarität mit den Studierenden, die sich für diese Sache engagieren. Und ich bekomme immer wieder positives Feedback von Studierenden, die überall auf der Welt im Ausland studieren. Sie sagen, ich gebe ihnen Kraft und Mut, wenn sie sich in einem fremden Land eingeschüchtert fühlen und sich fragen, ob sie etwas falsch machen.

Noch eine kleine Anekdote: Beim Erinnerungsfoto bei der Abschlussfeier war ich die Einzige unter den Graduierten, die aus vollem Herzen weinte. Ich liebe die Uni und die Akademie nämlich über alles. Ich wollte sie nicht verlassen. Da mussten alle lachen. Sie fragten, ob das eine Performance sei: Mein Werk weinte und ich auch. Im Rückblick war es eine schwierige Zeit, aber es war ein Abschluss, der zu mir passte.

Die Künstlerin TZUSOO

In Fotos sieht man Sie oft mit einer Krawatte um den Hals. Ist das eine bewusste Kleidungswahl?
Ich mag Shopping nicht. Ich mag es auch nicht, mich jeden Morgen entscheiden zu müssen, was ich anziehe. Mit einem weißen Hemd und einer Krawatte habe ich das Gefühl, angemessen angezogen zu sein.

Bei meinen Recherchen habe ich erfahren, dass der 3. Dezember Ihr Geburtstag ist und Sie an diesem Tag im Jahr 2024 vom MMCA per E-Mail erfuhren, dass Sie unter den letzten drei Kandidat*innen waren. Es war auch der Tag, an dem die vorherige südkoreanische Regierung das Kriegsrecht ausrief. Schon 2016 war ich sehr beeindruckt von Ihrem Performance-Stück The Holy Water Bottle. Während der Demonstrationen gegen die Regierung von Präsidentin Park Geun-hye haben Sie den Protestierenden Wasser aus einer riesigen, schweren Flasche gereicht – einem Symbol für Misogynie in der koreanischen Gesellschaft [weil angeblich zu schwer für Frauen, um sie zu heben]. Wie lautet Ihre politische Haltung als Künstlerin?
Alles im Leben ist politisch. Politik beschränkt sich nicht auf Institutionen wie das Parlament oder politische Parteien. Meine Kunst ist ein Mittel, um meine Gedanken, meine Gefühle, alles, was mich tief im Inneren bewegt, auszudrücken. Mein Thema ist das alltägliche Leben. Ich betrachte jede Szene aus meinem Privatleben aus meiner eigenen Perspektive – und halte an diesem Blickwinkel fest. Misogyne Begriffe wie anyeoja [ein abwertendes Wort für „Frau“] und Sprichwörter wie ‚Wenn du die Henne draußen vor der Mauer hörst, zerfällt der Haushalt‘ wurden sogar bei den Protesten für die Amtsenthebung [der Präsidentin] verwendet. Als ich das bemerkte, wurde mir klar, dass ich kein vollwertiges Mitglied dieser Gruppe mehr sein konnte.“ Ich liebe einfach Menschen, aber ich folge in meinem Leben keinem bestimmten politischen Credo.
The Holy Water Bottle, 2016

The Holy Water Bottle, 2016 | © TZUSOO

In Ihrem Werk scheinen Sie bisherige binäre Denkweisen zu Gender, Körper, Leben und der Grenze zwischen der digitalen und der physischen Welt auseinanderzunehmen. Woher kommt Ihr Interesse an diesen Themen?
Weil wir alle so leben. Wir verbringen so viel Zeit damit, im Geiste in unserem Smartphone, Notebook oder Computer zu sein. In der digitalen Welt ist Gender egal, und es gibt kein Leben und keinen Tod. Aber noch leben wir in unserem Körper. Wenn mein Körper krank ist, bin auch ich krank. Gender, Leben, Tod: Sie spielen immer noch eine große Rolle. Ich erzähle die Geschichte meiner Generation, die jeden Tag mehrere hunderte Male zwischen diesen großen, widersprüchlichen Welten hin- und herwechselt.

Die letzte Frage. In Ihrem Lebenslauf steht: „Ein Kind kriegen: 2026?“ Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich würde gern ein Kind haben und ich glaube, ich könnte es. Aber das würde meiner künstlerischen Entwicklung ein Ende setzen, für die ich mich rund um die Uhr abrackere, sowie dem Management und den mageren Monatsgehältern des Tzusoo-Teams. Erst gestern Abend habe ich mich bei ein paar Drinks mit Freunden wieder darüber beklagt. Und ich jammere ständig darüber – bei Ausstellungen und in vielen anderen Situationen.

Interview | Shin Sohee, Online PR Goethe-Institut Korea
Deutsche Übersetzung | Alexandra Lottje
Englische Übersetzung | Eric Rosencrantz

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