Mobilität in der Stadt
Die Wiederentdeckung des Fahrrads

Fahrradfahren wird immer beliebter.
Fahrradfahren wird immer beliebter. | Foto (Ausschnitt): © helenedevun - Fotolia.com

Ob Fixie, Liege- oder Hollandrad: Das Fahrrad erlebt in Deutschland eine Renaissance. Das Schmuddelkind der durchmotorisierten Nachkriegsära entwickelt sich langsam wieder zu dem beliebten Verkehrsmittel, das es einst war – es gibt gute Gründe dafür.

Lange ist es her, dass das Bild des Radfahrers in Deutschland noch von Menschen wie dem stets Helm tragenden Rudolf Scharping geprägt wurde. Der ehemalige Bundesverteidigungsminister, Kanzlerkandidat und spätere Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer stand mit seiner provinziellen Behäbigkeit in den Neunzigerjahren stellvertretend für das vorherrschende Image des Radfahrers als Wochenendtourist und Familienausflügler – eher langweilig, wenig attraktiv.

Doch jetzt ist Fahrradfahren wieder im Trend. Junge Städter geben viel Geld für individualisierte Räder aus, alte Drahtesel werden gehegt wie man es nur von automobilen Oldtimern kennt und bei Critical-Mass-Aktionen in Hamburg, Köln oder Frankfurt legen tausende Radfahrer im Korso die Innenstädte lahm. Damit wollen sie zeigen, dass sie ein ernst zu nehmender Teil des Straßenverkehrs sind, auf den die Politik reagieren muss. Denn die Zahl derer, die das Rad zu ihrem Hauptverkehrsmittel machen, steigt vor allem im urbanen Umfeld: Laut dem statistischen Bundesamt besitzen 30 Prozent der Haushalte in deutschen Städten ab 500.000 Einwohnern ausschließlich ein Fahrrad – keinen PKW, kein Motorrad. 2003 lag der Anteil noch bei 22 Prozent. Das Fahrrad scheint langsam wieder seine Position als Verkehrsmittel der Massen zurück zu erobern, die es zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte.

Positiver Einfluss auf die Menschen

Dass Fahrräder in der Stadt für Distanzen bis zu fünf Kilometern das Verkehrsmittel der Wahl sind, „gibt mittlerweile selbst der ADAC zu“, sagt Mario Bäumer, Kurator der Ausstellung Das Fahrrad. Kultur, Technik, Mobilität im Museum der Arbeit in Hamburg. Die Ausstellung wirft einen Blick auf die technologische Geschichte des Fahrrads und wie es den Verkehrsraum mitgeprägt hat.Die Menschen würden sich heute stärker mit ihrem Lebensumfeld auseinandersetzen und erkennen, dass das Auto und dessen Infrastruktur den Lebensraum negativ beeinflussen. Das Fahrrad werde dagegen als stadtfreundlich wahrgenommen, so Bäumer. Als Radfahrer gelte man deshalb heute als modern und umweltbewusst. Derzeit ist Radfahren noch ein Zeitgeistphänomen, doch könne man durch den Bau einer besseren Verkehrsinfrastruktur eine langfristige Trendwende schaffen, sagt Bäumer. In München sei die Quote der Radfahrer in den letzten Jahren von 11 Prozent auf 18 Prozent gestiegen. Das liegt zum einen am verstärkten Marketing, zum anderen sind aber auch Fahrradstraßen eingerichtet worden, die es Pendlern ermöglichen, zügig mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. In Städten wie Berlin, Bremen oder Oldenburg ist durch ähnliche Maßnahmen die Anzahl der Fahrradfahrer ebenfalls erheblich gestiegen.

Modetrend in den Städten

Die Städter befeuern diese Trends, indem sie das Fahrrad zum Modeobjekt erhoben haben – und der Markt reagiert auf die Nachfrage: „Es werden wieder qualitativ hochwertige Räder gebaut und nachgefragt, man kann sich damit wieder zeigen, sogar zum Vorstellungsgespräch radeln, ohne schief angeschaut zu werden.“ Auch Retro-Trends und neue Entwicklungen im Bereich der elektrischen Fahrräder, sogenannter Pedelecs, sind zu beobachten. „Die Entwicklung des Fahrrads war mit der Ölkrise in den Siebzigerjahren zum Erliegen gekommen und hat sich erst sehr langsam mit den ersten Ökobewegungen der Achtziger- und Neunzigerjahre wieder erholt“, sagt Bäumer, der in der Fahrradstadt Münster aufgewachsen ist und in Amsterdam studiert hat.Wie also sieht die technische Zukunft des Fahrrads aus? Die Bedeutung des Rades wird weiterhin moderat steigen, glaubt Bäumer. „GPS und weitere Elektronik am Rad werden kommen, im Rahmenbau dagegen sind wir praktisch am Ende angekommen.“ Die Ausstellung im Hamburger Museum der Arbeit zeigt einen Carbon-Rahmen, der inklusive Steuersatz gerade einmal 0,79 Kilogramm wiegt. Man kann ihn mühelos mit einem Finger anheben.

Das Fahrrad – Verkehrsmittel der Stunde

Obwohl das technische Konzept des Fahrrads kaum noch verbesserbar ist glauben einige, dass es die innerstädtischen Pendlerwege revolutionieren könnte. So hat beispielsweise das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin Pedelecs auf eigens angelegten Fahrradautobahnen als Zukunft des Stadtverkehrs ausgemacht. Bäumer ist da skeptisch: „Das Fahrrad wird das Auto so schnell nicht verdrängen.“ Aber das positive Image des Rades werde immer mehr Menschen zum Umstieg bewegen und dadurch werde sich auch das Stadtbild ändern. Die Ausstellung in Hamburg präsentiert eine Vision von Fahrradstraßen, die mittels LED-Lampen den Radlern anzeigen, ob sie sich noch innerhalb einer grünen Welle befinden – vielleicht nur der Nachhall einer etwas zu optimistisch angestimmten Zukunftsmusik. Aber auch wenn das alte Prinzip Fahrrad für die ganz großen Zukunftsvisionen nicht taugt, sagt Bäumer, würden Infrastrukturprojekte in vielen großen Städten zeigen, „dass das Fahrrad zumindest das Verkehrsmittel der Stunde ist“.
 

Ausstellung Das Fahrrad – Kultur, Technik, Mobilität, Museum der Arbeit Hamburg, 09.05.2014–01.03.2015

Zurück zum Dossier