Medienjournalismus
Steinwurf aus dem Glashaus – das „Medium Magazin“

Detail des <i>Medium-Magazin</i>-Covers vom November 2014
Detail des Medium-Magazin-Covers vom November 2014 | © Medienfachverlag Oberauer

Medienjournalismus in Deutschland ist oft konfrontativ oder interessengeleitet. Dagegen setzt das Branchenblatt „Medium Magazin“ auf konstruktive Auseinandersetzung und journalistische Unabhängigkeit.

Im Herbst 2014, als immer mehr Deutsche die Ukraine-Berichterstattung ihrer Medien kritisierten, und die Empörungswelle einen Höhepunkt erreichte, druckte die Zeitschrift Medium Magazin eine Sprechblase auf das Cover. Darin stand in fetten Lettern: „Ihr lügt doch alle!“

Das Magazin griff damit eine Stimmung in der deutschen Bevölkerung auf, die von Skepsis und Verdruss gezeichnet war: Die Deutschen glaubten ihren Medien nicht mehr. Sie warfen ihnen vor, einseitig aus dem Konflikt zu berichten, gekauft zu sein, vom Westen gesteuert. Das Medium Magazin spiegelte die Medienkritik wider, fragte nach den Reaktionen in den Redaktionen und stellte sich trotzdem vor die Branche: Eine rund 80-köpfige Jury des Magazins erkor die Russland-Korrespondentin von WDR und ARD, Golineh Atai, für ihre „herausragende“ Ukraine-Berichterstattung zur Journalistin des Jahres. Es war ein schwieriger Spagat zwischen Lob und Kritik.

Konstruktive Berichterstattung

Das Medium Magazin für Journalisten will „konstruktive Medienkritik“ üben. Man richte „den Blick nach vorn“, wie es Chefredakteurin und Mitbegründerin Annette Milz nennt. Mitunter wird allzu Hartes abgeschliffen, um die eigene Zielgruppe der Medienmacher nicht vor den Kopf zu stoßen. Medienkritik, die sich auch an selbst nicht journalistisch tätige Leser richtet, ist da deutlich konfrontativer – besonders im Internet und seit der Ukraine-Krise. Ein Beispiel ist das seit 2004 von Medienjournalisten betriebene Bildblog, ein Watchblog, das dafür bekannt wurde, Recherchefehler der deutschen Boulevardzeitung Bild aufzudecken. Anette Milz hingegen sagt: „Wir wollen mit positiven Beispielen motivieren und nicht auf das treten, was schon am Boden liegt. Mit dieser Linie haben wir viel Zuspruch gefunden.“

Tatsächlich gilt die 1986 zum ersten Mal erschienene Zeitschrift heute als eines der wichtigsten Branchenmagazine für Medien im deutschsprachigen Raum. Für Volker Lilienthal, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessor für Praxis des Qualitätsjournalismus in Hamburg, hat das auch damit zu tun, „dass sich alle wiedererkennen können: die Elite-Journalisten ebenso wie die in der Provinz“. Nachwuchsjournalisten informieren sich im Blatt über Ausbildungswege, Pressesprecher über die Nöte der Redaktionen, Chefredakteure betreiben darin Nabelschau. „Hier findet man noch etwas Hochglanz und Optimismus. Die Krise des Berufs, seine Prekarisierung wird nicht verschwiegen – aber auch nicht beschworen.“ Seit Sommer 2014 erscheint das Medium Magazin im monatlichen Wechsel mit der E-Paper-Ausgabe „Ideenwerkstatt“, die sich auf Best-Practice-Berichterstattung aus dem journalistischen Alltag konzentriert. Die aktuelle Printauflage liegt bei 19.500 Exemplaren.

Unabhängig von Verbandsinteressen

Chefredakteurin Annette Milz betont: „Wir wollen einen Journalismus machen, der uns maximale Freiheit gibt, und zwar unabhängig von Verbandsinteressen. Wir verstehen uns als Steinewerfer aus einem Glashaus, denn auch für uns gilt schließlich dieselbe Messlatte wie für alle Journalisten.“ Das funktioniert anders als bei vielen anderen Medien-Fachpublikationen, komplett privatwirtschaftlich. Seit 1991 ist das Medium Magazin Teil des Salzburger Johann-Oberauer-Verlags, in dem auch die Branchenpublikationen Wirtschaftsjournalist, Der Österreichische Journalist, der Schweizer Journalist und das Jahrbuch für Journalisten erscheinen. Außerdem betreibt der Verlag die Onlineplattform Newsroom.de.

Vor Gründung des Medium Magazins fand Medienjournalismus im deutschsprachigen Raum in Gewerkschaftsblättern statt – im Journalist des Deutschen Journalisten-Verbands und in M – Menschen Machen Medien von der Gewerkschaft Ver.di – oder in wissenschaftlichen Fachpublikationen. Und auch im internationalen Vergleich ist die Verbandsunabhängigkeit des Medium Magazins eher ungewöhnlich. In vielen Ländern sind Magazine für Journalisten häufig dann erfolgreich, wenn sie von einem wissenschaftlichen Institut, einer Behörde oder einem Verband getragen sind. So ist die Columbia Journalism Review an die New Yorker Columbia-University angebunden, das ähnlich hochkarätige Onlineangebot des Nieman Journalism Lab an die Harvard University in Cambridge im US-Staat Massachusetts.

In Frankreich wurde die Revue Médiamorphoses bis 2008 von dem öffentlich-rechtlichen Archiv „Institut national de l’audiovisuel“ (Nationales Institut für audiovisuelle Medien, INA) herausgegeben. Die Privatisierung des Geschäfts war nicht erfolgreich: Das Blatt Médias, in dem Médiamorphoses als Beilage aufging, driftete zunehmend nach rechts ab und wurde 2012 eingestellt. Ein Beispiel für Interessengruppen-getragene Publikationen ist Periodistas des spanischen Journalisten-Dachverbands „Federación de Asociaciones de Periodistas de España“. Der Nachteil derartiger gewerkschafts- und verbandsnaher Publikationen ist allerdings, dass dort die Verlegerperspektive weniger stark vertreten ist.

Hohe Krisenfestigkeit

Seine Stellung in der Branche hat sich das Medium Magazin auch durch die Vergabe von Preisen gesichert, die – kostensparend – undotiert, aber renommiert sind. 2003 veranstaltete das Magazin zusammen mit dem Oberauer Verlag erstmals den European Newspaper Congress in Wien, auf dem auch der European Newspaper Award für Zeitungsdesign vergeben wird. Die Journalisten des Jahres wählt das Blatt seit 2004, seit 2006 stellt es regelmäßig die „Top 30 bis 30“ vor, die herausragenden Nachwuchs-Journalistentalente des Jahres.

Das Medium Magazin hat keine festangestellten Redakteure. Chefredakteurin Milz sagt, sie habe sich beim Verkauf an den Oberauer-Verlag gegen eine Festanstellung entschieden, „weil ich das Gut der Freiheit höher schätzte“. Außerdem „haben wir uns von Anfang an als Autorenmagazin verstanden“.