Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Kulturwandel oder Ausverkauf?
Der öffentlich-rechtliche deutsche Rundfunk ist weltweit einzigartig. Denn er ist nicht nur durch Gebühren finanziert, sondern hat auch einen Kulturauftrag in seinen Satzungen. Nun sollen geplante Reformen die Struktur von Sendern verändern – mit weitreichenden Folgen. Ein Überblick.
Der Bayerische Rundfunk (BR) will einen Sendeplatz verlegen: BR-Klassik, einer der wenigen Radiosender in Deutschland, der sich mit hohem journalistischen Anspruch ausschließlich klassischer Musik und Jazz widmet, wird 2018 seine UKW-Frequenz an den Jugendsender Puls abgeben und nur noch über das Internet, DAB+ oder via Satellit zu empfangen sein. Der Südwestrundfunk (SWR) beschließt zum September 2016 die Fusion seiner beiden traditionsreichen Orchester, des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart und des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, zum SWR Symphonieorchester. Und dann malt auch beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) der Intendant einen großen, roten Defizit-Teufel an die Wand und garniert ihn mit erschreckenden Zahlen über den baldigen Abbau von 500 feste Stellen bis 2020 und nur wenigen tröstlichen Worten.
Einige Rundfunkanstalten sind stolz darauf, ihre Sendereigenen Klangkörper – Orchester, Chöre und Bigbands, in Frankfurt sogar das legendäre Jazz-Ensemble des Hessischen Rundfunks – behalten und weiterhin auskömmlich finanzieren zu wollen. Andere sehen hier andererseits erhebliches Sparpotenzial. Manche Häuser sind schon viel weiter, sie haben schon zusammengelegt und abgebaut und weggespart und Nischensendungen in späte Nachtstunden verlegt. Und dennoch ist absehbar, dass längst nicht genügend Kosten zusammengestrichen worden sind, um eine gute Perspektive für die nächsten Jahre zu erhalten. Jede Sparrunde ist dann nur noch Vorbote der nächsten.
Kulturauftrag als Maßstab
Die Verunsicherung, die sich in der deutschen Rundfunk-Landschaft im Frühjahr 2014 ausgebreitet hat, ist vielgestaltig und differenziert. Niemand bezweifelt ernsthaft die Notwendigkeit zu sparen. Häufig wird aber in der medienpolitischen Debatte mahnend auf den konstitutiven Kulturauftrag des deutschen Hörfunks verwiesen, was den Spielraum für Einsparungen beschränken soll. Allerdings sieht es zurzeit eher nicht so aus, als habe das Mahnen Erfolg, als suche der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Profil wieder in der maximalen und qualitativen Abgrenzung zum nach ökonomischen und kommerziellen Kriterien agierenden Privatradio. Vieles deutet eher darauf hin, dass in einigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine tiefgreifende Erosion des Selbstverständnisses begonnen hat.
Die Ursachen dieser Erosion sind nicht ganz klar, gleichwohl scheint ihr Verlauf schwer aufzuhalten. Ökonomischer Druck ist hier in der Regel ein Beschleunigungsfaktor. Hier und da scheint es, als lohne sich öffentlicher Protest. Aber manchmal, etwa im Falle der Fusionierung der beiden SWR-Orchester, führt selbst ein monatelanger Sturmlauf der Feuilletons ins Leere. Das hat Folgen für die Diskussionen unter den Betroffenen, innerhalb der Rundfunkanstalten und in der interessierten Öffentlichkeit.
Vielfach hat sich längst eine Art Verschwörungstheorie ausgebreitet. Sie sieht, vielleicht etwas vereinfachend, in der fortschreitenden betriebswirtschaftlichen Durchformung von Hörfunk-Strukturen einen Paradigmenwechsel. Für die Legitimation von Programm-Konzepten scheint immer weniger der kulturelle Wert dessen, was gesendet wird, das entscheidende Kriterium zu sein. An dessen Stelle ist eine allgegenwärtige Kosten-Nutzen-Rechnung getreten, deren Leitstern die Einschaltquote ist.
Jeder weiß, dass es viel Geld kostet, Konzerte selbst zu veranstalten und mitzuschneiden, Beiträge in Auftrag zu geben, zu honorieren und zu produzieren. Wenn dem keine angemessene Einschaltquote gegenübersteht, wird die Versuchung, hier den Rotstift anzusetzen, bei jeder Überprüfung größer. So löse sich, gemäß der Theorie, tendenziell jeder Unterschied zwischen der Programmpolitik öffentlich-rechtlicher und der Programmpolitik privater Medien auf. Und zugleich entziehe diese Denkweise dem aus Gebühren und nicht aus Werbeeinnahmen finanzierten Rundfunk die Legitimation. Wenn aus der Finanzierungsweise kein hörbarer, sichtbarer, also kein offenkundiger Unterschied in den Prinzipien der Programmgestaltung folgt – wozu dann noch die steuerartig eingesammelten Rundfunk-Gebühren?
Zielgruppe Jugend
Zuweilen erscheinen die Reibungen, zu denen es auch innerhalb der Sender immer wieder kommt, auch als Symptome eines Generationenwechsels. In den internen Debatten scheinen sich „altes“ und „modernes“ Radio antagonistisch gegenüber zu stehen. Aber auch das ist eine Vereinfachung: Warum soll denn die jüngere Generation eine sein, deren Hörbedürfnisse nur durch Formatradio mit einem vergleichsweise kleinen, hitorientiertem, agenturgeprägtem Repertoire befriedigt werden? In den guten alten Rundfunk-Zeiten sahen es die Sender durchaus als ihre Aufgabe, die Wünsche der Hörer nicht nur zu erfüllen, sondern auch andere, vielleicht ein wenig weitergehende Bedürfnisse beim Publikum zu wecken.
Auch reicht eine generationenspezifische Begründung für den Siegeszug des Formatradios nicht allzu weit. Schließlich ist keineswegs sicher, dass die junge Generation immer die gleiche junge Generation bleibt. Dass sie nicht in einigen Jahren ganz andere Hörbedürfnisse entwickeln könnte, für die es dann plötzlich kein Angebot mehr gäbe. Selbst dieses Argument akzeptiert, dass ein fiktiver und möglicherweise wankelmütiger Kundenwunsch die Leitlinie für die Programmdirektoren in den Rundfunksendern sein sollte. Vom alten öffentlich-rechtlichen Selbstverständnis, das die Sender der ARD als eine mediale Kulturplattform, als Unterstützer und sogar Produzenten von Kultur im Sendegebiet sah, ist da schon nicht mehr viel übrig. So gesehen steht ein Paradigmenwechsel ins Haus, der die deutsche Rundfunkstruktur grundlegend verändern könnte.