Siegesdenkmal, Ulus

Siegesdenkmal

Das Ankara Zafer Anıtı war der umfangreichste Auftrag des österreichischen Bildhauers Heinrich Krippel in der Türkei. In den 1925 ausgeschriebenen Wettbewerbsbedingungen wurden die Befreiungskriege als Leitthema des Denkmals ausführlich beschrieben, historische Daten und Ereignisse genannt und die zentrale Figur Atatürks als Persönlichkeit vorgestellt. Der Wettbewerbsgewinner Krippel entwarf ein komplexes Figurenensemble, in dessen Mitte der Kriegsführer Mustafa Kemal über hohem Marmorsockel zu Pferde thront. Der Sockel stellt den optischen und symbolischen Unterbau des gesamten Denkmals her, der programmatisch zu dem übergeordneten Reiterdenkmal überleitet. Atatürks Pferd Sakarya, benannt nach der siegreichen Schlacht am gleichnamigen Ort, steht fest und ruhig. Krippel zeigt den Feldherrn nicht in der traditionellen Pose als stürmenden Krieger auf steigendem Pferd, sondern als besonnenen Führer.

Unterhalb der alles überblickenden Gestalt in militärischer Uniform sind einzelne Figuren angeordnet: Zwei Soldaten, „Mehmetçik“ genannt, erspähen den Feind und rufen ihre Kameraden heran, hinten trägt eine Frau eine Kanonenkugel auf dem Rücken. Sie verkörpert das Volk, das aus Ermangelung an geeigneten Transportgeräten eigenhändig die Waffen zum Schlachtfeld trägt. Die dramaturgisch arrangierten Beifiguren repräsentieren die nationale Einheit und den Zusammenhalt des Volkes während des Befreiungskrieges. Die freistehenden plastischen Assistenzfiguren sprechen den Betrachter an, dienen der Einführung und Grundlegung des Programms.

Diese Funktion haben auch die vier Inschriften auf dem Sockel, die das Denkmal erläutern. Sie erinnern an die militärischen und politischen Vorraussetzungen für die Konstituierung der Türkischen Republik. Dabei ist vor allem der Anteil Mustafa Kemals als zentraler, siegreicher Leitfigur der Befreiungskriege und als 1919 gewählter Präsident des Kongresses in Erzurum betont. Die umlaufende Inschrift auf dem Marmorblock zitiert einen Ausspruch Atatürks: „Das türkische Volk findet im obigen Beispiel dargelegt, wie man einen Krieg gewinnen und eine moderne Revolution meistern kann.“ [„Türk Milleti, muzaffer istihlâs [bulmak, ayırmak, edinmek] ve istiklâl cidalini [kavga – savaş] ve muazzam asrî inkılâplarını, en mânidar bir remz ile, en iyi ifade edebilecek şekli, yukarki hakiki timsalde bulur. Başkumandan Gazi Mustafa Kemal.“].

In den anderen Inschriften wird in Zusammenhang mit Atatürk an drei historische Ereignisse erinnert. Auf der Vorderfront: „Ab jetzt werde ich nur für die Nation als Glaubenskämpfer arbeiten. 8. Juli 1919, Erzurum“ [„Artık bademâ, sine-i milette bir ferdi mücahit olarak çalışacağım. 8 Temmuz 1919, Erzurum.“] „Man kann jemanden finden, der aus der Dunkelheit führt.“ [„Bulunur kurtaracak bahtı kara maderini.“] Auf der rechten Seite des Sockels: „Wir werden die feindlichen Truppen durch die Reinheit des Vaterlandes besiegen und unabhängig sein. 6. August 1919.“ [„Düşman ordusunu vatanın harimi ismetinde boğarak, behemahal naili halâs ve istiklâl olacağız. 6 Ağustos 1919.“] Auf der linken Seite des Sockels: „Unsere Feinde wurden gänzlich vernichtet. Soldaten, euer Ziel ist das Mittelmeer. 1. September 1922.“ [„Düşmanın anâsırı asliyesi imha edilmiştir. Ordular ilk hedefiniz Akdeniz’dir, ileri. 1 Eylül 1922.“]

Der berühmt gewordene, auf dem Sockel verschriftlichte Kriegsruf Atatürks „Soldaten, euer Ziel ist das Mittelmeer!“ aus dem Sommer 1922 wird durch vier Reliefszenen visualisiert, die sich den Schlachten in Sakarya und Dumlupınar widmen. Das Denkmal wurde am zentralen Knotenpunkt Ankaras errichtet; in unmittelbarer Umgebung des Ulus-Platzes lag in Form des Bankenviertels das wirtschaftliche Zentrum, nahe den Regierungs- und Bildungsbauten. Am 24. November 1927 wurde das Siegesdenkmal mit einem Festakt in Anwesenheit des österreichischen Gesandten eingeweiht.

Bis zur Erbauung des Mausoleums wirkte das Denkmal als inoffizielles Symbol Ankaras, an dem Staatszeremonien abgehalten wurden. Das Krippel’sche Denkmal war ein nationales Symbol, das auf Postkarten, Zeitschriften, Reiseführern und Plakaten Verbreitung im ganzen Land fand. Krippels Denkmäler, die er für Istanbul, Ankara und Samsun erschuf, prägten über Jahrzehnte und bis in die Gegenwart die Identität dieser türkischen Städte und wurden Bestandteil des nationalen Zeichenrepertoires der Türkischen Republik.

Burcu Doğramacı

Goethe-Institut Ankara
2010