Denkmal Der Sitzende Atatürk

Denkmal „Der Sitzende Atatürk“

Heinrich Krippel schuf die ersten wichtigen Atatürk-Standbilder und Nationaldenkmäler der Türkischen Republik. Er war damit nicht nur auf politischer Ebene ein Pionier der öffentlichen, staatlichen Kunst in der Türkei, sondern hatte auch erheblichen Einfluss auf die Denkmalkultur in der Türkei. Der Österreicher Krippel gelangte erstmals 1925 durch den Gewinn des Wettbewerbs um das Siegerdenkmal [Zafer Anıtı] in Ankara in die Türkei. In der Folge entwarf und realisierte er Reiterstatuen, Standbilder und bildhauerische Ensembles für Istanbul, Konya, Samsun und Ankara. Bis 1938 wurden in vielen türkischen Städten in großen Zeremonien Nationaldenkmäler des österreichischen Künstlers eingeweiht. Dreizehn Jahre lang reiste Krippel regelmäßig von Wien in die Türkei. Seine Werke fertigte er in seinem Wiener Atelier und ließ sie in den Vereinigten Metallwerken in Wien gießen. Während seiner Aufenthalte in der Türkei wurde der österreichische Bildhauer auch in der Villa Atatürks beherbergt; dieser saß ihm für seine Denkmäler, darunter auch die Plastik in der Sümerbank, Modell.

1926 wurde das erste Personendenkmal Krippels in der Türkischen Republik an der Sarayburnu-Spitze in Istanbul eingeweiht, das den Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk in ziviler Kleidung als kraftvollen politischen Führer zeigt. Krippel begründete mit seinem Sarayburnu-Standbild den Typus „Atatürk als Zivilist“, den er auch in seiner Atatürk-Plastik für die von Martin Elsässer entworfenen Sümerbank Ankara weiterverfolgte. Die von Krippel eingeführte Darstellungsweise Atatürks als Privatier führte anfänglich zu Diskussionen, die jedoch die Einschreibung dieses Visualisierungsmusters in die türkische Denkmalkultur nicht verhinderten. Dabei handelt es sich um jenes Erscheinungsbild, mit dem Atatürk sich am häufigsten in der Öffentlichkeit präsentierte: das des weltmännischen Politikers, der sich äußerlich in nichts von den politischen Repräsentanten westlicher Demokratien unterschied.

Krippels Personendenkmal ist aus bossiertem Stein geschaffen und zeigt den Staatsgründer Atatürk hoch über der zentralen Halle auf einem thronartigen Sessel. Atatürk hat die Arme auf die Lehnen gestützt und sitzt mit abgewinkeltem Bein. Sein Blick richtet sich nach rechts in die Ferne. Die unter dem Denkmal eingearbeitete Inschrift „inaniyoruz ve yapiyoruz“ – „wir glauben und handeln“ – verweist vermutlich auf die Wirtschaftspolitik der kemalistischen Führung: Die kemalistische Regierung hatte es sich gleich nach Republikgründung zum Ziel genommen, die Türkei durch staatliche Interventionen und ein Entwicklungsprogramm zu modernisieren. Der ökonomische Aufschwung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit waren für die Regierung Atatürk grundlegend für die Entwicklung der Türkischen Republik. Innerhalb des ersten Fünfjahresplan (1933–1937) stand die autarke Versorgung mit den drei weißen Wirtschaftsgütern – Zucker, Mehl und Baumwolle – im Mittelpunkt. Die staatliche Sümerbank wurde 1933 als Holding und hundertprozentiger Staatsbetrieb zur Produktion von Textilien ins Leben gerufen. Mit ihren seit 1934 in Kayseri, Bursa, Malatya und vielen anderen Städten erbauten Fabriken symbolisierte sie die nationale Industrialisierung. Auffälligerweise wurden ausländische Architekten mit progressiven Architekturkonzepten für die Industriestandorte beauftragt. Vermutlich sollte sich das zukunftsweisende Potenzial der Fabriken auch in der fortschrittlichen Architektur der Sümerbank Martin Elsässers sowie der selbstbewussten Atatürk-Figur Heinrich Krippels ausdrücken.

Burcu Doğramacı

Goethe-Institut Ankara
2010