Sprechstunde – die Sprachkolumne  Kampf an vorderster Front

Ein blau getöntes Foto zeigt Polizist*innen mit Schutzhelmen, eine*r unter ihnen hält ein Megafon. Rechts im Bild die Autorin der Sprachkolumne Bettina Wilpert.
Im Kreuzfeuer der Debatten: Martialische Begriffe prägen zunehmend unsere Alltagssprache. © mauritius images / Dmitriy Shironosov / Alamy / Alamy Stock Photos

Kriegsrhetorik ist allgegenwärtig – ob in Medien, Politik oder Alltag. Auch sprachlich wird derzeit also aufgerüstet. Bettina Wilpert hingegen plädiert für einen bewussten und umsichtigen Umgang mit der Sprache.

Seit Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 ist Krieg in den Köpfen der Deutschen präsenter als die Jahre zuvor. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder.

Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht davon, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden müsse, und allgemein wird viel über Rüstung, Aufrüstung oder Wiederaufrüstung diskutiert. Was genau mit „Wiederaufrüstung“ gemeint ist, bleibt oft unklar – geht es um die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg oder nach der Wiedervereinigung? Denn genaugenommen ist dies zumindest für die BRD nicht zutreffend. Im Kalten Krieg stellte die Bundeswehr nämlich nach der US-amerikanischen Armee die größten westeuropäischen Streitkräfte.

Augen auf bei der Wortwahl

Auch bei Themen, bei denen es gar nicht um Krieg geht, sind Kriegsrhetorik und Kriegsmetaphern allgegenwärtig. Die Anhebung der Zölle durch die USA gegen beinahe alle Länder der Welt, im besonderen Maße jedoch gegen China, wird in den Medien oft als „Handelskrieg“ oder „Zollkrieg“ bezeichnet. Doch auch ohne diese Begriffe bleibt die Rhetorik ähnlich: In der Zeit etwa liest man vom „Angriff auf die Zolltarife“, und es wird von Trumps „Angriffswut“ gesprochen.

Man möchte meinen, die Sprache sei das Handwerk von Journalist*innen, doch offenbar nimmt man es hier oft nicht so genau mit den Begriffen. Denn ein Krieg ist laut Duden „eine größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt“. Selbstverständlich kann man Krieg auch im übertragenen Sinn verwenden, doch treffender wäre es, von einem „Handelsstreit“ oder „Handelskonflikt“ zu schreiben.

Wenn die Politik zum Schlachtfeld wird

Auch die neue Bundesregierung übt sich in Katastrophenrhetorik. Da ist von „Alternativlosigkeit“ und der letzten Chance vor dem „Ernstfall“ die Rede, also bevor die Faschisten die Macht übernehmen. Markus Söder behauptete gar, bei der neuen Regierung handele es sich um „die letzte Patrone der Demokratie“. Puh, das sitzt. Äh, trifft.

Da kann eigentlich nur einer helfen, ein Mann mit einer „Konstitution wie ein Bär“: Friedrich Merz. „Mitten im perfekten politischen Sturm“ „übernimmt er das Steuer“, „denn er bringt mit, was man zum Überleben in der ‚Todeszone‘“ braucht. Da hat Berthold Kohler in der FAZ am 6. Mai ordentliche Geschütz aufgefahren (man verzeihe mir dieses Sprachspiel). Als er den Kommentar schrieb, wusste er freilich nicht, dass Merz just an diesem Tag nicht im ersten Wahlgang zum Kanzler gewählt werden würde – und dennoch war er in seinem Text vorausschauend: „denn er [Merz] wird von allen Seiten unter Beschuss geraten“. Treffer, versenkt.

Die konservative Presse stilisiert Merz zum starken Mann und Piloten, der am Steuer sitzt. Ganz anders dagegen die Begriffe, mit denen Angela Merkel einst bedacht wurde: Zu Beginn ihrer Karriere war sie noch „Kohls Mädchen“, später wurde sie zur „Mutti der Nation“. Weniger Geschlechterstereotypen würden der Politiklandschaft guttun.

Auch im Alltag wird gekämpft

Kriegsrhetorik findet sich nicht nur in kriegsfernen Sphären wie der Politik und der Wirtschaft wieder, man begegnet ihr auch im Alltagsgebrauch. Wer älter wird und sich mit dem Tod von Freund*innen und Familienmitgliedern auseinandersetzen muss, bei der „kommen die Einschläge näher“. Andere Ausdrücke, die wir im Alltag verwenden, sind „an vorderster Front kämpfen“ oder „im Stich lassen“. Letzteres stammt aus dem Ritterkampf: Lag ein Ritter am Boden und niemand half ihm auf, war er tatsächlich dem Stich des Gegners ausgeliefert.

Die Zunahme von Kriegsrhetorik und Kriegsmetaphern in gegenwärtigen Debatten ist Ausdruck einer Polemisierung unserer Gesellschaft. Sie sollten wohlüberlegt sein, denn sie tragen selbst zur Zuspitzung der Debatten bei. Gleichzeitig besteht in der jetzigen Situation, in der die USA nicht mehr wie zuvor als Verbündete Europas auftreten, tatsächlich Grund zur Sorge.

Im Zweifelsfall ist es besser, bei den Begriffen zu bleiben: ein Bär ist ein Bär, ein Konflikt ist ein Konflikt und ein Krieg ist ein Krieg.
 
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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