Netzgeschichte  Die schillernde Metamorphose des Internets

Auftritt der deutschen Elektropop-Band Kraftwerk in Madrid 2023
01111001: Auftritt der deutschen Elektropop-Band Kraftwerk in Madrid 2023. Foto (Detail): © picture alliance/age fotostock Spain/Rafael De La Camara

Wie formt das Internet unser Leben und wie wird es die Zukunft prägen? Internetpionier Michael Rotert betrachtet die Metamorphose des Internets von den Anfängen des ARPANETs bis zur Industrie 4.0.
 

Stellen Sie sich das Internet als ein dynamisches Wandgemälde vor, das sich über mehrere Jahrzehnte hinweg ständig weiterentwickelt hat. Einstmals war es ein unscheinbares Mosaik aus einer Handvoll verknüpften Computern – ein Nischenprojekt, genannt ARPANET, gefördert von der US-Regierung und hauptsächlich von Forschungseinrichtungen genutzt. Heute hat es sich zu einem lebendigen Gemälde entfaltet, das jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt.

„Die weltweiten Kooperationsmöglichkeiten für verschiedenste Forschungseinrichtungen waren mit ein Grund für die rasante Entwicklung“, erzählt Michael Rotert, einer der Pioniere der digitalen Ära. „Die Freigabe der Nutzung für die Industrie war dann ein zusätzlicher Akzelerator. Aber erst das World Wide Web brachte die Nutzung in die Haushalte und füllte das Internet mit Inhalten“, fasst er die Erfolgsgeschichte der letzten Jahrzehnte zusammen. Rotert ist Ehrenpräsident des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft und war maßgeblich an der Entwicklung des Internets in Deutschland beteiligt. Im Jahr 1984 empfing er die erste deutsche E-Mail.

ARPANET: Die bescheidenen Anfänge

Das Arpanet Monument Das Arpanet: So revolutionär, dass ihm am Entstehungsort in Arlington, Virginia ein Monument gewidmet wurde. | Foto (Detail): © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/J. David Ake Wie jedes meisterhafte Kunstwerk begann auch das Internet mit einer einfachen Skizze. Diese nahm in den späten 1960er-Jahren in Form des ARPANETs Gestalt an. Dieses Netzwerk, das zunächst nur vier Universitätscomputer verband, galt als experimentelles Projekt – es hatte jedoch das Potenzial, Wissenschaft und Technologie für immer zu verändern.

Mit der fortschreitenden Entwicklung des ARPANETs begann sich die wahre Bedeutung dieser neuen Technologie abzuzeichnen. Es ermöglichte, Informationen auf der ganzen Welt auszutauschen, was bis dahin unvorstellbar war. Aber vielleicht noch wichtiger: Es ebnete den Weg für dezentrale Kommunikation. Im Gegensatz zu traditionellen Kommunikationssystemen, bei denen Informationen zwischen zwei festen Punkten ausgetauscht wurden, erlaubte das ARPANET, Daten zwischen und über mehrere Punkte auszutauschen – eine Revolution in der Kommunikationstechnologie.

Die erste E-Mail in Deutschland

Michael Rotert mit der Auszeichnung anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der E-Mail Schon bald kann er das 40-jährige Jubiläum der ersten E-Mail Deutschlands feiern: Michael Rotert 2014 mit der Auszeichnung anlässlich des 30-jährigen Jubiläums. | Foto (Detail): picture alliance/dpa/Uli Deck Die nächste entscheidende Phase im Entstehungsprozess des Internets war die Entwicklung des elektronischen Postdienstes, kurz E-Mail genannt. Die E-Mail revolutionierte die Kommunikation, da Nachrichten nun sofort versendet und zeitversetzt gelesen werden konnten. Ein wichtiger Moment für Deutschland war in dieser Phase der 3. August 1984, als Michael Rotert, damals junger Wissenschaftler an der Universität Karlsruhe, den ersten E-Mail-Server in Deutschland installierte und damit die Forschungseinrichtungen in Deutschland versorgen konnte.

Rotert erkannte schon damals die tiefgreifende Bedeutung dieses Ereignisses: „Durch die frühe Beteiligung an der Weiterverbreitung des Internets spielte Deutschland eine wichtige Rolle bei vielen Entwicklungen, wie beispielsweise der Gründung der Internet Society, der Einführung des Domain Name Service und der sehr frühen Etablierung von Internet Service Providern. All dies waren positive Auswirkungen, die mit der ersten E-Mail 1984 in Deutschland begannen.“

Der Durchbruch: das World Wide Web

Das World Wide Web, erfunden von Tim Berners-Lee im Jahr 1989, revolutionierte das frühe Internet und ebnete den Weg in die Haushalte weltweit. Es war wie das Auftragen von Farben auf eine Leinwand – es fügte dem Internet eine visuelle Dimension hinzu, machte es zugänglicher und interaktiver. Es transformierte das Netzwerk von einem technischen Tool, das hauptsächlich von Wissenschaftler*innen und Techniker*innen verwendet wurde, in eine Plattform, die von allen genutzt werden konnte. Texte, Bilder, Musik und sogar Videos konnten nun mit einem Mausklick geteilt werden. Das WWW machte das Internet zu einem unverzichtbaren Bestandteil des täglichen Lebens.

Die vierte industrielle Revolution

Mit dem Eindringen des Internets in fast jeden Aspekt unseres Lebens begann eine neue Ära: die vierte industrielle Revolution, auch bekannt als Industrie 4.0. In dieser Phase, in der das Internet in Kombination mit anderen Technologien wie der künstlichen Intelligenz, Big Data und dem Internet der Dinge (IoT) verwendet wird, ist es zur treibenden Kraft für Innovationen und Veränderungen in der Industrie und der Gesellschaft insgesamt geworden.

Rotert sieht in der vierten industriellen Revolution einen weiteren Beweis für die transformative Kraft des Internets. „Auch die Internetnutzung über neue Mobilfunktechniken spielt eine nicht unerhebliche Rolle“ – denn Smartphones und WIFI vernetzen uns heute überall und zu jeder Zeit.

Degrowth: Ein mögliches Szenario?

Das Internet beeinflusst heute grundlegende Bereiche des menschlichen Lebens. Von der Art und Weise, wie wir kommunizieren und arbeiten, bis hin zu unserem Konsumverhalten und unserer Freizeitgestaltung hat es die Strukturen unseres Alltags tiefgreifend verändert.

Doch wie sieht die Zukunft des Internets aus? Michael Rotert hat einige Vorhersagen. „Ich glaube, dass drahtlose Technologien vorherrschen werden – im lokalen Bereich wahrscheinlich über Lichtwellen wie zum Beispiel Glühbirnen. Zudem könnte es eine Anpassung des Internets an lange Laufzeiten für die Kommunikation im All geben. Und ich rechne mit einer immer stärkeren Präsenz von künstlicher Intelligenz und fortschrittlicher Verschlüsselung.“

Trotz der unbestreitbaren Dominanz des Internets heutzutage gibt es Stimmen, die nach einem „Degrowth“, einem Rückzug in Bezug auf Technologie und Internet, rufen. Doch für Rotert ist das keine ernsthafte Option. „Es hat noch nie funktioniert, die Zeit zurückzudrehen, um neue Entwicklungen zu eliminieren. Eine Rückkehr zur Dampfmaschine oder zum Pferdefuhrwerk kann ich mir ja auch nicht vorstellen“, sagt er.

Die fortlaufende Metamorphose des Internets

Die Transformation des Internets ist eine fortlaufende Metamorphose, und es bleibt spannend zu beobachten, welche Farben und Formen es in der Zukunft annehmen wird. Wie bei jedem Kunstwerk liegt es an uns, seine Schönheit und Möglichkeiten zu erkennen, zu nutzen und verantwortungsvoll zu gestalten. Denn letztlich gestalten wir mit jedem Klick ein Stück dieses gewaltigen Wandgemäldes mit.

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