Sozial durch die Krise  Unternehmen mit Verantwortung im Blut

Auf den kritischen Mangel an Mundschutzmasken und deren akuten Bedarf reagierten viele Bekleidungshersteller in Europa.
Auf den kritischen Mangel an Mundschutzmasken und deren akuten Bedarf reagierten viele Bekleidungshersteller in Europa. Foto: © Ozeta

Die aktuelle Pandemie stellt nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen, Institutionen und die Politik auf eine harte Probe. Ökonomen und Analysten prognostizieren bereits einen Rückgang des BIP, einige Geschäftsbereiche sind aufgrund von Sofortmaßnahmen vollständig zum Erliegen gekommen und andere Unternehmen müssen Lösungen finden, um zu überleben, ohne Mitarbeiter zu entlassen. Natürlich gibt es auch einige Firmen, die versuchen, von der Krise zu profitieren, aber Beispiele vieler Unternehmen in der Slowakei belegen, dass sie schnell auf Veränderungen reagieren können und keine Angst vor Umstrukturierungen haben. So zeigen sie uns ihre gesellschaftliche Verantwortung.

In der Vergangenheit klang der Begriff soziale Verantwortung im Zusammenhang mit Unternehmen eher nach guter PR. Wenn die Firmen es nicht ernst meinten, enthüllten Kunden und Öffentlichkeit schnell ihre Absichten. Die aktuelle Krise zeigt, welche Unternehmen es ernst meinen. Viele haben sich im Bereich soziale Verantwortung weiterentwickelt.

Nachfrage nach Humankapital

Experten weisen darauf hin, dass sich der Arbeitsmarkt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit verändern und der Dienstleistungssektor vollständig neu strukturiert wird. Die Coronakrise legte viele Firmen für eine gewisse Zeit still und einige verzeichnen Umsatzeinbrüche, von denen sie sich möglicherweise nicht wieder erholen werden. Die Maßnahmen, die die Regierungen ergreifen mussten, hatten auch Auswirkungen auf die Volkswirtschaften. Das slowakische Stellenportal Profesia verzeichnet bereits im April dieses Jahres einen Rückgang an Stellenangeboten um mehr als 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit einem Rückgang um fast 90 Prozent gab es im Tourismus sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe die größten Verluste an Arbeitsplätzen. Im Gegensatz dazu stieg die Nachfrage nach Arbeitskräften in Geschäften, insbesondere betrifft dies Stellen wie Verkäufer, Kassierer und Regalauffüller sowie in den Bereich Logistik und Lagerhaltung. Die IT-Branche befindet sich in einer ähnlichen Situation, insbesondere im Bereich Online-Plattformen und Sicherheit. Während in einigen Sektoren Unsicherheit über mögliche Entlassungen herrscht, sind andere überlastet und suchen händeringend neue Arbeitskräfte.

Die Krise als Überlebensprüfung

Fast über Nacht ist Schutzausrüstung zu einem seltenen Gut geworden. Nicht nur in der Slowakei, sondern auch in anderen Ländern herrschte ein riesiger Mangel an Masken, Schutzanzügen, Handschuhen und Beatmungsgeräten. Textilfabriken in verschiedenen Städten der Slowakei reagierten umgehend auf die Situation und fast alle stellten einen Teil ihrer Produktion ein und begannen, in großen Mengen Schutzmasken zu nähen und auszuliefern.

Das Unternehmen Zornica Banko Fashion war das erste, mit dem der Staat einen Liefervertrag über hunderttausende Masken abschloss. Auch eine der größten Bekleidungsfabriken Mitteleuropas, die Aktiengesellschaft Ozeta Neo aus Topoľčany, reagierte schnell auf den kritischen Mangel an Schutzmasken und deren akuten Bedarf. Das bereits seit mehr als 80 Jahren bestehende Traditionsunternehmen ist hauptsächlich für Herrenanzüge bekannt. Bereits nach den ersten bestätigten Coronafällen hat das Unternehmen Maßnahmen eingeleitet, um einen Teil seiner Produktion auf Schutzmasken umzustellen. Anfangs mangelte es jedoch an Materialien, insbesondere an medizinischen Textilien, doch nach einer Woche konnten 250 Mitarbeiter des Unternehmens wiederverwendbare Schutzmasken herstellen. „Wir versuchen, die Nachfrage zu befriedigen, insbesondere für Risikogruppen und wirtschaftliche Schlüsselsektoren. Unsere Masken gehen an Industrie-, Lebensmittel- und Transportunternehmen, Geschäfte, Ämter oder Alten- und Pflegeheime“, sagt Marketingmanager Tomáš Gašpierik. Bisher hat das Unternehmen fast 250.000 Masken produziert und ausgeliefert.

Schutzmasken sind unabdingbar, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die slowakische Regierung hat im Gegensatz zu vielen Ländern Westeuropas eine Maskenpflicht angeordnet. „Jetzt ist es wichtig, dass Unternehmen vorübergehend das produzieren, was im Rahmen ihres Kerngeschäfts möglich ist“, sagt Ivana Molnárová, Geschäftsführerin des Jobportals Profesia.

Im Fall von Bekleidungsunternehmen ist es klar, wo sie helfen können. Aber was ist mit anderen Branchen? „Natürlich ist es nicht sinnvoll, wenn das ganze Land jetzt Masken näht. Jedes Unternehmen und jede Organisation sollte vor allem in dem Bereich helfen, in dem es gut ist und auf welchen es sich spezialisiert hat. Es sollte seine Möglichkeiten in Betracht ziehen, und genau hier kommen wir zur sozialen Verantwortung und den Werten der Unternehmen “, fügt Ivana Molnárová hinzu.

Ivana Molnárová, Geschäftsführerin des Jobportals Profesia. „Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Kreativität - diese Softs skills sollten Firmen kultivieren und besonders bei ihren Mitarbeitern fördern. Dank dieser Eigenschaften werden uns auch in Zukunft Roboter nicht ersetzen können“, sagt Ivana Molnárová, Geschäftsführerin des Jobportals Profesia. | Foto: © Profesia

Eine Neustrukturierung hilft den Firmen

Das lokale Unternehmen Spanner SK in Považská Bystrica verfügt beispielsweise über langjährige Erfahrung in der Blechbearbeitung, der Herstellung von Schweißbaugruppen und Montageeinheiten. Es reagierte umgehend auf die Krise und entwickelte in diesem Zusammenhang die Idee, Desinfektionstore herzustellen, mit denen Fabrikmitarbeiter in fünf Sekunden vor dem Betreten von Gebäuden desinfiziert werden können.

Ihre Motivation entsprang dem Wunsch, in der Krise Verantwortung zu zeigen. „Wir wollten die negativen Auswirkungen der Verbreitung des Virus minimieren. Wir verfügen über modernste Technologien und LEAN-Prozesssteuerung, was es uns ermöglichte, ein neues Produkt in kurzer Zeit zu entwerfen und dann zu fertigen, wenn es dringend vonnöten ist“, erzählt CEO Patrik Lišaník von Spanner SK. Sein Team brauchte nicht lange und bald nahm die Idee echte Gestalt an. „Am Anfang erforderte es viel Brainstorming. Dann machten sich unsere Entwickler an den Konstruktionsentwurf, an die Zeichnungen und die Kollegen in der Produktion begannen am ersten Prototyp zu arbeiten“, erklärt er. Desinfektionstore sind in vielen Bereichen einsetzbar – nicht nur in produzierenden Unternehmen, sondern auch in verschiedenen Betrieben, Krankenhäusern, Schulen oder Geschäften. Höhere Hygienestandards werden wahrscheinlich zu einem langfristigen und üblichen Bestandteil unseres Lebens und das Unternehmen hat dies schnell verstanden. Spanner SK kontaktierte auch eine weitere lokale Firma, die das Desinfektionsmittel für die Tore liefert. Es handelt sich also um ein rein lokales Produkt, das im Ausland bereits Interesse geweckt hat. „Wir haben viele kluge Leute und Unternehmen in der Slowakei. Wir sollten uns gegenseitig helfen, zusammenarbeiten und unterstützen, und zwar nicht nur in Krisenzeiten “, sagt Patrik Lišaník.

Wenn Plan B aufgeht

Schlimmer sind die Branchen dran, die praktisch von einem Tag auf den anderen ohne Aufträge dastanden. Beispielsweise Eventagenturen, bei denen die meisten Veranstaltungen infolge der Krise abgesagt worden sind, Ersatztermine liegen noch in weiter Ferne und auf lange Sicht werden wohl auch keine Veranstaltungen mehr organisiert werden. Zwar werden einige Events online durchgeführt, aber bei allen ist dies nicht möglich. Die Eventagentur SpicyBrown aus der Nähe von Trenčín änderte ihr ursprüngliches Geschäftsmodell und entwickelte schnell einen Plan B. Sie startete einen Online-Shop für Lebensmittel mit Lieferung direkt nach Hause.

„Es ist nicht einfach, sich mit allen Angestellten zusammenzusetzen und ihnen zu sagen, dass wir auf unbestimmte Zeit keine Arbeit für sie haben. Unsere Firma ist voller junger, kreativer Leute, die sich verwirklichen wollen und unser Hauptanliegen war es, eine Möglichkeit zu finden, wie wir gemeinsam diese Situation überstehen können“, sagt Pavol Sirotný, CEO von SpicyBrown. Das Unternehmen beschloss, sich seine Stärken zunutze zu machen, und zwar sein umfassendes Dienstleistungsangebot im Bereich Lebensmittel, Inhouse-Catering und Catering-Lieferdienste für Betriebe. Die Kunden können unterschiedliche Waren bestellen, von Backwaren über Obst und Gemüse bis hin zu verschiedenen Fleischprodukten. Auch an der Bedarf der vierbeinigen Freunde hat die Firma gedacht. Die Leute müssen nicht wegen allem in die Geschäfte gehen, wodurch sich auch das Risiko einer Ansteckung verringert.

„Wir arbeiten mit verschiedenen lokalen Lieferanten zusammen, die von der Krise betroffen sind und Restaurants und Hotels als Kunden verloren haben“, erklärt Pavol Sirotný. Die Schaffung einer neuen Marke machte ihm & seinen Mitarbeitern viel Freude. „Wir glauben wirklich, dass unser Service in der aktuellen Situation nützlich sein wird“, sagt er. Bereits in der ersten Woche nach dem Start gingen hunderte Bestellungen ein. Ähnlich reagierten slowakische Taxiunternehmen, die neben dem Transport von Personen die Möglichkeit anboten, Lebensmittel einzukaufen und direkt nach Hause zu liefern. Sie helfen so auch den Geschäften selbst, die es aufgrund von Überlastungen nicht schaffen, Einkäufe nach Hause zu liefern.

Die Krise als Möglichkeit zur Entwicklung von Soft Skills

Die Krise birgt auch die Möglichkeit zu Umstrukturierungen in Firmen. Die außergewöhnliche Situation im Zusammenhang mit der Pandemie hat vieles lediglich beschleunigt. „Unternehmen müssen sich darüber Gedanken machen, was sie alles ändern und auf den Markt bringen sollten, um die erlittenen Umsatzeinbußen auszugleichen. Natürlich werden manche auch Mitarbeiter entlassen müssen und einige Unternehmen verhängen ein Einstellungsstopp“, sagt Ivana Molnárová, Arbeitsmarktexpertin der Firma Profesia.

Die kommende Zeit ist für viele auch eine großartige Gelegenheit. „Es geht hauptsächlich darum, wie schnell eine Organisation auf die Veränderungen reagieren und Neues entwickeln kann. Firmen sollten jetzt nicht mehr darauf schauen, was in den Umsatzbüchern für das zweite Jahresquartal verzeichnet ist, sondern so schnell wie möglich herausfinden, was auf dem Arbeitsmarkt gebraucht wird. Es geht um Flexibilität und Werte, die eine bestimmte Firma vertritt. Wir haben keine Zeit, wegen der verschütteten Milch zu weinen, wir müssen Lösungen suchen“, fügt sie hinzu.

Die äußeren Umstände können für die nächste Zeit weder beeinflusst noch vorhergesagt werden. Was zeichnet also all die Unternehmen in der Slowakei aus, die die Krise akzeptiert und als Chance genutzt haben? „Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Kreativität“, zählt Ivana Molnárová auf. Soft Skills, die Unternehmen insbesondere mit ihren Mitarbeitern weiterentwickeln und pflegen sollten. Selbst wenn wir die jetzige Herausforderung meistern, kommen Zeiten der Robotisierung und Automatisierung in der Produktion auf uns zu. „Gerade solchen Eigenschaften aber können in Zukunft nicht durch einen Roboter ersetzt werden“, sagt Ivana Molnárová.

Kreativität, Innovation, Flexibilität und Teamwork werden sich in Zukunft für viele Unternehmen auszahlen. Dies bedeutet, dass insbesondere diejenigen überleben werden, die in der Lage sind, sich schnell an Veränderungen anzupassen, Daten zu analysieren und auf deren Grundlage wichtige Entscheidungen zu treffen.

Viele Unternehmen stellen ihre Mitarbeiter frei, damit sie Freiwilligenarbeit leisten können. Viele Unternehmen stellen ihre Mitarbeiter frei, damit sie Freiwilligenarbeit leisten können. | Foto: © Profesia

Die Krise stellt Unternehmensführungen auf die Probe

Es gibt viele Firmen, die in der Slowakei für Überraschungen sorgen. Ľudmila Kolesárová, die seit mehr als zehn Jahren als Marketingmanagerin für die Wohltätigkeitsorganisation Dobrý anjel (deutsch: Guter Engel) tätig ist, sagt, dass insbesondere Firmen wie Curaprox oder Pixel Federation sie überrascht haben. Beide hatten die Idee für die größte Freiwilligensammlung des Landes namens Kto pomôže Slovensku (deutsch: Wer hilft der Slowakei). Hinter der Idee stehen Šimon Šicko, CEO von Pixel Federation, und Lucia Pašková, Generaldirektorin der Gesellschaft Curaprox.

Beide Firmen stellten eigene Mitarbeiter frei, damit diese sich voll und ganz dem Projekt widmen können. Neben Arbeitskräften sorgen sie auch für Lagerräume und Logistik. Nach und nach schlossen sich der Initiative auch weitere Personen und Unternehmen aus der Slowakei mit finanzieller oder materieller Unterstützung an. Bereits bis Ostern waren auf dem transparenten Konto des Projekts fast 900.000 € eingegangen, mit denen hauptsächlich Gesundheitseinrichtungen, soziale Dienste und Einrichtungen für Senioren, aber auch Selbständige und Organisationen unterstützt werden, die sich um Menschen aus Risikogruppen kümmern.

Die derzeitige Situation ist ein Test für die Solidarität in der Gesellschaft. Das Virus verdeutlicht, was bereits lange klar ist: Wenn es auch nur einem einzigen Menschen schlecht geht, kann es einer gesamten Gemeinschaft, Stadt, einem Kreis oder einem ganzen Land schlecht gehen. „Die Art und Weise, wie wir das jetzt gemeistert haben, ist sehr erfreulich. Ich glaube, wenn es uns gelingt, mit den Folgen umzugehen, dann können wir gemeinsam eine neue Ebene zwischenmenschlichen Vertrauens in der Slowakei schaffen – Vertrauen darauf, dass einer dem Anderen wichtig ist, und so kann sich die Slowakei schneller zu einem besseren Land entwickeln. Unternehmen und deren Geschäftsführungen werden dabei eine große Rolle spielen. Ganz zu schweigen davon, dass Freiwilligenarbeit von Angestellten und der Bevölkerung häufiger übernommen wird als bisher“, sagt Lucia Pašková von Curaprox.

Ihrer Meinung nach beeinflusst die Pandemie die ganze Welt und die Unternehmen haben verstanden, dass sie sich auf verantwortungsvolle Lieferanten und Partner verlassen können müssen. „Die Krise kann dazu beitragen, dass die Produktion auch an Orten anläuft, an denen bisher enorme Arbeitslosigkeit herrschte“, stellt Lucia Pašková fest.

Die Slowakei verändert sich

„Es treten dieselben Personen in Erscheinung, die sich auch vor der Krise bereits engagiert haben. Das sind Menschen und Firmen, denen die gesellschaftliche Verantwortung einfach am Herzen liegt“, so Ivana Molnárová. Wenn eine Firma vorher keinen Wert auf Verantwortung und wirkliche Solidarität gelegt hat, dann ändert sich das auch nicht von einem Tag auf den anderen.

Die Slowakei verändert sich. Gerade auch dank Führungskräften und Menschen, denen Werte wie gesellschaftliche Verantwortung einfach wichtig sind. „Die Gesellschaft ESET, die Buchhandlung Martinus, die VÚB Banka oder die Sparkasse Slovenská sporiteľňa und viele andere. Und neben diesen großen Unternehmen entsteht in der Slowakei gerade auch eine neue Generation junger Unternehmer, für die gesellschaftliche Verantwortung schlichtweg dazugehört“, sagt Ľudmila Kolesárová von der Organisation Dobrý anjel, die Familien im Umgang mit gesundheitlichen Problemen unterstützt.

Es zeigt sich, dass soziale Verantwortung als bloßes Werbemotto für Firmen nicht mehr reicht. Die Steigerung der Rentabilität und die Fokussierung auf Umsatzsteigerungen halten Firmen nicht länger am Leben. „Viele müssen ihr gesamtes Wertegerüst neu gewichten. Bisher haben wir immer nur genommen und nichts zurückgegeben. Das ist nicht nachhaltig“, meint Ivana Molnárová. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Gesellschaft und die Unternehmen innehalten und neue Prioritäten setzen müssen.

Auch wenn vielen Unternehmen harte Zeiten bevorstehen, stellt sich bei einigen auch in dieser komplizierten Situation langsam Erfolg ein. Ihre große Aufgabe in diesen schwierigen Zeiten ist es, sich durch gesellschaftliche Verantwortung erkenntlich zu zeigen. „Das sollten wir beobachten. Und anderen Firmen drücken wir die Daumen, dass sie es ohne große Schäden schaffen. Eine gute Welt hängt von guten Unternehmen ab“, so das Fazit von Ľudmila Kolesárová.

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