Verschwörungstheorie QAnon  Hauptsache gegen den Status Quo

QAnon-Anhänger auf einer Demonstration für Donald Trump in Manchester (New Hampshire) im August 2019. Die Trump-Regierung gilt unter QAnon-Anhängern als Retterin von Kindern aus sogenannten „Kinderfabriken“.
QAnon-Anhänger auf einer Demonstration für Donald Trump in Manchester (New Hampshire) im August 2019. Die Trump-Regierung gilt unter QAnon-Anhängern als Retterin von Kindern aus sogenannten „Kinderfabriken“. Foto: Marc Nozell, CC BY 2.0

In Krisenzeiten suchen Menschen nach Halt. Während sich die einen der Wissenschaft oder Religion zuwenden, schlagen andere einen gefährlichen Weg ein: Sie finden Erklärungen und Antworten in Verschwörungstheorien – wie abstrus diese auch sein mögen.

Je unsicherer die Zeiten, desto anfälliger scheinen Gesellschaften für Verschwörungstheorien zu sein. Diese erlebten etwa nach den Anschlägen vom 11. September 2001 einen regelrechten Boom. Da überrascht wenig, dass sich auch während der Corona-Pandemie einige Menschen auf der Suche nach Antworten wieder Verschwörungstheorien zuwenden. Eine kristallisiert sich dabei besonders heraus: QAnon.

Krisen sind immer Nährboden für Verschwörungstheorien

„Krisenmomente sind für Verschwörungstheorien immer Nährboden“, sagt Josef Holnburger dazu, „das Versagen wird so externalisiert und Schuldige gesucht“. Der Politikwissenschaftler weiß, wovon er spricht: Er forscht zu Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien. Es gebe dabei ein sehr einfaches Gut-Böse-Schema mit einer deutlichen Wir-gegen-die-Dichotomie. „Man spricht deshalb auch oft von Verschwörungsideologie statt Verschwörungstheorie – weil man sein ganzes Weltbild nach einer solchen Erzählung ordnet.“

Auf Twitter postet Holnburger regelmäßig Threads, um Verschwörungstheorien und Aussagen ihrer Anhänger*innen einzuordnen. So hat er unter anderem Xavier Naidoos aktuelle Videos analysiert. Naidoo ist einer der bekanntesten Musiker Deutschlands und hat rund 6,5 Millionen Platten in seiner gut zwanzigjährigen Karriere verkauft. Fast ebenso lange aber fällt er immer wieder durch rassistische, homofeindliche und verschwörungstheoretische Aussagen auf. Nachdem der einstige Juror von der Castingshow Deutschland sucht den Superstar wegen eines Videos mit rassistischen Aussagen ausgeschlossen wurde, lud er ein weiteres Video hoch, das ihn in die Nähe von QAnon rückt.
 

QAnon: antisemitische Ritualmordlegende unter anderem Label

QAnon ist eine relativ neue Verschwörungstheorie, die innerhalb kürzester Zeit eine recht breite Anhängerschaft gefunden hat. Im deutschsprachigen Raum sind es gerade die Videos von Xavier Naidoo, die QAnon zu einer gewissen Verbreitung verholfen haben. Bittet man Josef Holnburger, die Kerntheorie zusammenzufassen, muss er erstmal kurz lachen. „Ich kann das nicht erklären, ohne selbst bekloppt zu wirken.“ Er versucht es dennoch: Die Anhänger von QAnon glauben an den sogenannten „Deep State“, ein weltweites Netzwerk aus ranghohen Persönlichkeiten. Dieses betreibe angeblich im Untergrund „Kinderfabriken“, in denen Kinder gefoltert würden, um ihnen das Stoffwechselprodukt von Adrenalin, Adrenochrom (dieses wiederum gibt es wirklich), zu entnehmen. „Das gleicht 1:1 der antisemitischen Ritualmordlegende, nur unter anderen Labels und Chiffren“, sagt Holnburger.

Adrenochrom soll angeblich von Politiker*innen und Celebritys konsumiert werden, wahlweise als Jungbrunnen oder aber als mächtige Droge zur Bewusstseinserweiterung. Die Trump-Regierung gilt bei QAnon als Retterin der Kinder in diesen „Kinderfabriken“. So absurd das klingt, so gefährlich ist diese Verschwörungstheorie. Der Attentäter von Hanau, der am 19. Februar neun Menschen mit Migrationshintergrund und im Anschluss seine Mutter und sich selbst ermordete, bezog sich in einem Video auf die vermeintliche Tötung von Kindern durch böse Mächte.

QAnon tauchte erstmals im Oktober 2017 auf, als sich ein anonymer User namens „Q“ (daher auch die Bezeichnung „QAnon“) auf dem Imageboard 4chan als Informant aus dem engen Umfeld Donald Trumps ausgab und die bevorstehende Verhaftung von Hillary Clinton ankündigte, die eine der Hauptakteurinnen des sogenannten „Deep States“ sein soll. Dass diese Verhaftung niemals geschehen ist, erwies sich als erstaunlich irrelevant für die schnell wachsende Anhängerschaft der QAnon-Theorie.

„Hauptsache, es geht gegen den Status Quo.“

Auch die Sars-CoV-2-Pandemie wurde spielend leicht in das QAnon-Konstrukt integriert: „Es gibt es viele, auch sich widersprechende Theorien. Im Wesentlichen dominieren derzeit zwei Erzählungen“, so Josef Holnburger. „Die eine besagt, dass Corona nur ein Hoax ist, der von Trump in die Welt gesetzt wurde, weil die vermeintlich erkrankten Politiker*innen und Stars in Wirklichkeit von der Regierung oder dem Militär verhaftet und vor ein Tribunal gestellt wurden“, sie also für die „Kinderfabriken“ zur Rechenschaft gezogen würden. „Das Narrativ lautet, dass die Ausgangssperre ein geschickter Kniff von Trump sei, damit es nicht zum Bürgerkrieg kommt.“ Dass Corona ein Fake sein soll, widerspricht sich direkt mit der anderen Ansicht der QAnon-Anhänger*innen, laut der Covid-19 eine in China entwickelte Biowaffe sein soll. Wie geht das zusammen? „Überhaupt nicht“, sagt Holnburger. „Aber es gibt Studien, laut denen Verschwörungstheoretiker*innen kein Problem damit haben, Widersprüchen zuzustimmen. Hauptsache, es geht gegen den Status Quo.“
 

Mit einem dreiköpfigen Team hat Josef Holnburger bis Mitte April insgesamt 273 rechtsextreme und Verschwörungstheorien verbreitende Telegram-Kanäle im deutschsprachigen Raum untersucht. „Auffällig sei, dass die Kanäle der Rechtsextremen besonders viele Follower*innen haben. „Danach kommt lange nichts“, sagt Holnburger und nennt ein Beispiel: Der einstige Börsen- und Finanzjournalist Oliver Janich, der mittlerweile von den Philippinen aus Verschwörungstheorien verbreitet, hat auf seinem Telegram-Kanal gut 80.000 Follower*innen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Vergleich dazu nur 700. „Vor allem QAnon-Kanäle haben während Corona massiven Zuwachs erlebt, teilweise haben sie sich innerhalb von zehn Tagen verdoppelt.“

Was bei den Verschwörungs-Kanälen auf Telegram auffällt: Einige der Messages, die geteilt werden, bekommen mehr Views, als der Kanal Abonnent*innen hat. „Deswegen kann man davon ausgehen, dass diese Nachrichten in andere Gruppen weitergeleitet werden, etwa in Nachbarschaftsgruppen.“ Somit gelangen krude Verschwörungstheorien auch an Menschen, die den Kontext nicht kennen und die Nachrichten nicht einordnen können. Doch warum überhaupt Telegram? „Telegram vertritt hier eher ein amerikanisches Verständnis von Redefreiheit im Gegensatz zu Meinungsfreiheit“, erläutert Holnburger. „Das heißt, alles darf gesagt werden, selbst wenn es in Deutschland strafbar ist – und so können verfassungswidrige Zeichen und Volksverhetzung verbreitet werden.“

Doch es gibt eine Gegenentwicklung: Seit dem 09. April ist auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf Telegram vertreten und lädt Nutzer des Messenger-Dienstes aktiv ein, dem neuen Kanal zu folgen. So konnte das Ministerium die rechten Gruppen und Kanäle weit abhängen. Stand 29. April folgen mehr als 304.000 Menschen dem BMG und seiner Aufklärung zur Corona-Krise.
 

„Unbedingt Widerspruch äußern!“

In der Berichtserstattung über Verschwörungstheorien gibt es ein Paradox, dem auch dieser Artikel ausgesetzt ist: Dadurch, dass darüber geschrieben wird, werden diese absurde Theorien weiter verbreitet. Josef Holnburger ist sich dessen bewusst, wenn er Tweets zu QAnon absetzt. Deswegen nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sei aber keine Option, schließlich bedarf es Aufklärung – vor allem, wenn Stars wie Xavier Naidoo Verschwörungstheorien posten. „Wichtig ist, zu kontextualisieren, die Nachrichten nicht einfach zu reproduzieren, ohne sie einzuordnen“. Bei Videos ist das schwieriger, deswegen arbeitet der Politikwissenschaftler mit Screenshots oder Zusammenschnitten; bei Fotos hilft, das Wort „Fake“ darauf zu schreiben.

Was können Einzelne tun, wenn sie Verschwörungstheorien hören? „Unbedingt Widerspruch äußern“, rät Josef Holnberger. „Oft wird nicht reagiert und dann denken die Menschen, die diese Theorien verbreiten, sie wären in der Mehrheit. Es ist nötig, ihnen zu zeigen, dass ihnen nicht überall geglaubt wird.“

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