Verschwörungserzählungen heute  Von Verschwörungstheorien zum Anti-Verschwörungsdenken

Von Verschwörungstheorien zum Anti-Verschwörungsdenken Foto: William Hook via unsplash | CC0 1.0

Verschwörungserzählungen sind keineswegs ein neues Phänomen. In unserer Zeit der politischen Krisen scheinen sie jedoch zu einem Schlachtfeld zu werden zwischen denen, die an sie glauben und denen, die an ihnen den Niedergang der liberalen Demokratie festmachen. Alarmismus und Stigmatisierung lösen das Problem jedoch nicht, argumentiert Dominik Želinský, Leiter des Forschungsprojekts „Pantruth“ (Pandemische Wahrheiten) über Verschwörungserzählungen in den Ländern der Visegrád-Gruppe.

Wie viele Menschen glauben, dass hinter großen historischen Ereignissen eine kleine Gruppe von Menschen steht, die im Hintergrund in der Politik die Fäden zieht? Wie viele glauben an eine „hohle Erde“ und wie viele glauben, dass die Erdkugel in Wirklichkeit flach ist? Und wie viele glauben, dass das Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico inszeniert wurde, um eine Atmosphäre der Angst zu erzeugen und die Regierungsgegner zum Schweigen zu bringen? Sogenannte Verschwörungstheorien sind seit Jahren ein Thema, das große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Viele sehen in Statistiken über den Glauben an solche Verschwörungstheorien so etwas wie einen Bericht über den Zustand der Gesellschaft und gleichzeitig eine Möglichkeit, sich selbst gegenüber dem Rest der Gesellschaft zu positionieren: Was glauben all diese (anderen) dummen Menschen heute nicht alles?!

Verschwörungstheorien – oder vielmehr Verschwörungserzählungen oder Verschwörungsgeschichten (denn tatsächlich erfüllen sie nicht die Kriterien einer Theorie) – sind inzwischen ein fester Bestandteil einer gewissen Art von Zeitdiagnose geworden, der zufolge wir – vor allem dank sozialer Netzwerke – das sogenannte post-faktische Zeitalter erreicht haben. In der Slowakei ist dieser Deutungsrahmen besonders beliebt, und in den letzten Jahren haben Intellektuelle gerne mit der dramatischen Formulierung auf sich aufmerksam gemacht, das Land befinde sich in einer „Verschwörungshölle“. Forschungsberichte wiederum verkünden uns, die Slowakei stehe „afrikanischen Entwicklungsländern näher als den entwickelten westlichen Ländern.“
Über Verschwörungsgeschichten müssen wir differenziert sprechen und sie als ein Phänomen verstehen, das in einer Zeit politischer und intellektueller Krisen bei einem Teil der Gesellschaft den Höhepunkt des Interesses erreicht hat.
Verschwörungsgeschichten sind ein narrativer Ausdruck radikaler Zweifel über die Absichten tatsächlicher oder vermeintlicher Eliten und können – natürlich – gefährlich sein. Viele davon stehen im Zusammenhang mit ethnischem oder sozialem Hass und haben das Potenzial, Gewalt zu motivieren. Gegebenenfalls können sie, wie wir es während der COVID-19-Pandemie gesehen haben, die öffentliche Gesundheit gefährden. Alarmismus und Stigmatisierung lösen das Problem der Verschwörungsgeschichten jedoch nicht. Über Verschwörungsgeschichten müssen wir differenziert sprechen und sie als ein Phänomen verstehen, das in einer Zeit politischer und intellektueller Krisen bei einem Teil der Gesellschaft den Höhepunkt des Interesses erreicht hat.

Die Problem in der Diskussion über Verschwörungsgeschichten

Die aktuelle öffentliche Diskussion spiegelt nur in geringem Maße die Debatte wider, die in der Fachwelt stattfindet und sich auf wissenschaftlicher Ebene mit konspirativen Geschichten beschäftigt. Diese ist viel differenzierter und in vielerlei Hinsicht etwas nachsichtiger gegenüber diesen Verschwörungsgeschichten. In erster Linie stellt sie die Wahrnehmung in Frage, dass wir uns heute im goldenen Zeitalter der Verschwörungstheorien befinden.

So haben zum Beispiel die renommierten Politikwissenschaftler Joseph E. Uscinski und Adam M. Enders gemeinsam mit ihrem Team in einer kürzlich veröffentlichten Studie unter anderem den Grad des Vertrauens in 46 populäre Verschwörungsgeschichten während des zurückliegenden halben Jahrhunderts untersucht und aufgezeichnet. Trotz des weit verbreiteten Eindrucks, dass wir gerade einen Boom des konspirativen Denkens erleben würden, „beobachten wir keine Hinweise darauf, dass der Glaube an Verschwörungstheorien im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien zunimmt“, halten sie fest. Sie bestätigen die Ergebnisse ihrer früheren Studien, in denen sie beispielsweise das Ausmaß des Verschwörungsglaubens in 120.000 Briefen untersucht hatten, die vom späten 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert an die New York Times und die Chicago Tribune geschickt wurden. Bestenfalls lässt sich sagen, dass die sozialen Krisen, die wir derzeit durchleben, lediglich die langfristige Präsenz konspirativer Erzählungen hervorheben, wie eine Studie von Jan-Willem Prooijen und Karen M. Douglas nahelegt.

Gegenwärtig stellen viele Forscherinnen und Forscher auch die Vorstellung in Frage, dass es sich beim Verschwörungsdenken a priori um eine pathologische oder gefährliche Denkform handele. Sicher seien viele Verschwörungserzählungen gefährlich, doch die entsprechenden Geschichten als solche seien ein so weit verbreitetes Phänomen, dass sie, wie Michael Butter und Peter Knight schreiben, „im Grunde ein gewöhnliches Entertainment“ seien. Elzbieta Drazkiewicz, Leiterin des renommierten ERC-Projekts CONSPIRATIONS, geht in ihrer jüngsten Studie sogar noch weiter und sieht keinen Schaden darin, denn die die Community, die sich um diese Art von Entertainment formiert, könne in manchen Fällen auch Unterstützung bieten, etwa jenen, die sich zum Beispiel von der Schulmedizin betrogen fühlten. Wie der Politikwissenschaftler Pavol Hardoš betont, können Verschwörungsgeschichten für die Bevölkerung zugleich auch ein Mittel sein, sich vor einem möglichen Machtmissbrauch zu schützen. „Für das Wohl und die Sicherheit liberaler Demokratien ist ein gewisses Maß an Misstrauen und Skepsis gegenüber den Privilegien der Mächtigen gesund“, schreibt Hardoš.

Ein drittes bedeutendes Problem ist der politisierte Charakter der Forschung zu Verschwörungsgeschichten. Wie die bereits erwähnten Politologen Uscinski und Enders feststellen, gibt es zwar mehrere Definitionen von Verschwörungsgeschichten (oder Versuche dazu), doch in der Öffentlichkeit dominiert meist die Regel „I know it when I see it“: Etwas, das wie eine Verschwörungsgeschichte klingt oder einfach nur dumm ist, wird als „Verschwörungstheorie“ abgestempelt. Das Problem bei diesem Ansatz besteht vor allem darin, dass sich „Verschwörungstheorien“ von einer analytischen Kategorie zu einem stigmatisierenden Etikett entwickelt haben, das unglaubwürdige oder exzentrische Ansichten diskreditiert.

Ein gutes Beispiel dafür ist ein Artikel der Zeitung Denník N über eine Umfrage der Markt- und Meinungsforschungsagentur Ipsos. Diese befragte zur Haltung gegenüber verschiedenen Verschwörungstheorien, wobei unter anderem jene „Verschwörungstheorie“ erwähnt wird, dass „Impfstoffe Krankheiten verursachen“. Die Vorstellung, dass Impfstoffe Krankheiten verursachen, ist sicherlich Unsinn (auch wenn niemand die Nebenwirkungen bestreitet), aber in diesem Fall handelt es sich nicht um eine Verschwörungstheorie – die Aussage selbst postuliert keine Verschwörung, es handelt sich also eher um ein Gerücht. Nach der weiteren Verwendung dieses erweiterten Konzepts, was als Verschwörungstheorie gilt, kam es zu einer raschen Politisierung des Diskurses über Verschwörungsgeschichten und (oft unbeabsichtigt) zur selektiven Auswahl von konspirativen Geschichten oder Aussagen, die in Meinungsumfragen untersucht werden.

Da das Interesse an der Verbreitung von Verschwörungsgeschichten vor allem im liberalen Spektrum vorherrscht, beobachten wir eine Tendenz, dass sogenannte Verschwörungstheorien mit ihren ideologischen Gegnern in Verbindung gebracht werden: mit der Welt des Konservatismus und der Welt der extremen Rechten. Das Nachdenken über irrationale Tendenzen und unwissenschaftliche Meinungen fehlt im eigenen politischen Lager schon lange.

Zwischen Verschwörungstheorie und Anti-Verschwörungsdenken

Angesichts der Probleme, die mit der Diskussion und Erforschung von Verschwörungstheorien einhergehen, ist es vielleicht angebracht, metaphorisch das Schachbrett umzudrehen und die Frage etwas anders zu stellen. Wenn wir in einer Zeit leben, in der Verschwörungsgeschichten keineswegs ein neues Phänomen sind (im slowakischen Kontext nachgewiesen dank der bedeutenden Arbeiten von Zuzana Panczová), warum sind sie dann plötzlich in unserem öffentlichen Raum zu einem so markanten Thema geworden und warum haben viele das Gefühl, dass gerade Verschwörungsgeschichten ein größeres gesellschaftliches Problem darstellen als andere Phänomene und dass man sich damit auseinandersetzen muss? Woher kommt diese neue „Anti-Verschwörung“?

Das öffentliche und journalistische enorme Interesse an Verschwörungsgeschichten begann weltweit im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Es hing zweifellos mit der Entstehung der sozialen Medien zusammen. Wie jedoch zum Beispiel die bereits erwähnte Studie von Uscinski und Enders zeigt, die die „Verschwörungen“ bereits seit dem 19. Jahrhundert (also lange vor dem Aufkommen der sozialen Netzwerke) nachgewiesen hat, liegt es also höchstwahrscheinlich nicht daran, dass die Menschen dazu neigen, den Verschwörungsgeschichten heutzutage stärker zu glauben als früher (obwohl die digitale Umgebung zweifellos neue Wege zur Popularisierung beliebiger Inhalte ermöglicht). Meine Arbeitshypothese zur späteren Entwicklung ist, dass unsere Gedankeninhalte in den sozialen Medien sozusagen transparenter geworden sind – in den Diskussionen unter den Statusmeldungen unserer Freunde haben wir plötzlich gesehen, welche Gedanken andere im Kopf haben. Dieser Blick war und ist nicht immer schön und kann mitunter sogar Panik auslösen. Sind nun wirklich alle verrückt geworden?

Ein weitaus wichtigeres Element beim Herausbilden des anti-konspirativen Diskurses waren allerdings umfassendere politische Prozesse in Zusammenhang mit dem allmählichen Aufstieg der extremen Rechten und der Rückkehr des Nationalismus, was von der Politik- und Sozialwissenschaft heute als mögliche Folge der Wirtschaftskrise von 2008 eingeordnet wird. In der Slowakei war dieser Effekt sogar noch früher sichtbar als im westlichen Umfeld, vor allem in Zusammenhang mit dem Aufstieg sogenannter alternativer Medien – hier besonders Zem a vek (deutsch etwa: Welt und Ära) mit einer offen antisemitischen Agenda – und des neofaschistischen Politikers Marian Kotleba im Jahr 2013. Aber wir waren damit nicht allein: In der Tschechischen Republik wurde Miloš Zeman Präsident, in Ungarn kam Viktor Orbán an die Macht und in Polen regierte die PIS.

Auf globaler Ebene eskalierte diese Krise in den Jahren 2015 und 2016 vor allem mit dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich und der ersten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, sowie mit dem Aufstieg migrationsfeindlicher Bewegungen im Kontext der sogenannten Flüchtlingskrise. Erwähnenswert ist zweifellos auch die russische Annexion der Krim, die eine alte Konfliktlinie mit neuer Kraft in die Politik der mitteleuropäischen Gesellschaften zurückgebracht hat: Sollen wir nun auf der Seite Russlands oder auf der des Westens stehen? In der Zeit zwischen 2014 und 2015 konnten wir in der Slowakei eine intensive Diskussion über Verschwörungsgeschichten beobachten, es erschienen die ersten Informationsbroschüren (zum Beispiel veröffentlicht durch die Zeitung Denník N). Es ist auch erwähnenswert, dass sich beispielsweise im Jahr 2013 gleich die allererste Folge der Talkshow Večera s Havranom (Abend mit Havran), die den slowakischen Diskurs über ein Jahrzehnt lang geprägt hat, ausschließlich mit Verschwörungen beschäftigte.

Die radikale Erschütterung eines Weltbildes, das einen toleranten Multikulturalismus, die wirtschaftliche Globalisierung und politische Integration in euro-atlantische Strukturen propagierte, hat vor allem im liberalen Lager etwas hervorgerufen, was sich eher als Krise der politischen Autorität bezeichnen lässt. Wie ist es möglich, dass im gesamten Westen plötzlich nicht nur ideologische Rivalen des Liberalismus, sondern auch der liberalen Demokratie Wahlen gewinnen? Der Effekt von Verschwörungsgeschichten, die offensichtlich ein Markenzeichen dieser neuen Welle des Rechtspopulismus waren, wurde einem der Erklärungsansätze, mit denen der liberale Raum auf diese Frage antwortete. Mit dem Interesse an Verschwörungsgeschichten ging die Betonung von kritischem Denken und von Rationalität als Lösung einher: Es herrschte der Glaube, dass die Menschen nicht für die extreme Rechte stimmen würden, wenn man ihnen das intellektuelle Werkzeug gäbe, die Welt mit eigenen Augen zu sehen.

Natürlich waren und sind einige Verschwörungsgeschichten zutiefst problematisch – etwa jene, deren Inhalt Antisemitismus oder Antiislamismus ist. Der konspirative Charakter dieser Geschichten war jedoch nicht, wie viele glaubten, der Kern des Problems, sondern ein sekundärer Aspekt der hasserfüllten Rhetorik, die im Zuge einer breiteren Transformation der Weltpolitik ihren Weg in den Mainstream fand. Dabei wird oft übersehen, dass das Antiverschwörungsdenken in dieser Zeit auch eine Art gesellschaftlichen Anker schuf. Es ist zwar eine Denkweise, doch auch eine Form der Identität und man kann somit von einer neuen Form von Verschwörungsgeschichten sprechen, die nicht nur aus den Reihen der sich mit Verschwörungsgeschichten befassenden Akademiker*innen stammten (von denen es in der Slowakei und weltweit nur sehr wenige gibt). Hier handelt es sich oft um Enthusiasten aus den unterschiedlichsten Bereichen des Journalismus, der Zivilgesellschaft oder des Marketings, die im „Kampf“ gegen Verschwörungsgeschichten, wie die Aufklärung sie zu nennen begann, eine neue Form gesellschaftlicher Identität, eine Mission und Prestige fanden. Sie wurden, zumindest in ihren eigenen Augen, wie Marian Jaslovský schrieb, zu „Guerillakämpfern der hybriden Kriegsführung“, die nun nicht mehr nur Aktivist*innen oder Journalist*innen waren, sondern Verteidiger*innen der Zivilgesellschaft gegen eine Welle der Irrationalität.
Dass wir begonnen haben, über Verschwörungstheorien zu sprechen und sie als grundlegendes gesellschaftliches Problem wahrzunehmen, ist nicht in erster Linie ein Versuch, einen abweichenden Dissens zu unterdrücken, sondern es ist eine Reaktion auf das Eindringen rechtsextremer Politikerinnen und Politiker in den politischen Mainstream.

Gedankenpolizei oder Bürgerinitiative?

Mit der Etablierung dieses Anti-konspirativen Glaubens formierte sich jedoch insbesondere auf Seiten der kritischen Linken ein sehr scharfer Gegendiskurs. Er interpretierte die Bemühungen der „Anti-Verschwörer“ oft auf radikale Weise als liberale Gedankenpolizei. Ein gutes Beispiel hierfür ist der amerikanische Theoretiker Jack Z. Bratich, der schreibt, dass sich im gemeinsamen Kampf gegen Verschwörungstheorien und Desinformation „Technologieunternehmen mit dem professionellen Journalismus, mit Sicherheitsdiensten und Intellektuellen zu einem neuen Beziehungsnetzwerk zusammengeschlossen haben, das Krieg gegen intellektuellen Dissens führt“. Aber ist eine solche Charakteristik wirklich angemessen?

Wenn wir das antikonspirative Denken verstehen wollen, sollten wir nicht nur seine pragmatische Dimension berücksichtigen, sondern auch den bereits erwähnten Fakt, dass er eigentlich eine Reaktion auf das Aufkommen der extremen Rechten im öffentlichen Raum war. Dass wir begonnen haben, über Verschwörungstheorien zu sprechen und sie als grundlegendes gesellschaftliches Problem wahrzunehmen, ist nicht in erster Linie ein Versuch, einen abweichenden Dissens zu unterdrücken, sondern es ist eine Reaktion auf das Eindringen rechtsextremer Politikerinnen und Politiker in den politischen Mainstream. Ausgangspunkt für diese Reaktion waren die spezifische Erinnerungspolitik und der Nachkriegskonsens, die darauf zielten, die extreme Rechte und den politischen Extremismus aus dem Bereich akzeptabler Politik zu verdrängen. Verschwörungsgegner reagierten auf die Rückkehr dieser radikalen Politik und ihrer ideologischen Inhalte in den öffentlichen Raum. In der Region Mittelosteuropa waren zudem die historischen Erfahrungen mit dem autoritären Einfluss der russischen Politik bedeutsam, die für viele durch die Annexion ukrainischen Territoriums durch Russland und durch die russische Ukraine-Politik, die 2022 in der groß angelegten Invasion Russlands gipfelte, wiederbelebt wurden.

Anstatt als Gedankenpolizei sollte die anti-konspirative Bewegung eher als eine legitime Form des Aktivismus verstanden werden, die ihren Ursprung im Bemühen hat, ein ideelles System zu festigen, das (unter anderem) auf dem Nachkriegswiderstand gegen Antisemitismus, der postkommunistischen Furcht vor russischem Einfluss und dem modernistischen Glauben in die Unparteilichkeit der Wissenschaft basiert. Angesichts der wachsenden Unsicherheit infolge der Wahlergebnisse und des sich wandelnden Zeitgeists haben sich nun auch in diesem Bereich verallgemeinernde und stigmatisierende Tendenzen gebildet, die sich unnötigerweise überall mit den so verpönten Verschwörungsgeschichten konfrontiert sahen. Gerade daraufhin sollte eine zweckmäßige Kritik am Anti-Verschwörungsdenken zielen, statt dramatische Phrasen von einer Unterdrückung intellektuelerl Andersdenkender zu formulieren.

Forschung heute

Um die Bedeutung sogenannter Verschwörungsgeschichten in der heutigen Gesellschaft zu verstehen, muss man sich natürlich eingehend mit den Entwicklungen auseinandersetzen, die radikale Vertreter*innen dieser Misstrauensgeschichten in die höchsten Etagen unserer (aber nicht nur unserer) Politik und unseres öffentlichen Lebens tragen – in der Slowakei zum Beispiel sind es Daniel Bombic und Peter Kotlár, in den USA ist es der Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. Allerdings muss die Forschung zum Thema ihren eigenen Instrumenten, Konzepten und Methoden sowie dem eigenen Potenzial kritisch gegenüberstehen und – nicht vorsätzlich – einer Politisierung unterliegen.

Aus meiner persönlichen Erfahrung als Sozialwissenschaftler muss ich sagen, dass eine starke Unterordnung der Wissenschaft unter eine politische Mission eher im Rahmen von Think Tanks als bei wissenschaftlichen Konferenzen zu Verschwörungstheorien stattfindet, da bei den letzteren ein relativ kritischer Blick auf die eigenen Forschungsobjekte überwiegt. Die überzeugendsten Kritikerinnen und Kritiker der Verschwörungsforschung sind fast immer die anderen Wissenschaftler*innen – zum Beispiel Uscinski und Enders, die sich auch mit den Nuancen der Theorie und mit der Methodik der Verschwörungsforschung selbst befassen.

Teil einer sinnvollen Forschung zu konspirativen Geschichten sollte jedoch auch eine Verschiebung auf die Metaebene sein. Wenn wir wissen, dass es solche Verschwörungsgeschichten schon immer gab, warum sind sie für uns dann erst in den letzten Jahren so interessant geworden und warum sind erst kürzlich auch Forschung und eine kritische Diskussion dieser Themen als wichtiger Aspekt unseres Medienraums und öffentlichen Diskurses in den Fokus gerückt? Die Antwort hierzu liegt höchstwahrscheinlich nicht im Aufkommen von Verschwörungsgeschichten, sondern im Zusammenbruch des etablierten Weltbildes und im Aufstieg rechtsextremer oder populistischer Bewegungen. Diese Entwicklungen haben eine Suche nach Erklärungen ausgelöst – und eine der Erklärungen sind Verschwörungstheorien (in Zusammenhang mit dem Einfluss sozialer Medien).

Verschwörungsgeschichten wurden somit zu einem Symbol, das inmitten eines größeren politischen und sozialen Konflikts fungiert. Heute kennen wir jedoch immer noch nur die Konturen dieses Prozesses. Nicht nur die Erforschung von Verschwörungsgeschichten, sondern auch die Erforschung des modernen anti-konspirativen Denkens stehen noch am Anfang.

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