Wie bekommt man in Tschechien eine Daueraufenthaltsgenehmigung  „Der Aufenthaltszweck ist der Aufenthalt“

Wenn Sie als Nicht-EU-Bürger*in in der Tschechien leben, möchten oder müssen Sie vielleicht irgendwann eine Daueraufenthaltsgenehmigung erhalten. Wie läuft das ab? Und wie viel kostet das Ganze? Die ukrainische Dichterin und Performance-Künstlerin Iryna Zahladko hat über diesen bürokratisch schwierigen Prozess eine Reportage geschrieben.

Als ich mit JÁDU-Redakteurin Tereza darüber sprach, diesen Artikel zu schreiben, hörte ich von ihr ein paar Mal das Wort „witzig“. Angeblich soll an dieser Reportage etwas witzig sein, vielleicht (selbst)ironisch, es soll die Leute unterhalten. In Tschechien bedeutet witzig gut. In der Ukraine bedeutet witzig hingegen belanglos. Für mich bedeutet witzig tschechisch. In diesem Zusammenhang habe ich das Gefühl, dass ich irgendwelche Kriterien in diesem Land nicht erfülle. Bin ich witzig genug? Wird das eine Rolle spielen, wenn ich die tschechische Staatsbürgerschaft beantrage? Vorerst beantrage ich lediglich eine Daueraufenthaltsgenehmigung. Darum geht es in diesem Text, der dadurch zugleich auch eine Prüfung in Witzigkeit wird.

Solange ich keine Daueraufenthaltsgenehmigung habe, beantrage ich alle zwei Jahre eine Verlängerung meiner Arbeitserlaubnis. Manchmal dauert es ein halbes Jahr, bis sie genehmigt ist. Das heißt, ich habe in der Zwischenzeit nichts in der Hand, womit ich beweisen kann, dass ich mich hier legal aufhalte. Dies war auch der Grund, warum einmal, als ich zu einem Literaturfestival fuhr und gerade im Hotel eincheckte, die Rezeptionistin die Ausländerpolizei rufen wollte.

Kommt euch das witzig vor? Ich nehme an nicht, und ich beginne ein Gefühl von Versagen zu spüren. Rettung mithilfe von Ironie: auch ein Gedicht muss legal gelesen werden.

Die Situation an der Rezeption war zwar nicht gefährlich, ist aber nicht gerade das, was ihr ein paar Stunden vor einem Auftritt erleben wollt. Zum Glück konnte ich meine vorläufige (ungültige) Genehmigung vorweisen, um zu erklären, wie das bei mir ist. Laut Gesetz hätte ich aber die alte Karte sofort nach dem Ablauf der Gültigkeit ans Innenministerium schicken sollen. Sonst bekomme ich eine Strafe. Eine Strafe ist mir allerdings weniger unangenehm als eine Situation, in der ich keine Chance habe, meine Anwesenheit zu rechtfertigen und statt einer Dichterin/Künstlerin/Feministin/Betreuerin_meiner_Katze/rationale_Spaßbremse/Liebhaberin/Leserin zu sein, bin ich nur eine weitere Verdächtige, die sich auf dem Gebiet der Tschechischen Republik illegal aufhält.


Ende der Präambel. Nun werde ich euch zeigen, was ich alles bereit bin zu tun, damit mir sowas nicht mehr passiert.

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Hätte ich nicht meine Vorliebe zu Tabellen, Listen und Plänen, so wäre ich in meinem Leben wohl nicht weit gekommen. Der Antrag für einen Daueraufenthalt war ein Ziel, das einen Plan erforderte, der wiederum nicht ohne Vorbereitungen zu realisieren war. Der erste Schritt also: die Liste mit allen nötigen Dokumenten herauszufinden.
Ich machte mir eine Liste, mit allem, was ich zu tun habe. Ich brachte in Erfahrung, wie viel Zeit ich benötigen würde, um alle aufgeführten Dokumente zu erhalten. Ich berechnete die Zeit und notierte in meinem Kalender, was ich wann beginnen und was ich wann fertig haben sollte.
* * *
Ich machte mich darauf gefasst, dass es eine Ewigkeit dauern würde, um zur Tschechischprüfung zugelassen zu werden. Es gibt Leute, die ein ganzes Jahr darauf warten. Die Prüfung kann man an 28 Orten in der ganzen Republik machen. Jährlich werden auf diese Weise 30 Prüfungen abgehalten. Nach meiner Registrierung Anfang Januar wurde ich auf die Warteliste gesetzt und erhielt die Nummer 3623.

Und ich hatte Glück. Großes Glück. Es ist Ende Januar und ich erhalte eine SMS mit der Aufforderung, meine Registrierung für die Prüfung zu bestätigen, die bereits in drei Wochen (!) in Ostrava stattfindet. Ich begreife gar nicht, wie es dazu kommen konnte. Hat es sich jemand anders überlegt und haben dann die dreitausend Personen in der Schlange vor mir beschlossen, dass es für sie noch zu früh ist? Diesen Zauber kann ich mir bis heute nicht erklären. Ich hatte Glück und basta. Ich wurde nicht mal wütend wegen der seltsamen Bedingungen: Ich sollte innerhalb der nächsten vier Tage persönlich erscheinen, um meine Teilnahme zu bestätigen und zu bezahlen. Nach zwei Tagen bin ich in Ostrava, hole aus meiner Geldtasche 3200 Tschechische Kronen für die heißersehnte Prüfung und beginne zu rechnen, wie teuer dieses Abenteuer werden wird.


Es bleiben drei Tage zur Vorbereitung, ich sollte darauf pfeifen. Stattdessen gehe ich die Aufgaben durch, wie zum Beispiel folgende: Ich lese die Anzeige:
Zu dieser Anzeige wähle ich Iveta, die „ihrem Ehemann, der gerne Sport treibt, eine Freude machen und zu seinem Geburtstag eine hübsche Jacke kaufen will“.

Die nächste Aufgabe:
Das reicht. Ich freue mich auf die Prüfung. Ich freue mich darauf, sie endlich hinter mir zu haben.

* * *
Kurz darauf fahre ich zur Prüfung nach Ostrava. Zu den Kosten rechne ich die Hin- und Rückfahrt dazu, und auch die Übernachtung im Hotel, da ich dieses Mal nicht bei Freund*innen unterkommen kann. Am Tag der Prüfung (na klar, wie denn sonst) beginnt die Menstruation. Es ist früher Samstagmorgen, die Apotheken sind geschlossen. Um die Schmerzen zu lindern und um nicht bei der Prüfungsaufgabe mit den Anzeigen in Ohnmacht zu fallen, kaufe ich an der Tankstelle zwei Espresso und einen Schokoriegel. Ich esse sie an der Haltestelle und fahre zur Prüfung, es regnet.

Zu Beginn der Prüfung gibt es eine Überraschung: Guten Tag, hier die Fremdenpolizei, wir kontrollieren Ihre Ausweise. Dieser unnötige Stress vor der Prüfung hat uns gerade noch gefehlt. Echt jetzt: jemand fälscht seinen Ausweis, um zu einer Tschechischprüfung zu gehen? Man kann sich nur schwer einen dämlicheren Ort vorstellen, um illegale Migrant*innen zu suchen. Doch sie meinten es ernst. Die Herren suchten etwas in den Computern, riefen ab- und zu irgendwo an, untersuchten die Pässe genau unter einer Lupe. Muss ich erwähnen, dass sie nichts gefunden haben?

Muss ich erwähnen, dass die Prüfung öde war und ich sie bestanden habe?

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Laut den Informationen im Internet dauert es mindestens einen Monat, um einen Auszug aus dem ukrainischen Strafregister zu erhalten. Es muss ein Original und eine amtlich beglaubigte Übersetzung sein. Ich beschließe, dass ich weder die Gesundheit noch die Zeit habe, in einer endlosen Schlange in der Hitze vor dem Konsulat zu stehen, noch dazu an einem Arbeitstag. Deshalb wende ich mich an eine Firma, die an solchen Leuten wie mir verdienen und für 600 Tschechische Kronen bekomme ich innerhalb von zehn Tagen das gewünschte Dokument mitsamt der beglaubigten Übersetzung.

Für weitere 200 Tschechische Kronen besorge ich mir vier Fotos. Dabei brauche ich nur eins. Kommt euch das bekannt vor?

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Für den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts brauche ich drei verschiedene Dokumente. Es dauert ein paar Wochen, bis ich vom Arbeitgeber ein Papier erhalte, auf dem steht, dass es stimmt, dass ich wirklich für ihn arbeite (der Arbeitsvertrag allein reicht angeblich nicht). Und auch ein Papier, auf dem mein Verdienst für das letzte Quartal angegeben ist. Ich grübele darüber nach, dass dem Staat offenbar mehr daran liegt, dass den Migrant*innen die finanziellen Mittel zum Leben reichen, als dass sie sich darum sorgen, dass seine Bürger*innen genug Geld zum Lebensunterhalt haben.

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Ende Mai melde ich mich beim Innenministerium an und erhalte einen Termin Mitte Juli. Innerhalb dieser Zeit soll ich Kopien von allem anfertigen, was ich dorthin bringe. Deshalb gehe ich eines Tages an einen so seltenen Ort wie die Post und verbringe dort mindestens eine Dreiviertelstunde. Zuerst mit Warten. Dann mit Warten für das Anfertigen endloser Kopien. Alles muss beglaubigt, zusammengeklebt werden, mit Siegeln und Unterschriften versehen.

Das macht 496 Kronen, bitte.

Bitte noch eine Stempelmarke für 2500 Kronen.

Ja, das macht dann insgesamt 2996 Kronen, bitte.

* * *
Jetzt muss ich nur noch den Antrag für die Daueraufenthaltsgenehmigung ausfüllen. Auf der Webseite des Ministeriums steht, man könne ihn online ausfüllen und müsse ihn dann nur noch ausdrucken. Der Link führt aber zum Herunterladen eines unausgefüllten Dokuments. Ich lade es herunter und gehe, um es ausdrucken zu lassen (plus noch ein paar Kronen für den Farbdruck). Ich komme zurück, setze mich hin und fülle den Antrag aus. Es ist gar nicht so schlimm. Ich bin mir nur bei einer Sache nicht ganz sicher und die Informationen dazu stehen angeblich auf Seite 6, obwohl der Antrag nur fünf Seiten hat. Macht nichts.

Bei dem Feld „Aufenthaltszweck“ stutze ich noch. Leben? Ich will hier ja leben, deshalb brauche ich eine Daueraufenthaltsgenehmigung. Leben und schreiben, Zeit verbringen, unter Menschen sein, was ich gern bin, sich verlieben, an Demonstrationen teilnehmen, um hier meine Regale mit Büchern zu füllen. Also schreibe ich „Arbeit“, so bleibt es allgemein.

* * *
Ich breite fast 50 Papiere auf dem Boden im Wohnzimmer aus und bekomme Angst, dass ich irgendwas vergessen haben könnte. Das Witzigkeitszertifikat?
* * *
Finally, es ist Mitte Juli. Ich bin mit allem ausgerüstet, was man von mir erwartet. Ich bin die perfekte Migrantin. Ich spreche Tschechisch, fülle alle Dokumente auf Tschechisch aus, habe alles der Reihe nach geordnet, so wie es auf der Webseite stand. Ich habe einen Strafregisterauszug mit, der nicht einmal verpflichtend ist, aber nur für den Fall der Fälle... Ich komme etwas früher zur Zweigstelle des Ministeriums. Ich helfe zwei Migranten die Stelle zu finden, wo sie sich anmelden müssen.

Dann stehe ich beim Schalter.

Sie haben das Feld „Aufenthaltszweck“ falsch ausgefüllt.

Wie bitte?

Sie haben hier als Aufenthaltszweck „Arbeit“ geschrieben, aber es muss dort „Daueraufenthalt nach fünf Jahren“ stehen.

Wie bitte? Was soll da stehen?

Der Aufenthaltszweck soll Daueraufenthalt sein.

Diese Logik schnalle ich bis heute nicht, aber ich schrieb artig, was mir gesagt wurde. Ich bin die perfekte Migrantin.

Anfang September endet Ihr Mietvertrag. Sie müssen uns dann die Kopie des neuen zuschicken.

Gut, sagt die artige Migrantin.

Nirgends steht, welche Gültigkeitsdauer die Dokumente haben sollen, die die/der Antragsteller*in vorlegen muss. Hauptsache, sie sind gültig, wenn sie eingereicht werden. Auch sollte, laut den Informationen auf der Webseite des Ministeriums, der Antrag innerhalb von nur zwei Monaten bearbeitet werden. Was in meinem Fall bedeutet: bis Mitte September. Theoretisch könnte er bis zu der Zeit fertig sein, wenn mein Mietvertrag endet. Aber wird er rechtzeitig fertig? Was wenn ich obdachlos werden will, das werden sie mir wohl nicht genehmigen. Es ist nur dann in Ordnung, wenn ein Staatsbürger obdachlos ist.

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Ich starre auf die Posten mit den Ausgaben. Ich werde sie nicht zusammenrechnen, weil ich nicht weiß, was es bedeuten wird, wenn ich diese Zahl rausbekomme. Wie würde ich sie nennen?

Ich habe es nicht eilig, vorzeitig die Verlängerung meines Mietvertrags zu unterschreiben, damit ich eine weitere Kopie beschaffen und abschicken kann.

Oktober 2024