Mitten im aktiven Kriegsgeschehen passen sich ukrainische Bäuerinnen und Bauern, an neue klimatische Bedingungen an, zum Beispiel in der Region Charkiw. Sie ändern den Zeitpunkt von Aussaat und Ernte, suchen nach neuen Feldfrüchten und nutzen Gewächshäuser und Netze nicht nur, um früher zu ernten, sondern auch, um die Pflanzen vor extremen Wetterereignissen zu schützen.
In den meisten Teilen der Ukraine gibt es keinen klaren Wechsel der Jahreszeiten mehr — vom Winter zum heißen Sommer und dann wieder zur Frostsaison. Zudem sind die Sommer länger geworden, die Winter fast schneefrei und die wiederkehrenden Fröste im April zwingen die Landwirt*innen, ihren Arbeitskalender zu überdenken.
Das Bild wurde am 24. November 2024 in der Region Charkiw aufgenommen. Eines der beliebtesten Gewürzkräuter, der Dill, reift zum zweiten Mal in dieser Saison, noch dazu im Freilandanbau. | Foto: © Tetiana Lohvina
Im vergangenen Jahr haben einige Gewürzkräuter, darunter Dill und einige Zierpflanzen, die Vegetationsperiode zweimal durchlaufen. Der lange Sommer und die hohen Temperaturen haben ihnen dazu verholfen. Auch für Erdbeeren und Himbeeren gab es genug Wärme und Sonne für zwei Ernten — die remontierenden (also mehrmals tragende) Sorten dieser Beerenkulturen liefern bis zum ersten Frost einen beachtlichen Ertrag.
Beim Gemüse wurden vor 30 Jahren nur auf der Krim zwei Ernten eingefahren, wobei die erste bereits im Januar gepflanzt wurde. Später übernahmen die Landwirt*innen der südlichen Regionen Cherson und Odesa dieses Prinzip des Gemüseanbaus. Und in der Region Charkiw werden Kartoffeln der Sorte Sorokodenka seit einigen Jahren zweimal pro Saison geerntet. Die erwähnten wiederkehrenden Rückfröste zwingen die Landwirte jedoch, bestimmte anbautechnische Bedingungen einzuhalten. Bei dieser Sorte kann die Ernte bereits 35 bis 40 Tage nach der Aussaat erfolgen. Aber was ist der „Preis“ für solche Änderungen?
Jedes folgende Jahrzehnt ist wärmer als das vorhergehende
2024 war in der Ukraine das wärmste Jahr seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen 1945 und das niederschlagsärmste. Vira Balabuch, Leiterin der Abteilung für angewandte Meteorologie und Klimatologie am Ukrainischen Hydrometeorologischen Institut, sagte in einem Interview, dass die Wetteranomalien in der Ukraine auch auf einen allgemeinen Anstieg der globalen Lufttemperatur aufgrund des zunehmenden Treibhauseffekts zurückzuführen seien: Im vergangenen Jahr erreichte die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre den höchsten Wert seit 800.000 Jahren. Dies führte zu einem Anstieg der Lufttemperatur und einem langen Hitzesommer.Das Hydrometeorologische Zentrum der Ukraine kommt aufgrund seiner Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Erwärmung in der Ukraine seit 1989 anhält. Jedes Jahrzehnt ist wärmer als das vorhergehende. So lag die Jahresdurchschnittstemperatur in der landwirtschaftlichen Zone früher bei 7,8 Grad Celsius. Im Jahr 2020 stieg sie auf 9,1 Grad und im Jahr 2021 auf 10,6 Grad. Und im Jahr 2024 lag die durchschnittliche Jahreslufttemperatur im Land bereits bei 11,4 Grad Celsius!
Insgesamt wurden in der Region Charkiw im Jahr 2024 mehr als 20 Temperaturrekorde aufgestellt. Es gab Zeiten, in denen die Temperatur in Charkiw 37 Grad Celsius und in der Region 40 Grad Celsius erreichte, was keineswegs typisch für diese Gegend ist. Gleichzeitig stoppen Temperaturen über 33 Grad Celsius das Wachstum und die Entwicklung fast aller Kulturpflanzen, sagt Jevhenija Ljaschenko, Abteilungsleiterin im regionalen Zentrum für Hydrometeorologie in Charkiw. Hinzu kommt ein Mangel an Regen. Laut Jevhenija hat die Region im Sommer 2,4 Mal weniger Regen erhalten als normal. Das führte zu Wassermangel in den Flüssen und zu starker Bodentrockenheit. Und im September, als die Bauern die Grundlage für die nächste Ernte legten, fiel überhaupt kein Regen.
Kakis, Feigen und andere Exoten aus Charkiw
Kleinere Betriebe passen sich schneller an den Klimawandel und die neuen wirtschaftlichen Bedingungen an. Kleinere Flächen und kleinere Investitionen würden mehr Möglichkeiten zum Experimentieren bedeuten, meinen Oleh und Tetiana Rudak aus Smijiw im Bezirk Tchuhujiw der Region Charkiw. Sie bauen seit vielen Jahren Beerenobst an. Auf ihrem Grundstück reifen zu unterschiedlichen Zeiten Himbeeren, Stachelbeeren, Weintrauben, Johannisbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren... Und natürlich Gemüse. Jetzt experimentieren sie mit exotischen Sorten wie Feigen und Kakis und ernten die ersten Früchte.Die Erkenntnis, dass sich das Klima in unserer Region verändert, haben die Rudaks empirisch gewonnen, indem sie die Pflanzen beobachteten. Wegen der großen Trockenheit verdorrten die Himbeeren vor ihren Augen, und wenn man sie wie üblich bewässerte, bekamen sie Sonnenbrand auf den Blättern. Auch Tomaten bekamen die gleichen Verbrennungen. „Das Blatt verdunstet das Wasser schneller als das Wurzelsystem es nachliefert. Wir haben eine Tropfbewässerung für unsere Himbeeren, aber das reichte nicht aus, weil es sehr heiß war. Vor allem während der Reifezeit der Beeren. Vielleicht müssen wir Gewächshäuser ohne Seitenwände bauen oder eine durchgehende Überdachung mit speziellen Netzen anbringen. Diese Pflanzen vertragen keine 40 Grad Hitze“, sagt Tetiana Rudak.
Im Transkarpatengebiet werden solche Netze übrigens erfolgreich eingesetzt. So schützt der Bauernhof „Konyk“ im Dorf Storoschnytsia in der Nähe von Uschhorod seine Gärten seit einigen Jahren auf diese Weise vor der Sonneneinstrahlung.
Netze über einer Apfelplantage auf dem Bauernhof „Konyk“ im Transkarpatengebiet. | Foto: © Tetiana Lohvina
Was neue Sorten betrifft, so waren früher selbst Walnüsse und sortenreine Weinreben in der Region Charkiw exotisch. Heute wachsen und tragen Pfirsiche in diesem Klima seit vielen Jahren Früchte. Drei oder vier Kakisorten schlagen Wurzeln und tragen Früchte. Manchmal wachsen auch Aktinidien im Freiland. „Man kann alles anbauen, aber für jede Kultur muss man spezielle Bedingungen schaffen“, sagt Oleh Rudak.
In den traditionellen Olivenanbaugebieten — in Spanien, Griechenland und Nordafrika — ist das Klima für Oliven inzwischen zu heiß. In der Ukraine hingegen können sie mit hoher Rentabilität angebaut und verarbeitet werden.“
Ohne Bewässerung ist kein Gemüseanbau im Freiland mehr möglich
Vor der großen Invasion war die Gemüsefabrik Smijiwsk auf den Anbau von Gurken und Tomaten in Gewächshäusern spezialisiert. Leider wurden diese bei mehreren russischen Raketenangriffen auf das Dorf Sloboschanske im Bezirk Tschuhujiw vollständig zerstört. Es ist nicht geplant, sie bis zum Ende des Krieges wieder vollständig aufzubauen.Laut Direktor Ihor Sysenko war der Betrieb gezwungen, auf den Anbau von Borschtsch-Gemüse [Kohl, Rote Bete, Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln — Anm. d. Übers.] im Freiland umzustellen. Im Jahr 2024 wurden auf einer Fläche von 20 Hektar verschiedene Sorten von Zwiebeln, Karotten, Rüben, Paprika und Wassermelonen angebaut. Die Bewässerung erfolgt über ein Tröpfchensystem.
Wie Ihor Sysenko erklärt, ist das Gebiet Charkiw eine Region mit kritischen Bedingungen für die Landwirtschaft. Die natürlichen Niederschläge reichen nicht mehr aus, um das Gemüse aus eigener Kraft wachsen zu lassen. Deshalb wurden die Erfahrungen mit der Tröpfchenbewässerung aus den Gewächshäusern auf den Freilandboden übertragen.
Die Gemüsefabrik Smijiwsk verfügt über einen eigenen Brunnen und hat mit einem örtlichen Wärmekraftwerk einen Vertrag über die Lieferung von Brauchwasser abgeschlossen. So kann das Unternehmen nicht nur Gemüse anbauen, sondern plant auch, seine Anbaufläche jährlich um 50 Prozent zu erweitern, sofern die Sicherheitslage in der Region dies zulässt.
Darüber hinaus ist der Bau von Wasserspeichern geplant. Damit wird man unabhängig von den häufigen Stromausfällen und möglichen Blackouts. „Angesichts der sich ändernden klimatischen Bedingungen in der Ukraine müssen wir die Erfahrungen aus den südlichen Regionen der Vereinigten Staaten übernehmen, wo Mais seit langem mit Bewässerungsmaschinen angebaut wird“, sagt Sysenko. In der Ukraine sei Gemüseanbau ohne Bewässerung inzwischen schlicht unmöglich.
Hoffen auf ein Wunder
Neben der Sommerhitze machen den Landwirt*innen auch die wiederkehrenden Rückfröste zu schaffen. Das zwingt sie, bei den üblichen Kulturen auf Spätsorten auszuweichen und die Setzlinge später in den Boden zu bringen. Auch die Getreide- und Hülsenfruchtproduzent*innen sind davon betroffen.Dmytro Revenko, Leiter von ReViK, einem der größten landwirtschaftlichen Betriebe in Smijiw in der Oblast Charkiw, und Vertreter des Ukrainischen Agrarrates in der Region, ist seit langem in der Agrarwirtschaft tätig. Auch er betont wiederholt, dass die Bedingungen für die Landwirtschaft in der Region Charkiw kritisch seien.
Dmytro Revenko, Leiter des landwirtschaftlichen Betriebs ReViK. | Foto: © Tetiana Lohvina
Die letzten drei Kriegsjahre haben gezeigt, dass das stimmt: Der Sommer 2024 war unglaublich heiß und trocken, während die Niederschläge in den Jahren 2022 und 2023 doppelt so hoch waren wie normal. Doch trotz der stark veränderten Wetterbedingungen ändern die Landwirt*innen ihre Praktiken kaum, sondern beschränken sich darauf, den Zeitpunkt von Aussaat und Ernte anzupassen und auf ein Wunder zu hoffen.
„Im Herbst säen wir mehr oder weniger wie früher, weil wir nicht wissen, wie es mit dem Regen sein wird“, sagt Dmytro Revenko. Im Jahr 2024 habe die Herbstaussaat der Winterkulturen Weizen, Gerste, Raps und so weiter wie üblich im September stattgefunden. Die Landwirt*innen gingen damit ein Risiko ein, denn der Boden war trocken. Im Betrieb war man sich bewusst, dass das Saatgut nicht sofort keimen würde — man musste auf günstige Bedingungen warten. Genau das geschah: Ende Oktober regnete es, und Anfang November keimte die Wintersaat. Die Pflanzen waren noch nicht in gutem Zustand, aber waren sind da. „Und 90 Prozent der Landwirte in der Ukraine haben es genauso gemacht“, sagt Revenko.
Neue Kulturen unter neuen Bedingungen
Laut Anatoliy Tkachuk, Direktor für Wissenschaft und Entwicklung am Institut für Zivilgesellschaft, sind die südlichen Regionen der Ukraine — Odesa, Mykolajiw, Cherson und Dnipro — am stärksten vom Klimawandel betroffen. In diesen Regionen gab es traditionell zwei Arten von Landwirtschaft: Getreideanbau auf großen Flächen und Gemüseanbau auf bewässerten Flächen, insbesondere in der Nähe des Kachowka-Stausees, der im Juni 2023 von den Russen zerstört wurde. „Das vergangene Jahr war bezeichnend: Es gab keinen Regen, keine Bewässerung, die Temperaturen lagen bei 40 Grad, alles brannte. Eine Rückkehr zur traditionellen Landwirtschaft ist daher unmöglich, wir müssen nach anderen Möglichkeiten suchen“, ist der Wissenschaftler überzeugt.Laut Anatolij Tkatschuk haben sich bereits Gemeindevorsteher aus den Problemgebieten an ihn gewandt und gemeinsam eine Auswahl von Pflanzen getroffen, die sowohl für den Anbau als auch für den Verbrauch und Verkauf in der Ukraine interessant sein könnten. Auch in anderen Gebieten hat es große Veränderungen gegeben. Dies gilt insbesondere für die Regionen Winnytsja, Chmelnyckyj und Ternopil. Dort ist die Situation nach Einschätzung des Experten noch nicht so kritisch wie im Süden, aber es eröffnen sich neue Möglichkeiten für den Anbau neuer Kulturen in diesen Regionen. Dazu gehören Weintrauben, Kakis, Feigen, Süßkartoffeln, Artischocken und krautige Pflanzen. Unter den Getreidearten könnte Amaranth vielversprechend sein. In der Ukraine ist sogar der Anbau von Oliven möglich. „In den traditionellen Olivenanbaugebieten — in Spanien, Griechenland und Nordafrika — ist das Klima für Oliven inzwischen zu heiß. In der Ukraine hingegen können sie mit hoher Rentabilität angebaut und verarbeitet werden“, sagt Tkatschuk.
Bodenmelioration ist kein Allheilmittel
Die bewässerten Flächen in der Ukraine nehmen von Jahr zu Jahr ab. Aktuell kommt eine weitere Herausforderung hinzu: Kriegshandlungen, die der Landwirtschaft irreparable Schäden zufügen. Das eindrucksvollste Beispiel ist der bereits erwähnte Kachowka-Stausee, der ursprünglich 584.000 Hektar Land „bewässerte“.In relativ sicheren Regionen wie Poltawa versucht man bereits, mit Hilfe internationaler Geber die Bewässerungssysteme wieder aufzubauen. Denn das ist sehr teuer. Dmytro Revenko weist darauf hin, dass das Land des von ihm geleiteten ReViK-Betriebs teilweise in Gebieten liegt, die früher bewässert wurden: zum Teil durch ein Wasserversorgungssystem, zum Teil durch den Fluss Uda. Im Jahr 2020 wurde in diesem Betrieb ein vorläufiger Plan für die Wiederherstellung dieses Systems erstellt und die ungefähren Kosten berechnet. Die Arbeiten selbst waren für 2022/2023 geplant, konnten aber wegen der Kampfhandlungen nicht durchgeführt werden. Und solange der Krieg in der Ukraine nicht beendet ist, wird Dmytro Revenko dieses Thema nicht wieder aufgreifen, da es mit hohen Investitionen und Risiken verbunden ist.
Anatolij Tkatschuk hingegen ist sich sicher, dass Bodenmelioration unter den heutigen Bedingungen kein Allheilmittel mehr ist. „Die Wasserverfügbarkeit in der Ukraine ist stark zurückgegangen. Das große Problem ist, dass es keine Sümpfe mehr gibt — sie sind ausgetrocknet. Die Niederschläge, die im Spätherbst und Winter fallen sollten, bleiben aus. Es gibt kein Wasser mehr, so dass eine seriöse Bewässerung nicht mehr möglich ist. Eine Lösung ist die Speicherung von Regenwasser und der Bau von Brunnen, was aber nur für kleine Betriebe möglich ist. Das Bohren von Brunnen für eine großflächige Bewässerung ist eher unrealistisch. Und die meisten kleinen Flüsse sind verschwunden oder auf dem Weg dorthin“, sagt der Experte.
In diesem Jahr haben die Meteorologen am 8. Januar 2025 mit 9,4 Grad Celsius ein neues Temperaturmaximum der letzten 24 Jahre gemessen. Die Karotten, die manche im Herbst gepflanzt haben, treiben aus. Der vor dem Winter gepflanzte Knoblauch ist bereits aufgegangen. Die Johannisbeeren treiben Knospen auf dem Land, das die Ukrainer*innen seit drei Jahren zu einem so hohen Preis gegen den Aggressor verteidigen.
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März 2025