Was einst ein Volksvergnügen war, wird zum Symbol eines Wandels: In der Slowakei verschwinden kleine Skigebiete und mit ihnen eine Kultur des Zusammenhalts. Zwischen Klimakrise, Abwanderung und Kommerz bleibt die Frage, für wen Skifahren heute überhaupt noch ist.
Eine schwarze Skibrille und eine zwei Nummern zu große Windjacke, von der Schwester geerbt, können einem ein hohes Maß an Freiheit verschaffen. Zumindest galt das für mich. Meine androgyne Silhouette raste den Hang hinunter und dort ließ ich die meisten Unsicherheiten eines heranwachsenden Mädchens hinter mir. Mein Vater war ein guter Pistenpartner und schonte mich nicht. Ich konnte die Vorteile des Jungseins in vollen Zügen genießen, und statt meines Gewissens brannten mir vor Anstrengung die Oberschenkel. Nach ein paar Abfahrten war ich richtig gut gelaunt, ich fühlte mich wie neugeboren.Mit den Vorwürfen, Skifahren sei ein bourgeoiser Sport, wurde ich erst viel später zum ersten Mal konfrontiert. Meine Skierlebnisse machte ich nämlich in einer Region, in der jeder nach Lust und Laune eine geneigte Fläche herunterfahren konnte, was dieser Behauptung völlig widersprach. Im Laufe der Jahre wurden solche Möglichkeiten jedoch immer seltener. Während die großen Skigebiete expandierten und ihr Angebot diversifizierten, verschwanden die kleinen Pisten abseits der touristischen Hotspots zusammen mit dem letzten Schnee. Was ist nun von der Skikultur in Spiš noch übriggeblieben, ist es noch sinnvoll, etwas aufzubauen, und für wen eigentlich?
Mlynky | Foto: © Katarína Pirháčová
Der kleine Lift der Gemeinde als Kulturdenkmal
Ich halte an der ersten Kurve und beobachte, wie er in engem Zickzack auf den Feinripp-Rillen neben dem Skilift hinuntersaust. Obwohl mein Vater seit Jahren Carving-Ski fährt, hat sich sein Stil überhaupt nicht verändert. Die spitzen Zacken seiner Kristiania-Schwünge sind noch immer unerbittlich präzise. Kein Hang ist steil genug, um seinen Rhythmus aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er ist ein langjähriger und erfahrener Skifahrer, der auf den noch von Hand präparierten Pisten von Spiš groß geworden ist.„Hier könnte man einen Weltcup veranstalten“, sagt er übertrieben, als wir Anfang Februar 2025 im einzigen Imbiss des Skigebiets Mraznica sitzen. Das liegt im Slowakischen Erzgebirge oberhalb der Gemeinde Hnilčík und ist eines der Skigebiete, die nur Einheimische kennen. Mein Vater deutet durch die Scheibe zur Piste und zählt aus dem Gedächtnis die Kurven und Kehren auf. Unermüdlich vergleicht er sie mit den Skigebieten Levočská dolina, Lopušná dolina und Poráčská dolina, Mlynky, Plejsy oder Rittenberg. Für mich sind sie aber alle ziemlich ähnlich: Kleine Skigebiete ohne Seilbahnen, mit ein oder zwei Abfahren, aber trotz allem mit schwarzen Pisten, auf denen mir als Kind immer die Knie gezittert haben.
Hnilčík, Mráznica, im Februar 2024 | Foto: © Katarína Pirháčová
Neben den endlos langen und unzähligen Pisten der großen Skigebiete in der Tatra wirkt Mraznica wie ein aus der Zeit gefallenes sozialistisches Souvenir. Die Einheimischen sind jedoch stolz auf ihre eigenen Qualitätskriterien. Es gibt zwar nur einen Skilift, aber die gemütliche Geselligkeit ist kaum zu übersehen. Wer mit Kindern kommt, kann sie hier immer im Blick behalten und niemand wird sie mit hoher Geschwindigkeit über den Haufen fahren. Denn was hier zählt ist, dass man bei jedem Wetter auf die Piste geht, und nicht die Marke der Ausrüstung. In dieser Hinsicht bleibt Mraznica der harten Bergbaukultur treu, die sie geprägt hat.
Wintergruß aus Hnilčík | Quelle: © mraznica.wordpress.com
Obwohl Skifahren ein Individualsport ist, hatte der Skilift der Gemeinde vor allem eine integrative Funktion, er verband beide Enden des Dorfes über Generationen hinweg und war tief im Rhythmus zwischen Sommer- und Wintersaison verwurzelt. In diesem Sinne ging es nicht nur um Sport, sondern um ein regelmäßig wiederkehrendes Ritual, bei dem körperliche Aktivität mit der räumlichen Erfahrung der Landschaft und dem Familienleben verbunden wurde.
Früher gab es in dem Gebiet mehrere Lifte, auf einer Zeichnung von 1987 sind es vier. In den 1980er Jahren fanden in Mraznica sogar Wettkämpfe statt. Sowohl die slowakische Jugendmeisterschaft als auch die slowakische Hochschulmeisterschaft im Skifahren wurden hier ausgetragen.
Eine Generationenfrage
Heute sieht man hier auf der Piste nicht mehr viele junge Leute. Die Kundschaft des Skigebiets besteht hauptsächlich aus der älteren Generation. „Unter Rentnern ist das Interesse groß, bis vor kurzem gab es für über 70-Jährige eine Freikarte, aber wir mussten das Alter auf 75 Jahre anheben“, fügt Kvetoslava Berčová lachend hinzu. Das sind meistens Leute, die durch den Infrastrukturboom in den 1960er Jahren zum Skifahren gekommen sind.Ich frage sie, ob der Grund für die alternde Kundschaft der allgemeine Wegzug junger Menschen aus dem Ort ist oder ob auch etwas anderes dahintersteckt. „Ich denke, es ist schwierig, mit größeren Skigebieten zu konkurrieren. Die Menschen haben heute andere Ansprüche, deshalb konzentrieren wir uns vor allem auf Skikurse. Das ist sowohl wirtschaftlich als auch menschlich lohnenswert“, erklärt Kvetoslava Berčová.
Seit 2016 gibt es in der Slowakei Zuschüsse für Bewegungsaktivitäten in der Natur (sogenannte KPA), zu denen auch Skikurse für Grund- und Mittelschüler*innen gehören. Ziel der Förderung ist es, allen Schüler*innen unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten zu ermöglichen. Das kann einmal während der Grundschulzeit und einmal während der Sekundarschulzeit in Anspruch genommen werden. Zuvor wurden die Kosten für Skikurse allein von den Eltern bezahlt. Aus den Unterlagen des Bildungsministeriums geht hervor, dass im Jahr 2024 1.164 Schulen diese Zuschüsse für Skikurse in Höhe von insgesamt mehr als 10 Millionen Euro in Anspruch genommen haben.
„Für die Kinder ist es ein Erlebnis für eine Woche, aber danach liegt es an den Eltern. Wir haben jedem Kind einen kostenlosen Skipass für die Eltern gegeben, aber nur wenige haben das Angebot genutzt“, sagt Kvetoslava Berčová, Mitarbeiterin des Skigebiets, abschließend zum Thema der sich verändernden Kundschaft. Es scheint, dass die Kultur kleinerer Skigebiete mit dem Generationswechsel unweigerlich verschwinden wird.
Ein Skiparadies?
Die Tatsache, dass sich das Skifahren in Spiš Mitte des letzten Jahrhunderts vor allem als Freizeitbeschäftigung der örtlichen Bergleute entwickelt hat, bestätigt auch das Bergbaumuseum in Poráč, das am Fuße des Hangs liegt.„Die meisten Bergleute, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben, würden es nie zugeben, aber dieses Bergbauprojekt war von Anfang an ein Verlustgeschäft“, gesteht Ján Ďurša, einer der Gründer, der bis zum Ende des Bergbaus im Jahr 2019 in der Mine gearbeitet hat. Später war er Mitbegründer der Vereinigung Poráčske baníctvo (Bergbau in Poráč), die sich mit der Geschichte des Bergbaus in der Region befasst.
Poráč | Foto: © Katarína Pirháčová
Poráč war aber eigentlich kein Skiparadies. Die Gemeinde liegt nur 771 Meter hoch, sodass es vorkommt, dass der Schnee schon vom Berg weggeweht ist, bevor man seine Skier überhaupt anschnallen kann. Trotzdem gibt es hier bis heute zwei Skigebiete: Brodok und Poráčska dolina.
„Mein Vater war kein sportlicher Typ, erst in der Mittelschule habe ich einen Skikurs gemacht, vorher habe ich es mir einfach bei meinem älteren Bruder abgeguckt. Im Sommer spielten wir Fußball, im Winter fuhren wir Ski, andere Freizeitbeschäftigungen gab es eben nicht“, kommentiert Ján Ďurša die Fotos aus seiner Kindheit, die ihn zeigen, wie er als Dreijähriger auf Skiern durch das Dorf fährt.
Einer der Vorteile der ehemaligen Großunternehmen wie der Eisenerzminen war die Verbindung zu Sportvereinen und der damit verbundene Bau von Freizeitzentren. „Zuerst hatten wir nur ein Seil, einen Ankerlift vom Typ VL 200. Anfang der 70er Jahre wurde ein Lift im Tal gebaut und der Hang, der sogenannte Zabijak [etwa: Todespiste], gerodet. Im Jahr 1962 wurde die erste Berghütte gebaut – ein Erholungsheim, in dem Pionierlager und Skiausflüge untergebracht worden“, so Ďurša über die Geschichte des Zentrums.
Und er erwähnt natürlich auch, dass diese Zentren und dieser Sport auch bis zu einem gewissen Grad elitär waren: „Die höhergestellten Angestellten der Unternehmen hatten ihre eigenen Skier. Ihre Kinder hatten immer die bessere Ausrüstung und insgeheim beneideten wir sie darum. Für ein Paar Ski mit laminierter Unterseite musste ich einen ganzen Sommer lang arbeiten.“
Heute wird in Poráč die Skitradition von kommerziellen Betreibern der Skigebiete fortgesetzt und ansonsten besteht die Freizeitinfrastruktur im Wesentlichen aus verlassenen Industriegebäuden, einer Quecksilberdeponie und verschlammten Betonblöcken, die im nahe gelegenen Rudňany als Kinderspielplatz dienen.
Industriegebäude in Rudňany | Foto: © Katarína Pirháčová
Das Ausland reizt ihn in Bezug auf Skifahren überhaupt nicht. Er sieht das sportlich: „Wer es den ganzen Tag auf der Piste aushält, der fährt nicht Ski, sondern rutscht einfach nur den Berg runter.“
Er schwört auf das Angebot der Region und hat einen guten Überblick über die umliegenden Skigebiete. Wir tauschen Erinnerungen aus und vergleichen, wie diese Skigebiete sich verändert haben.
„Auch Plejsy war sehr beliebt, das gehörte zum Bergwerk in Krompachy. Rittenberg war auch großartig, im Grunde genommen ein Skigebiet direkt in der Stadt.“ Die nur zwei Kilometer vom Zentrum von Spišská Nová Ves entfernte Piste wurde vom örtlichen Skiclub betrieben und die Saison 2012 war hier die letzte. Denn es fehlte an finanziellen Mitteln zur Deckung der Energiekosten und auch das Interesse ist im Laufe der Jahre immer weiter zurückgegangen. Mein Blick wandert zur Biathlon-Übertragung. Noch ein Schuss, dann ist die Saison zu Ende.
Der Sport der Arbeiterklasse
Ende März gibt es in Spiš keine Spur von natürlichem Schnee mehr, ich glaube also, dass ich in Turnschuhen gehen kann. Der Weg nach Mlynky führt nur über einen Hügel, egal ob man von Spišská Nová Ves, Poprad oder Rožňava aus kommt. Die Belohnung für die bewältigten Serpentinen ist der Ausblick auf eine Reihe von Dörfern, die sich an die kurvenreiche einspurige Straße schmiegen. In ihrer Mitte schreitet ein Trauerzug. Wir werden langsamer.
Mlynky im März 2025 | Foto: © Katarína Pirháčová
Der auf Kupfer-, Siderit- und Kobaltvorkommen basierende Boom endete schon lange vor dem Ende des Regimes, nämlich bereits 1967. Seit den 1970er Jahren setzte die Region ihre Hoffnungen verstärkt auf den Tourismus, wie auch in der Chronik der Gemeinde nachzulesen ist: „Die Bürger von Hladová dolina finden jedoch Beschäftigungsmöglichkeiten im Tourismus.“
Mlynky | Foto: © Katarína Pirháčová
Auch František Kolář, Historiker für die Olympischen Spiele an der Karlsuniversität in Prag, bestätigt, dass das System eines vereinheitlichten Sportbetriebs das Skifahren in breiten Bevölkerungsschichten, unabhängig von ihrem sozialen Status, förderte.
Mlynky auf dem Cover der Zeitschrift „Lyžářství“ (etwa: „Skisport“) | Quelle: © Svaz lyžařů České republiky (Tschechischer Skiverband)
Er erinnert daran, dass „es in der Tschechoslowakei bereits Ende der 1940er Jahre eine breite Basis an Amateurskifahrern gab, und zwar dank traditioneller Sportorganisationen wie Sokol bis 1948 [im Juni 1948 wurde Sokol in der Slowakei verboten, Anm. d. Verf.]. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann der Skisport weltweit an Popularität, unabhängig von der politischen Aufteilung der Welt.“
Eine andere Zeit
Alfréd Franko will vom Skifahren in Mlynky absolut nicht ablassen, aber er ist dort nur noch einer von Wenigen. Mit dem Rückgang des Skisports wurde der Wintertourismus später durch die Holzwirtschaft ergänzt, aber auch das konnte den südlichen Teil der Region Spiš nicht vor hoher Arbeitslosigkeit und der unvermeidlichen Abwanderung junger Menschen bewahren. Laut Daten des Statistikamtes hat sich die Einwohnerzahl in Mlynky innerhalb eines halben Jahrhunderts um mehr als die Hälfte verringert.
Mlynky - Gugel | Zeitschrift „Lyžářství“ | Quelle: © SKIforum.sk
Doch jetzt bringt ein neues Projekt Hoffnung auf Arbeitsplätze. Nicht weit entfernt vom Skilift steht das baufällige Gebäude des Hotel Slalom, dessen neuer Eigentümer ein 16-Millionen-Euro-Projekt angekurbelt hat, das neben dem Bau eines Ferienresorts auch ein Skigebiet umfassen soll. Derzeit durchläuft es die Phase der Umweltverträglichkeitsprüfung durch das Umweltministerium, da die geplanten 240 Apartments in der Schutzzone des Nationalparks Slowakisches Paradies entstehen sollen. Den zugänglichen Informationen zufolge sollen in dem Komplex nach Fertigstellung etwa 20 Arbeitsplätze entstehen. Es bleibt jedoch die Frage, ob der massive Bau anonymisierter Unterkünfte tatsächlich ein nachhaltiger und ökologischer Weg zur Entwicklung der Region ist und wie die Einheimischen von dem Projekt profitieren werden.
Die Skianlagen selbst gehören nach wie vor der Gemeinde. Seit den 1990er Jahren gab es mehrere Pächter, mehr oder weniger erfolgreich, mit mehr oder weniger Schulden. Eine Zeit lang wurden die Anlagen auch von der Gemeinde betrieben, die jedoch derzeit die Kosten nicht mehr stemmen kann. Obwohl Ski Gugel heute von einem Investor verwaltet wird, bleibt es weiterhin eng mit den Menschen aus der Umgebung verbunden. Die Gemeinde hilft bei der Instandhaltung der Wege und Anlagen. Der Jugendskiclub trainiert hier zweimal pro Woche und hilft im Gegenzug bei der Instandhaltung der Piste im Sommer oder bei kleineren Reparaturen.
Auch Alfréd Franko hilft beim Betrieb: „Um ehrlich zu sein, haben die keine Ahnung. Gleich am ersten Tag der Saison ist das Seil heruntergefallen, und sie wussten nicht, was sie tun sollten.“
Er bewegt sich souverän und selbstbewusst durch das Skigebiet, was man von mir nicht gerade behaupten kann. Auch hier ist die Skipiste steil, die Sohlen meiner Turnschuhe rutschen auf dem weißen Matsch. Alfréd schüttelt missbilligend den Kopf über mein Verhalten. „Kunstschnee hält immer länger als natürlicher Schnee“, erklärt er mir, als ich endlich zu ihm „heruntergeschlittert“ bin, „die Struktur der Flocken ist völlig anders.“
Mlynky | Foto: © Katarína Pirháčová
Trotzdem versucht er, pragmatisch zu bleiben. Dass Skifahren nur eine Zusatzleistung zur Unterkunft ist, wiederholt er während unseres Treffens mehrmals.
(Kein) Einfluss auf Wind und Niederschlag
Neben dem Generationswechsel stehen die Skigebiete in den unteren Gebirgslagen auch noch vor einem anderen, ähnlich weitreichenden Problem. Die Zeiten, in denen die Täler von November bis Mai weiß waren, sind wahrscheinlich unwiederbringlich vorbei. Laut einer Studie des Instituts für Umweltpolitik (IEP) aus dem Jahr 2024 geht man davon aus, „dass Skigebiete in der Slowakei unterhalb von 1000 Metern nicht über die entsprechenden Voraussetzungen für einen eigenständigen Betrieb verfügen, wobei selbst eine hohe Beschneiungsintensität diese Skigebiete möglicherweise nicht retten kann“. Aus diesem Grund wird gefordert, Investitionen in den Bau von Skigebieten und die Entwicklung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Skifahren in Höhenlagen unter 1700 Metern zu überdenken.In Mlynky ist es in diesem Jahr nur gelungen, den unteren Teil der Piste zu beschneien. Angesichts der Kosten für Wasser und Energie für die Schneekanonen, das Präparieren der Pisten und den Betrieb der Lifte ist das manchmal eine schwierige Rechnung. „Und niemand weiß, wie sich das Klima entwickeln wird. Auch der Investor selbst sagt, dass dies wohl das riskanteste Projekt ist, das er je in Angriff genommen hat“, so Peter Bujňák, der Betreiber des Skizentrums Gugel.
Die Piste in Mlynky | Foto: © Katarína Pirháčová
Dabei geht es nicht nur um finanzielle Möglichkeiten, sondern auch um ein Gefühl der Unangemessenheit. Bevor wir mit dem Auto den Grajnár-Sattel überqueren, schaue ich noch einmal auf den Hang zurück. Aus der Ferne erinnert er an einen weißen Streifen auf einem expressionistischen Gemälde. Vergeblich versuche ich, mir das Panorama von damals vorzustellen, in meine Kindheit zurückzukehren und mich an die verschneite Landschaft zu erinnern, in deren Stille jedes Klirren der Stahlseile des Skilifts hereinbricht. Die Umgebung kommuniziert heute auf einer anderen Frequenz. Und dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns in Spiš, Kysuce, in der Tatra oder in der Malá Fatra befinden. Immer wenn ich mich auf einen Skilift setze, sind die restlichen Bergkämme hinter meinem Rücken nun braungrün. Auch deshalb kann ich an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft ich in den letzten beiden Skisaisons auf der Piste war.
Das Skifahren aufzugeben bedeutet, der Krise ins Auge zu sehen. Die Frage bleibt, inwieweit wir bereit sind, uns mit der traurigen Realität auseinanderzusetzen. Denn Hand in Hand mit der Ehrlichkeit kommt auch eine Portion ökologische Trauer um die Biotope: Trauer, darüber, wie wir sie spürbar in Erinnerung behalten, wie wir sie jahrelang erlebt haben. Aus globaler Perspektive erscheinen das Ausmaß und die Tragweite dieser Verluste ein vernachlässigbares Problem der Ersten Welt zu sein, weshalb ich meine Entscheidung, nicht mehr Ski zu fahren, vor meinem Vater entsprechend herunterspiele. Er sieht mich mit einer Mischung aus Mitleid und Verwirrung an. Dass er so trotzig ist, hat weniger damit zu tun, dass er die sich verändernde Umwelt nicht wahrnehmen will, sondern vielmehr mit der Kultur der Region. Ich weiß, dass er, wenn er die Gelegenheit hätte, gern auch seinen Enkelkindern das Skifahren beibringen würde, sein Erbe in Form der Gewichtsverlagerung in den Schwüngen.
Dieser Artikel erschien zuerst im slowakischen Magazin Kapitál, einer unserer Medienpartner für PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES
Juni 2025