„Ein goldenes Zeitalter der Philosophie“ Ein Gespräch mit Toby Walsh

Toby Walsh with UNSW robot Baxter ©Grant Turner UNSW

AI steht für „artificial intelligence“ (künstliche Intelligenz), aber wie der führende Technologieexperte Toby Walsh anmerkt, könnte das “A” auch für „augmenting“ („verbessernde“) stehen. Der in Sydney ansässige Forscher spricht mit dem Goethe-Institut darüber, wie sich Mensch und KI verbünden können, um neue Lösungen zu finden und Kunst zu schaffen.

Barbara Gruber

Toby Walsh zählt zu den weltweit führenden Forschern auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Er hat sein Leben der Aufgabe gewidmet, herauszufinden, wie Maschinen funktionieren, wie sie Dinge erschaffen und wie sie uns helfen können, in Bereichen wie Gesundheit oder Unternehmensführung bessere Entscheidungen zu fällen.
 
Walsh, dessen jüngstes Buch den Titel 2062: Das Jahr, in dem die Künstliche Intelligenz uns ebenbürtig sein wird trägt, rät uns, Maschinen nicht als Konkurrenten, sondern als Verbündete zu betrachten, die uns bei der kreativen Arbeit helfen können. Im Gespräch mit dem Goethe-Institut äußert er sich zu breit gefächerten Themen wie Kreativität, menschlicher und Maschinenintelligenz und zu den Entscheidungen, die wir in Zukunft mit Blick auf KI werden fällen müssen.
 
Sie haben in jüngster Zeit mit Uncanny Valley zusammengearbeitet, einem Team von Musikern und KI-Experten, das den ersten ‚AI Song Contest‘ im Stil des Eurovision Song Contest gewonnen hat. Warum glauben sie, dass der siegreiche Song, der von Mensch und Maschine gemeinsam erzeugt wurde, wahrscheinlich besser war als die meisten menschlichen Kompositionen für den ursprünglichen Wettbewerb?
 
Ich denke, dass Uncanny Valley einen großen Vorteil hatte; der Erfolg war tatsächlich einer Kooperation zwischen Mensch und Maschine zu verdanken. Es war keine reine Schöpfung eines Computers, und es war auch kein ausschließlich vom Menschen gestaltetes Werk. Es war eine Synthese von beiden. Ich würde sagen, dass dies das interessanteste Experimentierfeld in der Zukunft sein wird: wir setzen seit jeher Maschinen ein, um unsere Leistungsfähigkeit zu erhöhen.
 
Es wird interessant herauszufinden, wie wir mit Computern unsere kreativen Möglichkeiten erweitern können. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass wir uns mit der Hilfe von Maschinen nicht in bessere Musiker und Dichter verwandeln werden. Andere Aufgaben bewältigen wir seit langem besser, indem wir die Hilfe von Maschinen in Anspruch nehmen. Die Herausforderung besteht teilweise darin, dass wir unsere eigene Kreativität eigentlich nicht verstehen. Die Maschinen sind ein Werkzeug, das uns helfen kann, das schwer greifbare Konzept der Kreativität besser zu verstehen. Toby Walsh am Goethe-Institut Toby Walsh spricht am Goethe-Institut in Sydney | © Goethe-Institut Welche Vorteile hat die KI gegenüber dem Menschen bei der Lösung dieses Problems der Definition von Kreativität? Welchen Mehrwert hat sie? Und welches sind unsere einzigartig menschlichen Merkmale?
 
Eine Eigenschaft des Computers ist die Sturheit, mit der er die gegebenen Anweisungen exakt befolgt. Man kann eine Maschine anweisen, alle möglichen Permutationen einer Idee auszuprobieren, und weil sie eine Maschine ist und weil sie sehr schnell arbeitet, wird sie tatsächlich all diese Möglichkeiten durchspielen. Ein Mensch wird vielleicht nicht so gründlich und systematisch arbeiten. Menschen können müde werden und einige Möglichkeiten übersehen. Das dürfte einer der Vorteile des Computers sein.
 
Auf der anderen Seite hat er auch Nachteile. Eine Maschine hat keine Emotionen, und es fehlt ihr unser Bewusstsein. Wir beginnen gerade damit, Maschinen darauf zu programmieren, menschliche Emotionen zu verstehen, aber ihr emotionales Leben ist extrem arm verglichen mit dem menschlichen. Wir müssten ihr emotionales Leben also sehr viel reicher gestalten. Wir könnten ihnen einen Schalter einprogrammieren, der umgelegt werden kann, so dass sie glücklich, traurig oder wütend sind.
 
Ein weiterer wirklich wichtiger Aspekt, der auch viel mit Kunst zu tun hat, betrifft die Tatsache, dass wir sterblich sind. Unser Leben ist endlich. Viele Künstler beschäftigen sich mit der Spannung, die diese Tatsache erzeugt. Maschinen sind nicht lebendig und haben kein Bewusstsein. Selbst wenn wir Maschinen dazu bringen können, Kunst zu schaffen, fehlt ihnen die gemeinsame Erfahrung der Menschheit, zu der es gehört, zu sterben und zu erleben, wie geliebte Menschen diese Welt verlassen. All diese unglaublich schmerzhaften Bestandteile des menschlichen Daseins werden Maschinen nie wirklich nachvollziehen können.
 
Ich denke, es ist klar, dass Maschinen nie in der Lage sein werden, den gesamten künstlerischen Prozess durchzumachen, weil sie nie sterblich wie wir sein und sich nie verlieben werden.
 
Wir konzentrieren uns darauf, dass Maschinen intelligenter werden – aber wird es nicht unsere Beherrschung des geschriebenen Wortes und damit auch unser kritisches und analytisches Denken beeinträchtigen, wenn wir beispielsweise Schreibwerkzeugen erlauben, uns das Schreiben abzunehmen? Sehen sie die Gefahr, dass wir Menschen dümmer werden, wenn die KI ein fester Bestandteil unseres Lebens wird?
 
Ja, ich glaube, das ist eine berechtigte Sorge. Wenn wir die Möglichkeit haben, Maschinen bestimmte Aufgaben zu übertragen, werden wir faul, was eine sehr menschliche Reaktion ist. Und das wird offenkundig erhebliche Auswirkungen haben. Wir gehören wahrscheinlich der letzten Generation an, die eine Landkarte lesen kann, weil wir das mittlerweile Maschinen überlassen: Dass wir nicht mehr auf Karten schauen, dass wir uns nichts mehr einprägen, sondern uns auf Geräte verlassen, wird uns verändern.
 
Wir wissen bereits, dass uns diese Entwicklung physisch verändern wird: Karten im Gedächtnis zu speichern, verändert die Größe des Hippocampus, jenes Teils des Gehirns, der für das räumliche Denken zuständig ist. Ich denke, wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir einige dieser Aufgaben auslagern – möglicherweise geben wir etwas sehr Wichtiges auf.
 
Nehmen wir die Sprache und die mündliche Überlieferung: In der Vergangenheit saßen die Menschen um ein Feuer herum und erzählten einander Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Das war ein wichtiger kultureller Teil des menschlichen Lebens. Wir verloren ihn und erinnerten uns nicht länger an diese Geschichten. Aber wir bekamen etwas anderes dafür – etwas sehr viel Wertvolleres: Wir bekamen die Literatur: Geschichten, die die Grenzen von Zeit und Raum sprengen. Wir bekamen die Werke von Goethe, Shakespeare und Wordsworth und anderen Dichtern aus aller Welt. Es sind Werke, die vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden niedergeschriebenen wurden und etwas, was wir nie bekommen hätten, wenn wir an der mündlichen Überlieferung festgehalten hätten.
 
Ohne die Literatur könnten wir uns nicht an diese Geschichten erinnern, und sie hätten nicht so weit über die Zeit und die Geographie hinweg gewirkt. In diesem Fall war es also ein sehr vorteilhafter Tausch. Aber in meinen Augen ist nicht klar, dass wir immer mehr zurückbekommen werden, wenn wir etwas der Technologie überlassen. Wenn wir eine wachsende Zahl kultureller Aufgaben den Maschinen übertragen, sollten wir uns eingehend mit der Frage beschäftigen: Bekommen wir im Gegenzug etwas Wertvolleres zurück? Toby Walsh mit UNSW Roboter Baxter Toby Walsh mit UNSW Roboter Baxter | ©Grant Turner UNSW

Nach ihrer Aussage könnten Computer die schmutzigen, langweiligen, schwierigen und gefährlichen Arbeiten erledigen, während wir uns zurücklehnen und die schönen Dinge des Lebens genießen. Glauben Sie, dass die KI die kulturelle Produktion und den kulturellen Konsum erhöhen und eine reichhaltigere kulturelle Erfahrung ermöglichen wird?
 

Mir gefällt die Vorstellung, dass wir an einen Punkt gelangen können, an dem wir mehr Freizeit außerhalb des beruflichen Alltagstrotts haben werden, um uns auf die wichtigeren Dinge des Lebens zu konzentrieren, auf Kunst, Familie und gesellschaftliches Leben. Die bisherige Geschichte der Technologie ist mit einer Verkürzung der Arbeitswoche einhergegangen, so dass wir heute mehr Zeit haben, um diese Dinge zu genießen.
 
Die Entwicklung der KI könnte also zu einer zweiten Renaissance führen, zu einer neuen Blütezeit der Kreativität. Es lohnt sich darauf hinzuweisen, dass das Wochenende eine Erfindung der Industriellen Revolution ist. Früher arbeiteten die Menschen sieben Tage in der Woche. Sie standen im Morgengrauen auf, arbeiteten bis Sonnenuntergang, gingen nach Hause und schliefen sich für den nächsten Arbeitstag aus. Doch das Produktivitätswachstum infolge der Automatisierung in der industriellen Revolution ermöglichte es ihnen, freie Sonntage für den Kirchgang zu fordern. Dann verlangten sie, am Samstagnachmittag und später den gesamten Samstag ausruhen zu dürfen. Mittlerweile haben die meisten von uns jede Woche zwei Tage frei.
 
Aber das ist eine rein menschliche Schöpfung. In Neuseeland, Großbritannien und anderswo wurde mit einer Viertagewoche experimentiert. Dabei haben sich zwei interessante Dinge herausgestellt. Erstens: Die Arbeitskräfte sind genauso produktiv wie in der Fünftagewoche. Man gibt alle überflüssigen Besprechungen auf und konzentriert sich darauf, seine Arbeit zu erledigen. Wenn die Produktivität nicht sinkt, kann man den Leuten für vier Arbeitstage in der Woche genauso viel zahlen wie zuvor für fünf Tage. Zweitens: Die Menschen sind glücklicher. Sie verbringen mehr Zeit mit den Dingen, die ihn wichtig sind, sei es Lesen oder Schreiben, Malen oder Kochen oder was auch immer ihnen Freude macht, anstatt ihr Leben am Arbeitsplatz zu vergeuden.
 
Fragt man Personen, die in den letzten Lebensabschnitt eintreten, so sagen die meisten von ihnen nicht: „Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit im Büro verbracht.” Sie sagen: „Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit meiner Familie verbracht. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens gehabt, statt immer nur Geld für Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf zu verdienen.” Die Technologie kann uns nicht nur helfen, unsere Fähigkeiten zu erweitern, sondern sie kann uns auch mehr Zeit verschaffen. Und die Zeit ist zweifellos unser wertvollster Besitz. Das einzige, was wir auf diesem Planeten nicht kaufen können, ist Zeit. Sie ist unsere kostbarste Ressource. Wenn uns die Maschinen Zeit verschaffen können, machen wir ein gutes Geschäft. Black Lives Matter Protest in Los Angeles Das Jahr 2020 ist geprägt von Protesten in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt | Foto: Nathan Dumlao / Unsplash Krisen und Herausforderungen können Veränderungen vorantreiben. Glauben Sie, dass der Schock der Coronavirus-Pandemie den Anstoß zu einer gesellschaftlichen Erneuerung geben wird, um uns auf die kommende KI-Revolution vorzubereiten?
 
Wenn wir zu der Welt zurückkehren, in der wir vorher gelebt haben, dann gibt es keine Hoffnung für die Menschheit. Wir müssen begreifen, dass wir die Welt nicht zum Stillstand bringen und anschließend einfach unser früheres Leben wieder aufnehmen können. Dies ist zweifellos ein Weckruf: In welcher Art von Gesellschaft wollen wir leben?
 
Ich möchte gerne in einer Gesellschaft leben, in der die alten Menschen, die Beschäftigten im Gesundheitssystem, die Menschen, die unsere Büros reinigen, die Beschäftigten im öffentlichen Verkehr Wertschätzung genießen – all die, deren Leistungen in der Vergangenheit  nicht angemessen gewürdigt wurden. Daher hoffe ich, dass dies ein Augenblick für Veränderungen ist, dass wir beginnen, radikale Veränderungen herbeizuführen.
 
Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass wir das in der Vergangenheit schon getan haben. Als Anfang des 18. Jahrhunderts die industrielle Revolution begann, nahmen wir einige radikale Änderungen vor. In den meisten Ländern wurden in den folgenden zwei Jahrhunderten die allgemeine Bildung, Wohlfahrtssysteme und eine medizinische Versorgung für alle Menschen eingeführt. Wir nahmen zahlreiche strukturelle Änderungen am Gesellschaftssystem vor, um die Menschen zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass alle vom Wandel profitierten.
 
Auch dieser Prozess wurde durch einige Schocks vorangetrieben. Den Anstoß zu vielen dieser Umwälzungen gaben das Grauen der beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise. Wir nahmen einige radikale Veränderungen an den gesellschaftlichen Abläufen vor, um unsere Gesellschaft zu einem besseren Ort für uns alle zu machen.
 
Daher habe ich die Hoffnung, dass wir in 50 Jahren vielleicht zurückblicken und sagen werden: „Das war der Moment, das war der Schock, der uns dazu bewegte, uns Gedanken über die Entwicklung der Gesellschaft zu machen, die wir uns für unsere Kinder und Enkel wünschen.”
 
Weitere Stichworte von Toby Walsh über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.

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