Artikel - Tobe Otuogbodor
Design Thinking und der Dreaming New Worlds Ideathon

Trotz des dichten Verkehrs in Lagos habe ich es geradeso pünktlich zur ersten Veranstaltung des Dreaming New Worlds Ideathon des Goethe-Instituts geschafft. Der Ideathon war die nächste Phase des Dreaming New Worlds Projekts, welches von Oluwadara Omotosho, Programmkoordinator am Goethe-Institut Nigeria und Kuratorin Chinyere Obieze ins Leben gerufen wurde. Die zweitägige Veranstaltung fand am 14. Und 15. September 2023 statt und brachte Menschen aus verschiedensten Bereichen der nigerianischen Kunstszene zusammen. Künstler*innen, Kurator*innen, Forschende, Lehrende und Fachkräfte, deren Berufe nicht in einem Wort zusammengefasst werden können, kamen im Goethe-Institut zusammen, um voneinander zu lernen, Kontakte zu knüpfen und einander zu inspirieren. Neben Vorträgen von Vertreter*innen aus der Kunstszene und dem Technologiesektor hatten die Teilnehmenden auch Gelegenheit, sich miteinander auszutauschen. In kleinen Gruppen wurden Ideen für Projekte entwickelt, die Technologien auf verschiedenste Art für die Gestaltung von Kunstwerken nutzen. Anschließend erhielten die Teilnehmenden Gelegenheit, diese Projekte vorzustellen und sich somit auf Fördergelder zur Finanzierung ihrer Ideen zu bewerben.

Die Veranstaltungen liefen hervorragend dank der fesselnden Vorträge und der kreativ engagierten Teilnehmenden.  Zur guten Atmosphäre trug auch die Annäherung mit dem VR-Headset von Imsi 3D bei sowie die kompetente Moderation von Tony Agbapuonwo (Kurator, Consultant), der sicher durch das Event führte und die Gespräche und Diskussionen in gekonntem Gleichgewicht hielt. Angesichts der großen Anzahl an Teilnehmenden konnte ich nicht anders, als etwas zu bemerken - Das „Dreaming New Worlds“ Projekt war eindeutig darauf ausgerichtet, teilnehmende Künstler*innen dazu anzuregen, Design Thinking für ihre Ideenfindungsansätze zu nutzen. Dennoch fiel mir auf, während ich Charles Udehs faszinierendem Vortrag folgte, der sich damit befasste, wie technologische Fortschritte Kunstpraktiken auf dem afrikanischen Kontinent seit Jahrhunderten beeinflussen, dass das gesamte Konzept von „Dreaming New Worlds“ selbst sinnbildlich für den Design-Thinking-Prozess ist.

Es sind Ideen innerhalb von Ideen, Träume innerhalb von Träumen, eine faszinierende, vielschichtige Herangehensweise an die Konventionen künstlerischer und technologischer Zusammenarbeit.

An dieser Stelle ist es sinnvoll, das Konzept des Design Thinkings kurz zu erläutern.  Das Problemlösungsmodell Design Thinking wurde von David M. Kelley, Tim Brown und Roger Martin populär gemacht. Es ermöglicht seinen Nutzer*innen, effiziente Lösungen für außergewöhnliche Problemstellungen zu finden. Üblicherweise wird es in fünf Stufen eingeteilt: Verstehen/Beobachten, Definieren, Ideen finden, Prototyp und Testen. Das „Dreaming New Worlds“ Projekt folgt diesem Aufbau.
 
„Verstehen/Beobachten” bezieht sich auf die Phase, in welcher Designer*innen die Bedürfnisse von Nutzer*innen erforschen. Dafür muss man sich in diese hineinversetzen und nicht nur gegenwärtige, sondern auch zukünftige Bedürfnisse und Wünsche definieren. 
 
DJ Irawo, eine teilnehmende Künstlerin, stellte während des Treffens ihrer Gruppe zur Ideenfindung ein ideales Beispiel hierfür dar. Sie ist eine Musikerin, die in der traditionellen Kunst der Yoruba Sprechtrommeln ausgebildet ist, und sie beklagte sich über die schwindende Zahl von Musiker*innen wie ihr: „Die jungen Leute möchten lieber moderne Instrumente lernen und nicht die Sprechtrommel, also stirbt es aus.“ Sie versetzte sich in diese Menschen hinein und nahm intuitiv einen Wunsch, den diese hatten, wahr: eine Sprechtrommel für die moderne Welt.
Auf ähnliche Art und Weise begann „Dreaming New Worlds“ damit, Erkenntnisse zu sammeln: Von den Keynotes bis hin zu den kuratierten Filmveranstaltungen, die zu Beginn des Jahres stattfanden, stellte alles einen Trichter dar, durch den die Ängste und Wünsche der Kunstszene und des Technologiesektors des Kontinents angehört werden konnten. Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht so wirkte, war dies die erste Stufe des Design-Thinking-Prozesses.

Visualisierung der 5 Stufen des Design-Thinking-Prozesses ©Eps51 / Goethe-Institut Nigeria
Die nächste Stufe ist zugleich die schwierigste und die einfachste. Das Design-Thinking-Modell erfordert es, das Problem in einer einzigen Aussage zu „definieren“. „Dreaming New Worlds“ („wir müssen den Stellenwert von Technologie in der Zukunft des afrikanischen Kreativsektors herausfinden und andersherum“) fiel es leichter als einigen der Gruppen, das Problem zu definieren. Dies soll keineswegs als Ausschluss der teilnehmenden Künstler*innen und ihrer individuellen Standpunkte gemeint sein. Es ist schwierig, nur eine definierende Aussage auszuwählen, wenn man die unendlichen Probleme, die unsere Gesellschaft belasten, nicht nur wahrnimmt, sondern auch tief besorgt über diese ist. Einer Gruppe, darunter der Bildhauer Ugo Ahiakwo, ein Künstler, der Werke aus weggeworfenen Materialien erschafft (verlassene Fahrgestelle, zerbrochene Helme etc.), war das Problem der Müllepidemie in Lagos sehr wichtig. Sie wussten, dass sie dieses in ihre Arbeit mit aufnehmen wollten, aber ihr Ideenfindungsprozess war ein ständiges Hin und Her zwischen den Gruppenmitgliedern. Das Problem ist so groß, dass vorgeschlagene Lösungen schnell an Fokus und Präzision verlieren. Erst nachdem jedes Mitglied der Gruppe die eigene Sichtweise zum Ausdruck bringen konnte, konnten sie eine präzise Aussage formulieren, die ihre genauen Empfindungen zu diesem Thema widerspiegelte. Eine Bemühung, die sich Schluss letztendlich auszahlt, da eine genaue Formulierung des Problems die darauffolgenden Schritte vereinfacht.
In der „Ideenfindungsphase” ist das Meta-Narrativ der zwei zeitgleich stattfindenden Stränge des Design Thinkings am komplexesten. Es ist eindeutig zu erkennen, dass die Gruppen Ideen entwickeln. Als Künstler Sigil der Gruppe vorschlägt, mit Perlen zu arbeiten, um Bewusstsein für die Notlage der Warri-Volksgruppen zu schaffen, die unter Überschwemmungen leiden, ist dies eindeutig der Ausgangspunkt für eine spannende Idee. Was allerdings auf den ersten Blick nicht klar erkennbar ist, ist dass die Ideenbildungsphase im Design Thinking Prozess von „Dreaming New Worlds“ aus allen Ideenbildungsphasen der vier Gruppen der teilnehmenden Künstler*innen besteht. Es sind Ideen innerhalb von Ideen, Träume innerhalb von Träumen, eine faszinierende, vielschichtige Herangehensweise an die Konventionen künstlerischer und technologischer Zusammenarbeit.
 
„Prototyp“ ist kompliziert. Es wurde von den teilnehmenden Künstler*innen nicht erwartet, diese Stufe am selben Tag zu erreichen. Stattdessen stellten sie ihre Ideen dem Gremium vor, um dann im Falle einer Zusage für Fördermittel den Prototypen ihrer Idee zu entwickeln. Die so entstehenden Prototypen sollen anschließend bei der „Dream Materialisation“ Ausstellung im Oktober präsentiert werden. Dennoch stellten die beeindruckenden Pitches der Teilnehmenden (DJ Irawos von einer Sprechtrommel begleiteter Vortrag blieb mir besonders im Gedächtnis) die Prototypisierungsstufe des übergreifenden „Dreaming New Worlds“ Projekts anschaulich dar.

[BILDERGALLERIE EINFÜGEN]

Die letzte Stufe, „Testen“ wurde weder von den teilnehmenden Künstler*innen verwirklicht noch vom Projekt als Ganzem. Wenn es soweit ist, habe ich jedoch keinen Zweifel, dass die Ergebnisse Anlass zur Freude sein werden. Vier außergewöhnliche Projekte, angekündigt vom Leiter des Ideathon, Seju Alero Mike, werden bis Ende des Jahres ins Leben gerufen und wir könnten uns am Beginn eines Lösungsansatzes für einige unserer bedeutendsten modernen Probleme befinden.  Der Schriftsteller und Mitglied des Expertengremiums, Chiagozie Fred Nwonwu sagte: „Die Technologie ist hier, um zu bleiben.“ Daher ist es entscheidend, dass wir anderen Möglichkeiten zeigen, wie sie genutzt werden kann, um unsere Kunst und unsere Welt zu verbessern.