Briefmarken-Fehldrucke
Die Blaue Mauritius und ihre Gefährten

Diese Briefmarke mit dem Bild von Audrey Hepburn wurde am Auktionshaus Gärtner in Bietigheim-Bissingen am 22. Juni 2017 für 150.060 Euro versteigert. Foto (Detail): Auktionshaus Gärtner © picture alliance

Warum sind es gerade die fehlerhaften Exemplare, die den Instinkt eines Briefmarkensammlers wecken? Und was hat ein sächsischer Onkel damit zu tun? Unser Kollege und Autor Michael Thoss aus Havanna hat in den wertvollsten Briefmarkensammlungen der Welt gestöbert und berichtet über Abarten, Abklatsche und andere Abweichungen.

Michael M. Thoss

Alles begann damit, dass mir als Jugendlicher ein sächsischer Onkel seine Briefmarkensammlung aus dem Dritten Reich vererbte und ich darin auf eine Reihe von geschwärzten Hitlerporträts aus meinem vogtländischen Geburtsort stieß. Sie stammten aus dem Sommer 1945, als nach der Kapitulation der Nazis der Postverkehr in den Besatzungszonen schrittweise wieder aufgenommen wurde. Weil noch keine neuen Postwertzeichen zur Verfügung standen, musste man kurzfristig auf alte Vorräte zurückgreifen. Um die verbotenen Hitlerporträts auf den alten Freimarken unkenntlich zu machen, behalf man sich in den Besatzungszonen mit Korkstempeln, Tusche, Kopierstiften und anderen Hilfsmitteln. Einige Marken hatte man zum Beispiel säuberlich mit dem Schriftzug „Deutschlands Verderber“ gestempelt, auf anderen war Hitlers Gesicht händisch mit einem Pinsel geschwärzt worden. Da sich die Siegermächte zunächst auf kein einheitliches Tarifsystem einigen konnten und ihre Briefmarken nicht über die Zonengrenzen hinweg anerkannten, entstanden im ersten Nachkriegsjahr Dutzende solcher „Lokalausgaben“ für den Ortspostverkehr.

Von besagten Hitler-Freimarken gab es übrigens schon vorher sogenannte Propagandafälschungen, welche die Alliierten in den Postverkehr des Dritten Reiches einschleusten. So hatte der US-Geheimdienst OSS dem Gesicht Hitlers auf der karminroten 12-Reichspfennig-Marke einen Totenkopf hinzugefügt. Anstelle der Unterschrift „Deutsches Reich“ stand dort „Futsches Reich“. Seit 1937 kamen immer wieder Briefmarken mit Hitlers Totenkopf in Umlauf, auf denen die Pfennigangaben durch kleine Galgen ersetzt worden waren.

Mein Interesse an der ererbten Briefmarkensammlung wuchs enorm, als ich erfuhr, dass diese verunstalteten und damit im Grunde entwerteten Exemplare um ein Vielfaches teurer gehandelt wurden, als ihre postfrischen Originale. Nicht die unversehrten postfrischen Originale entfachten die Leidenschaft vieler Sammler, sondern deren – nach mutwilliger Beschädigung – wieder verwendeten Deformationen.

Der berühmteste deutsche Fehldruck kommt aus Baden

Seit der Einführung von Briefmarken im Jahr 1840 in Großbritannien haben fehlerhafte Exemplare, auch „Abarten“ genannt, immer wieder den Sammlerinstinkt geweckt. Berühmt ist der Fehldruck einer 9-Kreuzer-Marke aus dem Jahr 1851, der aus der ersten Briefmarkenedition Badens stammt. Sie wurde anstatt auf rosa-lila Papier auf blaugrünem Untergrund gedruckt, so wie die gleichzeitig erschienene 6-Kreuzer-Marke. Von diesem Farbfehldruck, der erst 43 Jahre (!) nach ihrer Ausgabe bemerkt wurde, sind weltweit nur drei gestempelte Exemplare bekannt. 1894 wurde eine dieser Marken auf einem Faltbrief, der an den badischen Diplomaten Hans Freiherr von Türckheim in Karlsruhe adressiert war, in einem Londoner Auktionshaus für 100 britische Pfund versteigert. 1985 erwarb ihn der damalige Leiter der Tengelmann-Gruppe für seine Sammlung und war bereit, dafür insgesamt 3,8 Millionen DM (Verkaufspreis inklusive Aufpreis) zu zahlen. Damit wurde der Fehldruck des badischen 9 Kreuzer zur teuersten deutschen Briefmarke.

Doch nicht nur deutsche Briefmarkensammler haben ein Faible für Fehldrucke. Laut philatelistischer Fachpresse wurde 1996 bei David Feldmann S.A. in Genf der schwedische „Tre Skilling Banco“ aus dem Jahr 1855 für insgesamt 2.8 Millionen Schweizer Franken versteigert und damit zum teuersten Fehldruck der Welt gekrönt. Die Marke hätte ursprünglich auf blau-grünem Papier gedruckt werden sollen, aber jemand beging den Fehler, gelbes Papier unterzulegen. Das vermutlich letzte Exemplar der Serie soll von einem schwedischen Händler im Kundenauftrag eines anonym bleibenden Sammlers erworben worden sein.

Die wertvollste Marke der Welt kommt aus Südamerika

Wie kommt es zu Fehldrucken und was fasziniert Philatelisten weltweit an diesen „Abarten“? Zuerst einmal verblüfft die Vielfalt der Abweichungen im Druck, der Zähnung oder Gummierungen, die ihren Wert mitunter beträchtlich erhöhen.  Durch technische Defekte oder falsche Bedienung von Druckmaschinen ergeben sich zum Beispiel sogenannte „Abklatsche“, die das Briefmarkenbild auf der Rückseite seitenverkehrt, auf dem Kopf stehend oder verschoben abbilden. Auch fehlende oder doppelte Aufdrucke, vor allem aber Farbfehldrucke sind unter Sammlern äußerst beliebt. Man könnte auch sagen, fehlerhafte Exemplare, die zu einer Reihe gehören, aber durch ihre Erscheinung „aus der Reihe fallen“, wecken besonders die Sammlerleidenschaft. Während die fehler- und makellos reproduzierte Massenware, beispielsweise postfrische Briefmarkenbögen, durch ihren aufgedruckten Verkehrswert bestimmt wird, wächst der Wert des seltenen oder einzigartigen Sammlerstücks durch seine Imperfektion. Der anonyme Urheber des Fehlers wurde hier unwissentlich zum Schöpfer eines Fetischobjektes.

Solche Fehler passieren auch heute noch, wie man 2016 bei einer unverausgabten deutschen Weihnachtsmarke beobachten konnte. Circa 25 defekte Exemplare gelangten trotzdem in den Handel und stellen ein erhebliches Wertpotenzial dar; vergleichbar mit der Wohlfahrtsmarke „Audrey Hepburn“, die 2001 zurückgezogenen wurde und vier Jahre später einen Auktionspreis von 135.000 Euro erreichte.

Die wertvollste Briefmarke der Welt ist übrigens KEIN Fehlfarbdruck oder Abklatsch, und es handelt sich auch nicht um die legendäre Blaue Mauritius. Die teuerste Marke wird als „British Guiana 1c Magenta“ bezeichnet. Auch ihre Geschichte ist die eines Fehlers: 1856 fiel eine geplante Briefmarkenlieferung von London ins südamerikanische British Guyana aus, so dass man in der damaligen britischen Kolonie kurzfristig zur Selbsthilfe schritt und diese Ein-Cent-Marke herstellte. Das daumengroße Unikat mit dem Spitznamen „Mount Everest der Briefmarken“, wurde im Juni 2014 bei Sotheby’s in New York nach nur fünfminütigem Bieterstreit für 9,5 Millionen Dollar versteigert. Ihre steile Wertsteigerung mag damit zusammenhängen, dass sie in der umfangreichsten Briefmarkensammlung des British Empire fehlt – nämlich der des englischen Königshauses.

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