Die Freiheit von Kunst und Kultur ist in Deutschland längst nicht mehr so selbstverständlich, wie wir lange dachten. JÁDU-Autorin Norma Schneider plädiert an Künstler*innen, auch unter dem Eindruck des Rechtsrucks nicht den Kopf in den Sand zu stecken – und sich von denjenigen in unserer europäischen Nachbarschaft inspirieren zu lassen, die Erfahrung mit Repressionen haben.
Norma
Schneider
Das Schöne an der Kunst ist, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Egal, wie widrig die Umstände, wie groß die Gefahr etwa durch Zensur und Repressionen in autoritären Regimen – überall gibt es Künstler*innen, die weitermachen, die sich gegen Zensur, Verbote und Einschüchterung behaupten, die Gegennarrative und Freiräume schaffen, obwohl es aussichtslos scheint und gefährlich ist: Regimekritische Filme, die heimlich im Iran gedreht werden, Punkkonzerte und politisches Theater, die in Usbekistan trotz autoritärer Regierung stattfinden, Drag-Shows und queere Kunst in Georgien, wo gerade erst die Verbreitung queerer Inhalte verboten wurde, oder Bücher gegen den Krieg gegen die Ukraine, die in Russland gedruckt werden in der Hoffnung, dass sie den Behörden nicht in die Hände fallen – Kunst, die unter solchen Umständen entsteht und sich ihren Raum gegen Widerstände erkämpfen muss, erfordert Mut und bedeutet für die Beteiligten ein großes Risiko.
Mit den politischen Verhältnissen ändern sich auch die Spielräume für die Kunst, das Maß an Freiheit, das sie hat.
In Deutschland scheinen solche Umstände für Kunst weit weg zu sein, schließlich wird die Kultur hierzulande jährlich mit mehr als zehn Milliarden Euro gefördert, die Kunstfreiheit ist im Grundgesetz garantiert und bei kontroversen Inhalten gibt es statt Zensur und Strafe schlimmstenfalls etwas Aufregung in den Medien. Man hat sich daran gewöhnt, Repressionen, Angriffe und Zensur, wie sie in vielen Ländern für Künstler*innen zum Alltag gehören, hierzulande für ein Ding der Vergangenheit zu halten. Aber so selbstverständlich ist das nicht, wie in den letzten Jahren angesichts des Rechtsrucks in Europa immer deutlicher wurde. Mit den politischen Verhältnissen ändern sich auch die Spielräume für die Kunst, das Maß an Freiheit, das sie hat.
Auch ein solches Szenario scheint, so beruhigt man sich gerne, für Deutschland weit entfernt zu sein, da es mit der AfD zwar eine Partei gibt, die keinen Hehl daraus macht, dass sie aktiv in die Kulturförderung eingreifen und „ideologische Themen wie ‚Gender‘, ‚Klimaschutz‘ oder die ‚Vielfalt‘“ nicht unterstützen will (so heißt es im Parteiprogramm zur Bundestagswahl in Bezug auf Filmförderung). AfD-Kulturpolitiker Hans-Thomas Tillschneider fordert, die Vergabe von Geldern an ein „selbstbewusstes Bekenntnis zur deutschen Identität“ zu binden. Doch eine Regierungsbeteiligung der AfD in der nahen Zukunft will man sich noch nicht vorstellen. In manchen Regionen ist die Partei allerdings bereits jetzt so stark, dass sie Einfluss auf Entscheidungen über kommunale Kultur hat. Und auch ohne Mehrheit im Parlament ist die Gefahr von rechts sehr real: In Shitstorms hetzen Rechtsradikale gegen Veranstaltungen, bauen Druck auf, schüchtern ein. Oft haben sie dabei queere Themen oder Projekte mit Geflüchteten im Fokus. Der Theaterkritiker Peter Laudenbach berichtet in seinem Buch Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit von zahlreichen rechten Angriffen auf Kulturinstitutionen und Künstler*innen in den letzten Jahren.
Wenn öffentliche Gelder wegfallen und die Abhängigkeit von Eintrittsgeldern oder privaten Spender*innen größer wird, wächst die Gefahr, dass es bestimmte Dinge einfach nicht mehr geben wird, dass bestimmte Perspektiven weniger sichtbar werden.
Dazu kommt, dass Kultur in Zeiten der Krise für die Politik keine Priorität darstellt. Eine populäre Haltung zu den massiven Kürzungen der Kulturförderung in Bundes- und Landeshaushalten brachte Tobias Rapp im Spiegel auf den Punkt: „Kultur mag gesellschaftliche Debatten befeuern, Brände löscht immer noch die Feuerwehr.“ Doch während man angesichts der Wirtschaftslage Verständnis für Kürzungen haben mag, liegt das Problem auch in einer Umverteilung der Gelder: Für die freie Kulturszene gibt es in Zukunft weniger Unterstützung, mehr Geld ist dagegen eingeplant zum Beispiel für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Statt neue Stimmen und marginalisierte Perspektiven zu stärken, liegt der Fokus also bereits jetzt auf Tradition und Bewahrung.
Dabei ist es gerade die Kultur jenseits der großen Museen, Theater und Konzerthäuser, die eine wichtige Rolle für marginalisierte Menschen spielt. Kleine kulturelle Projekte, nichtkommerzielle Räume, in denen sich Ausstellungen, Performances und Konzerte auf die Beine stellen lassen, bieten für queere oder von Rassismus betroffene Menschen Schutzräume und Möglichkeiten, sich auszudrücken, die sie auf den großen Bühnen nicht haben. Wenn öffentliche Gelder wegfallen und die Abhängigkeit von Eintrittsgeldern oder privaten Spender*innen größer wird, wächst die Gefahr, dass es bestimmte Dinge einfach nicht mehr geben wird, dass bestimmte Perspektiven weniger sichtbar werden.
Lernen von denjenigen, die Repressionen trotzen
Doch wenn wir eines lernen können von den Künstler*innen in Ländern, in denen politische Kunst nicht gefördert, sondern bestraft wird, dann ist es das: nicht aufzugeben und die Freiräume und die Unterstützung, die wir haben, zu verteidigen. Ja, auch in Deutschland müssen sich Künstler*innen auf mehr Gegenwind einstellen. Aber es ist noch verdammt viel möglich und es gibt keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren. Wir haben es in der Hand, zu verhindern, dass es in Deutschland so schlimm wird, wie es in vielen anderen Ländern bereits ist. Wir können und müssen uns wehren gegen das Erstarken der Rechten, dürfen es nicht hinnehmen, wenn Künstler*innen angegriffen werden, müssen zusammenhalten und uns schützend vor sie stellen. Und auch wenn es trotzdem schlimmer wird, die AfD mehr Macht erhält – und wie schnell so etwas gehen kann, sieht man dieser Tage in Österreich –, dürfen wir trotzdem nicht aufgeben. Sondern müssen vorbereitet sein. Je unfreier die politischen Verhältnisse werden, desto wichtiger ist es, weiterzumachen, desto mehr Bedeutung kommt unabhängiger Kunst zu: Sie hat vielleicht keinen großen Einflussfaktor in der Öffentlichkeit, aber sie kann Schutz und Gemeinschaft sein für die, die aufgrund ihrer Meinung oder ihrer Identität der Mehrheitsgesellschaft entgegenstehen, die diskriminiert oder verfolgt werden. Und eine kleine Chance, Menschen aufzurütteln und zum Nach- oder gar Umdenken zu bewegen, gibt es immer.
Wir sollten uns vernetzen und austauschen mit denjenigen, die schon Erfahrung darin haben, Kunst unter den widrigsten Umständen zu machen. Die wissen, wie man sich vor Angriffen schützt und trotz dominierender rechter Narrative sein Ding macht, mit welchen Strategien man Sichtbarkeit schaffen kann, ohne sich in zu große Gefahr zu bringen. Auch in Deutschland gibt es dafür Gelegenheit – warum nicht mal eine Ausstellung von Exil-Künstler*innen aus Belarus besuchen und zuhören, wenn sie berichten, was sie erlebt haben und wie es ihren Freund*innen geht, die noch im Land sind? Warum nicht mal queere Performer*innen aus Georgien einladen? Oder bei Kolleg*innen in Ungarn nachfragen, wie die Lage ist? Von ihnen können wir viel lernen und vor allem uns gegenseitig unterstützen. Vielleicht wird es in Zukunft in Deutschland statt den weiten Freiräumen der „Kulturlandschaft“ nur noch Inseln geben, auf denen politische Kunst, queere Kunst möglich ist. Aber eine Insel geht auch bei stürmischer See nicht so schnell unter.
Dieser Artikel erschien zuerst in der deutsch-tschechisch-slowakisch-ukrainischen Zeitschrift Jádu im Rahmen des von der EU kofinanzierten Projekts PERSPECTIVES für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. >>> Mehr über PERSPECTIVES
Das könnte euch auch gefallen
Ein Systemfehler ist aufgetreten. Versuchen Sie es später noch mal.