Nachhaltig Bauen in Norwegen Holz statt Beton

Das Holzhochhaus Mjøsatårnet
Das Holzhochhaus Mjøstårnet in Norwegen ist das größte der Welt. | Foto (Detail): © Per Oscar Skjellnan

Norwegen begegnet dem wachsenden Druck auf seine urbanen Zentren durch den innovativen Einsatz von Holz. Der nachwachsende Rohstoff erlebt in Anbetracht von Klimawandel und Ressourcenschwund eine wahre Renaissance. 

Unterwegs nach Brumunddal, einer Kleinstadt mit knapp 10 000 Einwohnern. Bewaldete Hügel wechseln sich ab mit landwirtschaftlichen Nutzflächen. 

Dort wo die Europastraße 6 von Oslo in Richtung Norden einige Kilometer dem Ufer des Mjøsa, Norwegens größtem Binnensee, folgt, bietet sich an einem klaren, kalten Wintermorgen ein fast surrealer Anblick.  

Über der mit Pulverschnee bestäubten Landschaft erhebt sich eindrucksvoll der 85,4 Meter hohe Mjøstårnet (dt. Turm am Mjøsasee). Mit seinen 18 Etagen ist der kombinierte Wohn- und Geschäftsbau nicht nur das weltweit höchste Bauwerk in Holzkonstruktion, sondern auch eines der höchsten Gebäude Norwegens. Die bewegte Fassade scheint das weiche Morgenlicht einzufangen. Doch was macht ein Hochhaus hier mitten in der norwegischen Natur, viele Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt? 
Das Dach des Turm Es ist die fünf Meter hohe Dachskulptur, die dem Mjøstårnet zu seinem Höhenrekord verholfen hat. | Foto (Detail): © Per Oscar Skjellnan „Die Idee war es eine architektonische Antwort auf die Aufforderung der Politiker nach einer grünen Umstellung zu finden“, erklärte Bauherr und Eigentumsentwickler Arthur Buchardt in einem Werbefilm anlässlich der Eröffnung des Mjøstårnet im Sommer 2019. Die ersten Skizzen zu dem Projekt sollen von ihm auf einer Serviette beim Gespräch mit einem Geschäftspartner entstanden sein. 

Lokale Rohstoffe 

Bereits beim Betreten der Lobby des in edel-moderner Holztracht gestalteten „Woody“ Hotels, das die ersten beiden Etagen des Gebäudes disponiert, fällt ein angenehmer Geruch auf. Das für den Innenausbau verwendete Holz schafft nicht nur ein harmonisches Raumklima, sondern punktet auch durch seine Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Die schlichte Ästhetik der sich in der Mitte des Restaurants in die zweite Etage windenden Treppe ist ein Beispiel hierfür. 

Soeben lassen sich die ersten Hotelgäste an den hellen Holztischen nieder. Große Fenster geben den Blick über den See und die umgebende Landschaft frei. Lediglich einige Bagger und Baufahrzeuge, die noch an den Außenanlagen des Hotels arbeiten, stören etwas die ruhige Beschaulichkeit. 

Eingang des Hotels Im Mjøstårnet ist das „Woody Hotel“ untergebracht. | Foto (Detail): © Per Oscar Skjellnan Neben dem Wunsch ein Zeichen zu setzen, das auch für die Eigentumsbranche in anderen Ländern inspirierend sein sollte, war dem Bauherren der Einsatz lokaler Rohstoffe besonders wichtig. So sind alle Wandelemente des Hotels in einem lokalen Betrieb gefertigt, die Möbel stammen von einem in der Nähe ansässigen Produzenten – und selbst der in den Treppenhäusern verwendete Schiefer ist regional.  

Nachhaltiger, robuster, grüner, sicherer 

Doch die Besonderheit des Gebäudes erschließt sich nicht (allein) durch seine Oberflächen. Sie beruht vielmehr auf der Anwendung der sogenannten Massivholztechnik, die es ermöglicht, die Beschränkungen des tradierten Holzbaus zu überwinden und Holzkonstruktionen auch für mehrgeschossige Bauten anzuwenden. Dabei konnten die Architekt*innen auf Erfahrungen aufbauen, die einige Jahre zuvor beim Bau von zwei achtgeschossigen Wohngebäuden an der Universität für Bio- und Naturwissenschaften in Ås, bei Oslo, gemacht wurden. Damals wurde nach einer Lösung gesucht, wie man schnell und günstig Wohnungen für Studierende bereitstellen kann. Eine Aufgabe vor der heute weltweit fast alle größeren Städte stehen und die neben dem Bau von Studierendenunterkünften auch allgemein für die Schaffung günstigen Wohnraumes gilt.  

Studierenwohnheim in Ås Das Studierenwohnheim in Ås war Vorbild für den Mjøstårnet. | Foto (Detail): © Per Oscar Skjellnan
Tormod Aurlien ist Professor für Bauphysik, Energie und Umwelt an der Universität in Ås. Er steht der Massivholztechnik positiv gegenüber. „Unter Massivholz versteht man, kreuzweise übereinander geleimte Holzplanken. Diese Technik ermöglicht die Produktion von großformatigen und sehr belastbaren Holzbauteilen, “ erklärt Aurlien. „Wir müssen unsere Städte nachhaltiger, robuster, grüner und sicherer gestalten. Der Einsatz von Holz als Baustoff kann uns helfen wichtige Schritte in diese Richtung zu gehen, “ meint er und hebt vor allem die wesentlich bessere CO2-Bilanz von Holz gegenüber zum Beispiel Beton hervor. So weist beispielsweise eine Studie darauf hin, dass eine Holz-Revolution in der Baubranche den globalen CO2-Ausstoß um 14 bis 32 Prozent senken könnte.
Tormod Aurlien „Wir müssen unsere Städte nachhaltiger gestalten“, sagt Prof. Tormod Aurlien von der Universität in Ås. | Foto (Detail): © Per Oscar Skjellnan

Anstoß zur Entwicklung einer nachhaltigen Bauweise 

„Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, aber eine gute Klimabilanz weist er natürlich erst auf, wenn man lokale Ressourcen nutzt.  Doch Holz ist dabei sich die Baubranche zurückzuerobern, sodass beim Bau des Mjøstårnets bereits lokal produziertes Baumaterial verwendet werden konnten.“ Auf die Frage, ob das Brandrisiko beim Einsatz von Holz in innerstädtischen Bereichen nicht wesentlich höher sei, als bei Häusern aus Beton, Stahl und Glas, weist Aurlien auf umfangreiche Tests hin, die belegen konnten, dass die neuen Holzkonstruktionen aufgrund ihrer hohen Dichte sehr gute Brandwiderstandswerte aufweisen. Trotzdem sei, wie beim Bau von allen hohen Häusern, natürlich der Einbau von Sprinkleranlagen zwingend vorgeschrieben. Und auch in Bezug auf mögliche Wasserschäden konnte man mittlerweile Erfahrung sammeln. „Nachdem kurz vor der Eröffnung des Studentenwohnheims ein Wasserschaden auftrat, wurden alle Duschen in den Bädern mit Drückerarmaturen ausgestattet. Wir sind also ständig am Lernen, “ schließt Aurlien. 

Wald in Norwegen Beim Bau des Mjøstårnet konnte bereits lokal produziertes Baumaterial verwendet werden. | Foto (Detail): © Per Oscar Skjellnan Zurück in Brumunddal darf natürlich ein Abstecher auf die öffentlich zugängliche Dachterrasse nicht fehlen. Unter der fast fünf Meter hohen Dachskulptur, die dem Mjøstårnets erst seinen Höhenrekord ermöglicht hat, da er damit das zeitgleich gebaute Holzhochhaus HoHo in Wien um immerhin eineinhalb Meter überragt, streift der Blick durch die Landschaft. Letztlich geht es Bauverantwortlichen und Ingenieur*innen in erster Linie darum, den Anstoß zur Entwicklung einer neuen, nachhaltigen Bauweise gegeben zu haben – und spätestens 2041, wenn der W350 Tower in Japan mit seinen geplanten 350 Metern Höhe fertiggestellt ist, wird das norwegische Holzhochhaus seinen Rekord abgeben müssen. 

 

Wie kann der Städteboom zum Ökowunder werden?

Überall auf der Welt wachsen Städte nahezu unkontrolliert. Bis 2050 könnte sich die Stadtbevölkerung weltweit fast verdoppeln. Hinzu kommen Verkehrschaos, energieintensive Baumaterialien wie Stahl und Beton, die Verdrängung von Ökosystemen. Dabei haben Städte eigentlich das Potential, besonders nachhaltig zu sein, da sich die Bewohner*innen Infrastruktur auf engem Raum teilen, was wiederum Ressourcen und Energie spart. In den Reportagen zum Thema Städteboom schauen verschiedene Autor*innen sich drei Lösungsansätze an und fragen, wie eine nachhaltige Urbanisierung möglich ist.