Denken und Kunst Das Menschsein heute

Eine Illustration auf der ein Mensch in einem Bot zu sehen ist
Illustration: © Eléonore Roedel

Drei Künstlerinnen Milena Zović, Anja Ranđelović und Emilija Đonin, die für die Mentore*innentätigkeit im Rahmen des Programms „Conditio humana“ im Belgrad ausgewählt wurden sprechen darüber, wie sie von Hannah Arendts Werk inspiriert werden.

Wie inspiriert dich das Werk von Hannah Arendt, und wie siehst du es heute?

Milena: Am Werk von Hannah Arendt inspiriert mich besonders die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen Handeln und Betrachten. Besonders bedeutsam sind für mich ihre Interpretationen des Kunstwerks, das unsichtbare Aspekte der menschlichen Erfahrung offenbart, sowie ihre Auseinandersetzung mit den Fragen von Pluralität, Wahrheit und Verantwortung. Hannah Arendts theoretischer Rahmen kann in der heutigen technologischen Zeit neue Denkansätze über den Menschen der Zukunft und die Hybridisierung des Körpers eröffnen, aber auch politisches Handeln anregen und zur Überwindung der Entfremdung von der Welt beitragen.

Anja: Die Ansichten und Thesen, die Hannah Arendt formuliert hat, lassen sich durchaus auf die Bedürfnisse des modernen Menschen und der heutigen Gesellschaft anwenden. Ich bin der Ansicht, dass der moderne Mensch sich der Bedeutung der Trennung von Öffentlichem und Privatem bewusst werden und diese verstehen sollte, warum das eine ohne das andere nicht existieren kann. In einer Zeit, in der die Menschen am stärksten entfremdet sind, sollten wir unsere Gemeinsamkeiten und Unterschiede wahrhaftig erkennen und achten.

Emilija: Mich inspirieren Menschen wie Hannah Arendt, die ihr Leben und Wirken dem reflektierten Denken über die menschliche Gesellschaft und ihrer Analyse gewidmet haben – stets auf der Suche nach Wegen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich finde, sie ist heute relevanter denn je, und zwar im Zusammenhang mit den derzeitigen Ereignissen. Mich inspiriert das Bedürfnis, die Menschlichkeit und ihr Wirken zu verstehen.

Was hat dir das Mentor*innenprogramm gebracht; wie wirst du es in deiner weiteren Arbeit nutzen?

Milena: Das Programm hat mir Erfahrung in der Teamarbeit und mir neue Erkenntnisse über Klang und Performance gebracht. Es hat mir die Gelegenheit geboten, wichtige Bekanntschaften zu knüpfen. Ich habe gelernt, gemeinsam mit Anja und Emilija eine klare Idee, Form und Klang zu durchdenken und umzusetzen, jedoch zugleich Raum für Experimente zu lassen. Diese Kombination aus Zusammenarbeit, Kommunikation und Offenheit für den Prozess wird zum Bestandteil meiner zukünftigen künstlerischen Praxis. Die Arbeit mit den Mentor*innen hat mir die Freiheit und die Erfahrung gegeben, meine Ideen ohne Angst vor dem Scheitern zu konkretisieren.

Anja: Für mich hat die Zusammenarbeit mit den Mentor*innen Raum für andere Denkweisen geschaffen, einen neuen Blick auf alles, was ich bisher getan habe, und auf das, was bevorsteht. Durch Workshops und Gespräche im Rahmen dieses Projekts haben wir verschiedene Formen der Meinungsäußerung erlebt – durch kollektive Poesie, Bewegung, Klang… Der Schwerpunkt liegt stets auf kollektiver Teilnahme, unabhängig von den bisherigen Erfahrungen.

Emilija: Das Mentor*innenprogramm hat mir wunderbare Bekanntschaften mit Menschen gebracht, deren Arbeit außergewöhnlich und inspirierend ist. Zorica, Maja und Selman haben uns nicht nur unterstützt und beraten, sondern auch Einblicke in ihre Arbeitsprozesse gewährt, was für mich von großer Bedeutung war. Und das Wichtigste: Das Programm hat mir die Bekanntschaft mit zwei Künstlerinnen ermöglicht, mit denen ich ganz bestimmt auch nach diesem Projekt weiter zusammenarbeiten werde.

Was kann das Belgrader Publikum von der Ausstellung im Dezember 2025 erwarten?

Emilija: Das Belgrader Publikum kann einen Raum erwarten, der zum Nachdenken und Teilnehmen einlädt – einen Raum, in dem Angst, Sicherheit, Gefahr, Arbeit, Ruhephasen, Kreativität, Schöpfung, Müßiggang, Technologie, Organisches und Unorganisches nebeneinander existieren und verweilen.

Anja: Die Ausstellung ist als Installation konzipiert – als Verbindung von Auditivem und Visuellem, wobei der Prozess und das künstlerische Experiment im Mittelpunkt stehen.

Milena: Wir möchten einen Raum eröffnen für Fragen, die uns leiten – über das Verhältnis zwischen dem Sicheren und dem Gefährlichen, zwischen kollektiver und privater Erinnerung, Nostalgie und Zukunft, Handeln und Entfremdung.

Das Programm: „Conditio Humana“

Anlässlich des 50. Todestages von Hannah Arendt, hat das Goethe-Institut Belgrad ein neues Programm für junge Kreative ins Leben gerufen. Ziel dieses Programms ist die Entwicklung eines originellen audiovisuellen Werks, inspiriert von der Philosophie Hannah Arendts und geschaffen aus zwei verschiedenen Disziplinen: der visuellen und der Musikkunst. Dieses Programm wurde nach Hannah Arendts Werk Vita activa oder Vom tätigen Leben benannt. Ausgehend von Arendts Prämisse, dass jede*r, der/die auf diesem Planeten geboren wird, das Potenzial hat, ihn zu verändern, hat das Mentor*innen-Team Anfang dieses Jahres junge Künstler*innen eingeladen, sich mit uns auf die Suche nach Antworten auf die folgende Frage zu begeben: Was ist der Mensch heute? Zum Mentor*innen-Team gehören die Komponistin und Dozentin an der Fakultät für Musikkunst Maja Bosnić  sowie die visuellen Künstler*innen Zorica Milisavljević und Selman Trtovac, die ebenfalls am Goethe-Institutu Belgrad tätig sind.
Die im Rahmen des Programms entstandenen Kunstwerke werden im Dezember 2025 in der Galerie „Wechselstube“ des Goethe-Instituts Belgrad ausgestellt.