Sprachidentität Aymara im Internetzeitalter

Das Jaqi Aru Team in Tiwanaku im Westen Boliviens
Das Jaqi Aru Team in Tiwanaku im Westen Boliviens | Foto: Jaqi Aru

In der Region Qullasuyu (alter Name für das heutige Staatsgebiet Boliviens) sind 36 indigene Gruppen und Sprachen registriert, darunter die Aymara mit ihrer ebenso bezeichneten Sprache. Der Sprachwissenschaftler und Netzaktivist Ruben Hilari Quispe setzt sich zusammen mit verschiedenen Gruppierungen für die Sprache und Kultur der Aymara im Internet ein. Hier erzählt er seine Geschichte.

Laut der UNESCO sind rund die Hälfte aller Sprachen gefährdet, bis zum Ende dieses Jahrhunderts, dem sogenannten digitalen Jahrhundert, auszusterben. Zahlreiche Wissenschaftler*innen bekräftigen, dass mit jeder Sprache auch das Wissen einer Kultur oder Gesellschaft verlorengeht. Dabei scheint das Internet das Aussterben dieser Sprachen in einigen Kontexten zu beschleunigen – in anderen jedoch scheint es die Sprachen zu beleben und zu stärken.

Wir stehen am Beginn des dritten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts und stellen fest, dass die Lebendigkeit des Aymara im Internet möglich ist. Schon jetzt werden Anzeigen in den sozialen Netzwerken mit dem Hashtag #AymaraxTaqikunatakiskiwa versehen (er bedeutet, dass die Sprache Aymara für alles da ist). Daran ist zu erkennen, was für eine Kraft und Lebendigkeit die Aymara-Sprache und -Kultur in den digitalen Medien und auf den Internetplattformen erlangt haben: Die Aymara nutzen ihre Sprache täglich schriftlich und mündlich, um sich in sozialen Netzwerken wie Facebook oder WhatsApp zu den verschiedensten Alltagsthemen zu äußern.

Es lässt sich beobachten, dass Aymara-Sprechende mit sozialem, kulturellem, historischem und linguistischem Bewusstsein zu Unterstützern und Cybernauten werden, um ihre Sprache im Internet zu beleben und zu stärken. Durch Aymara erhalten Gedankenwelten oder Lebenshaltungen im Internet Einzug, die sich in anderen Sprachen gar nicht in Worte fassen lassen. Sprachliche Besonderheiten von Aymara wie jiwaspacha oder jiwasa („inklusives Wir“), jathachaña („den Sprachsamen ziehen“) oder taqi chuyma („fühldenkend“) sind Beispiele. 

#AufAymara #FürAymara #VonAymara

Die Wiphala – die Flagge der indigenen Bevölkerung des Andenhochlands Die Wiphala – die Flagge der indigenen Bevölkerung des Andenhochlands | Public Domain Es vergeht kein Tag, an dem in den sozialen Netzwerken nicht auf Aymara kommuniziert wird. Von Anfang an war es unsere Idee, die insgesamt über drei Millionen Aymara und ihre Nachkommen in der Region und in der Welt durch das Internet zu erreichen. Die Aymara haben in einer herrschaftlichen, kolonialen, rassistischen und exklusiven Gesellschaft überlebt, einer Gesellschaft, die ihrer Sprache mit Vorurteilen begegnet ist und sie stigmatisiert hat.

Wer sind die Aymara? Viele von uns sind Mitglieder verschiedener ayllunaka (Aymara- und Quechua-Gemeinschaften, die aus einer großen Familie bestehen) oder stammen aus ländlichen Gegenden und sind zum Studieren oder Arbeiten in die Stadt gezogen.

Sprachliche und technologische Stärkung

Mehrere Gruppen setzen sich für den Erhalt der Aymara-Sprache ein. Jaqi Aru (menschliche Sprache, Sprache des Volkes, die Stimme des Volkes) ist zum Beispiel eine Organisation von jungen zweisprachigen Aymara in El Alto mit mittlerweile gesetzlich geregeltem Status in Bolivien. Ihr Ziel ist die sprachliche, soziokulturelle, technologische und produktive Stärkung durch Forschung und Projekte, die zur Entwicklung einer ausgewogenen, gerechten und harmonischen Gesellschaft in ländlichen und städtischen Regionen beitragen.

Jaqi Aru platzierte Aymara im Internet, indem wir zunächst jegliche Kommunikation untereinander auf Aymara abhielten. Zunächst fertigten wir für das internationale Netzwerk Global Voices Übersetzungen an. Global Voices ist inzwischen in 53 Sprachen der Welt zu lesen – jetzt auch auf Aymara! Wir gründeten den Blog Aruskipasipxañäni, in dem wir zu verschiedenen Themen schreiben, und mit dem wir viele andere junge Internetgemeinschaften inspirieren. An der Universidad Aymara Tupak Katari gründeten wir zur Förderung der technologischen Souveränität mit dem Projekt Cuyahuani 2.0 ein Intranet mit selbstgemachten Antennen.

Wikipedia Aymarata

Im Projekt Wikipedia Aymarata bereichern wir Wikipedia mit neuen Einträgen, Übersetzungen und Überarbeitungen – 2011 hatte Wikipedia weniger als tausend Einträge auf Aymara, jetzt sind es mehr als fünftausend. Wir haben die unendliche Plattform des transnationalen Unternehmens Facebook ins Lokale geholt und Beiträge übersetzt. Mit SEOTV erstellen wir Nachrichten- und Fernsehsendungen auf Aymara, die in den sozialen Netzwerken übertragen werden. Zuletzt hat uns der Gigant Google Translator gebeten, die Ergebnisse seines Algorithmus für Aymara zu prüfen. Alles in allem sind wir da, wohin wir gerufen werden, um die Sprache und Kultur der Aymara zu beleben und zu stärken. 

Auch offline haben wir gearbeitet und Aymara-Philosophie in Gedichtform verfasst. Wir organisieren unter anderem „Nayrïr Aymarat Qillqañ Ch'ikhi Amuyunak Yatiqäwi“ (den ersten Kurs „Strategien für Kreatives Schreiben“ auf Aymara), um Aymara-Schriftsteller*innen zu fördern.

24 Stunden #AufAymara

Beim Fernsehkanal SEOTV hat das Team von Jaqi Aru eine neue Möglichkeit gefunden, die Sprache und Kultur der Aymara zu beleben und zu stärken. Die Teammitglieder treten als Fernsehmoderator*innen auf. Unser Programm „Aruskipt’asipxañanakasakipunirakispawa – Wir alle müssen ständig miteinander im Gespräch sein“ ist #AufAymara.

Nachdem wir all diese Erfahrungen gesammelt haben, möchten wir uns im Zusammenhang mit den TICs (Projekte zu Themen rund um Aymara und Technologie) noch eingehender mit der Epistemologie der Sprache und Kultur der Aymara beschäftigen. Unser Wunsch ist es, weiter zu lernen und uns zu engagieren, damit die Sprache und Kultur der Aymara sich irgendwann konstant an die neuen Realitäten anpassen können. Weiter Projekte zu machen zu Software-Entwicklung, Robotertechnik, künstlicher Intelligenz, maschineller Übersetzung – das ist unsere Leidenschaft, unser Lebenssinn.

Interessiert an Aymara

Zusammenfassend können wir sagen, dass wir uns über drei Internetgiganten (Facebook, Google und Youtube) hinweggesetzt haben. Google Translator hat Aymara bereits unter seine 133 Sprachen aufgenommen. Metaverse hat angekündigt, Aymara in seinen Multi-Translator mit 200 Sprachen aufzunehmen. Elias Ajata Rivera, Administrator einer Facebook-Seite zum Aymara-Lernen mit über 219.000 Mitgliedern, hat Untertitelungen erstellt und auf YouTube ausprobiert.

Die Möglichkeiten, die Sprache und Kultur der Aymara im Internet zu beleben und zu stärken, sind also vielfältig. Im gesamten Prozess ist der sprachphilosophische Fokus des jiwasa (Kategorie des Wirsagens oder wir selbst), taqi chuyma (fühldenkend) und aru jathachaña (gemeinsam die Sprache ziehen wie einen besonderen Samen) unverzichtbar in der Aymara-Welt.