Koloniale Raubkunst Die Restitution der Benin-Bronzen

Zeremonie zur Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria
Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria in Abuja 2022 | Foto (Detail): © picture alliance / photothek | Florian Gaertner

Die deutsche Regierung hat einen Teil der Benin-Bronzen an Nigeria zurückgegeben – 125 Jahre nach ihrem Diebstahl durch britische Truppen im Jahr 1897. Die Kulturhistorikerin und Kunst- und Kulturerbespezialistin Dr. Oluwatoyin Zainab Sogbesan und der Spezialist für digitales Kulturerbe Olorunfemi Johnson sprechen über Besitzrechtsfragen, historische Kontexte und die Forderungen der so genannten Restitution Study Group.
 

Wie stehen Sie zur Restitution von Raubkunst aus kolonialen Kontexten im Hinblick auf Besitzrechtsfragen, den rechtlichen Rahmen und den moralischen, ethischen und gesellschaftlichen Hintergrund?

Olorunfemi: Als jemand, dem sowohl Gerechtigkeit als auch Kunst am Herzen liegen, bin ich der Überzeugung, dass die Restitution von Raubkunst aus kolonialen Kontexten ein komplexes Thema ist, das meines Erachtens eine vielschichtige Herangehensweise erfordert. Einerseits ist es wichtig anzuerkennen, dass große Teile dieser Kunst mithilfe von Gewalt, Zwang oder Diebstahl aus kolonisierten Ländern entfernt wurden. Folglich haben die aktuellen Besitzer*innen solcher Kunst keinen legitimen Anspruch darauf. Gleichzeitig ist es wichtig zu sehen, dass diese Kunstwerke mittlerweile zu einem bedeutenden Teil der Weltgeschichte geworden sind und Wissenschaftler*innen, Kunstschaffende und Menschen in aller Welt gleichermaßen inspiriert haben. Angesichts dieser Interessen bin ich der Meinung, dass die Diskussion über Restitution als Katalysator für weitere Gespräche genutzt werden kann und sollte. Ich glaube, dass der beste Ansatz zu diesem Thema einer ist, der die Interessen aller Beteiligten auszugleichen sucht. Und dazu gehört es womöglich, bestimmte Kunstwerke zurückzugeben sowie rechtliche Rahmenbedingungen zu etablieren, die die Rechte aller schützen.

Oluwatoyin: Ich stimme Olorunfemi in gewisser Weise zu, sehe das ganze aber auch aus einer etwas anderen Perspektive. Meine eigene Meinung zur Restitution von Raubkunst aus kolonialen Kontexten ist einfach: Die Debatte um Restitution ist eine Debatte über Besitzrechte und Rückgabe und ich bin der Ansicht, dass diese Kunstwerke an die ursprünglichen Bevölkerungen zurückgehen sollten. In diesem Fall geht es um beninische Kunst, die damals nicht als Kunst galt. Es sind Tafeln, die Ereignisse festhielten. Es sind Tafeln, die die Erfindungsgabe der Gesellschaft demonstrierten, es sind Tafeln, die spirituelle Symbole einer Ära waren, und es sind Tafeln, die die Monarchie der Region feierten und die in diesem Fall an ihre rechtmäßigen Besitzer*innen zurückgegeben werden sollten. Wenn die Restitution das beninische Rechtssystem verwenden würde – oder das, was wir als damaliges Rechtssystem betrachten könnten –, wäre es eines, das das erste Kind wertschätzt. Im Kontext der Igiogbe beerbt das erste Kind seinen Vater. Im afrikanischen Kontext kann das Erbrecht patrilinear oder matrilinear sein, für Nigeria ist es jedoch patrilinear – es berücksichtigt das Haus und den spirituellen Kontext der Familie. Und in diesem Fall beerbt der regierende Oba seinen Vater. Was die Lebensweise innerhalb der Gemeinschaft betraf, hatte der Oba das letzte Wort. Und deshalb wurde er als Autorität über sein Volk ebenso respektiert wie als Wächter seiner Kultur. Wenn wir es also aus dieser Perspektive betrachten, sollte die Feststellung der Eigentümerschaft auf dem Gewohnheitsrecht beruhen, das die Menschen vor der Kolonialzeit kannten, und das bedeutet die Rückgabe der Objekte an ihre ursprünglichen Besitzer*innen.

Prima, damit haben Sie die zweite Frage eigentlich auch schon beantwortet, die ich nun Ihnen stellen will, Olorunfemi: Wie sollte es Ihrer Meinung nach mit den Benin-Bronzen weitergehen? Wer sollte sie bekommen, was sollte mit ihnen geschehen?

Olorunfemi: Ich weiß, dass sich jüngere globale Debatten auf Besitzrechte und die moralische Fragwürdigkeit der Verwahrung afrikanischer Kunst im Ausland konzentriert haben. Was die Objekte betrifft, die an Nigeria und die NCMM (National Commission for Museums & Monuments, Nationale Kommission für Museen & Denkmäler) zurückgegeben wurden, ist mir bewusst, dass es hinsichtlich der Besitzrechte auch Diskussionen zwischen der NCMM und dem Palast gibt.

Als Künstler und Forscher, der der Geburt eines neuen Nigeria entgegensieht, war und ist der Schwerpunkt für mich etwas anders gelagert: Ich denke mehr über den Zeitpunkt nach, an dem diese Objekte tatsächlich eintreffen. Wie können wir diese Geschichten und Werte in das öffentliche Bewusstsein einbinden, wie kann es hier zu einem Wandel kommen? Die Rückgabe und Aufbewahrung der Bronzen sollte nicht einfach in der Abgabe eines Statements oder in Bedeutungslosigkeit enden. Die eigentliche Kraft eines Artefakts liegt darin, dass seine Geschichte das Unterbewusstsein der Öffentlichkeit zu beeinflussen vermag.

Welche Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die Diskussion über die Rückgabe der Benin-Bronzen in den letzten Jahren intensiviert hat und einige Länder im Globalen Norden mittlerweile zu einer Rückgabe bereit sind?

Olorunfemi: Ich denke, es gibt vier Faktoren, die dazu beitragen. Erstens, mehr Bewusstsein und Aktivismus. In den letzten Jahren gab es ein wachsendes Bewusstsein für das Problem von geraubtem Kulturerbe und zunehmenden Aktivismus von Gemeinschaften und Organisationen, die die Rückgabe der gestohlenen Objekte fordern. Das setzte Regierungen und Museen unter Druck, die Frage der Restitution anzugehen. Zweitens findet bei den Museumsrichtlinien ein Wandel statt. Zahlreiche Museen haben ihre Richtlinien und ihren ethischen Rahmen überarbeitet, um die Frage von geraubtem Kulturerbe anzugehen und Restitutionsanfragen zu prüfen. Einige Museen haben sogar Objekte an die Herkunftsländer zurückgegeben und so einen Präzedenzfall für die Rückgabe der Benin-Bronzen geschaffen. Der dritte Faktor ist politischer Wille. In einigen Ländern fand eine Verlagerung des politischen Willens hin zu einer Beschäftigung mit dem Problem von geraubtem Kulturerbe und der Förderung von Restorative Justice statt. Dies hat zu einer größeren Offenheit gegenüber einer Restitutionsdebatte geführt. Zu guter Letzt, rechtliche Entwicklungen. Manche Länder, darunter auch Nigeria, haben neue Gesetze und Vorgaben eingeführt, die auf die Erleichterung der Rückgabe von geraubtem Kulturerbe abzielen. Diese rechtlichen Entwicklungen haben es den Ländern einfacher gemacht, Anspruch auf die Rückgabe von Objekten wie etwa den Benin-Bronzen zu erheben. Das sind für mich die vier Dinge, die die Diskussion in den letzten Jahren beeinflusst haben.

Oluwatoyin: Nun, Olorunfemi hat das sehr schön gesagt und ich weiß, dass er damit für sehr viele Menschen spricht, aber ich sehe das aus einer anderen Perspektive. Präsident Emmanuel Macrons Statement aus dem Jahr 2017 über eine mögliche Rückgabe von afrikanischem Kulturerbe nach Afrika, gekoppelt mit den Folgeeffekten der Black-Lives-Matter-Bewegung sowie dem Widerstand gegen öffentliche Denkmäler zu Ehren kolonialer Figuren, die an der Versklavung oder Dehumanisierung afrikanischer Menschen beteiligt waren, haben diese erneuten Forderungen und Anfragen um die Rückgabe gestohlener Kulturgegenstände bekräftigt. Es gab schon immer Bestrebungen von Menschen, Gemeinschaften ebenso wie Nationen, die Rückgabe ihrer Artefakte zu fordern. Aber sie hatten bis vor kurzem keinen Schwung aufgenommen. Die Black-Lives-Matter-Bewegung von 2021 trug viel zu diesen Initiativen bei. Die Menschen fühlten sich in die Lage versetzt, ihre Stimme zu erheben und zu verlangen, dass gestohlene Objekte an ihre ursprünglichen Besitzer*innen zurückgegeben werden. Ich denke zudem, dass ein Bewusstsein für Identität dazu beigetragen hat. Die Menschen waren stolz darauf, als Afrikaner*innen wahrgenommen zu werden, und diese Objekte halfen dabei, zu definieren, wer sie sind und wer sie sein möchten. Schwarz zu sein und das nicht mit irgendetwas in Verbindung bringen zu können, das zur Definition der eigenen Identität beitragen kann, gehört mehr und mehr der Vergangenheit an. Sich selbst als Bürger*in zweiter Klasse zu sehen gehört ebenfalls mehr und mehr der Vergangenheit an, weil wir heute wissen, dass unsere Vorfahr*innen über Technologie verfügten, die zur Herstellung von einigen dieser Artefakte beitrug. Diese Artefakte sprechen Bände. Sie sagen etwas über die Materialität der Menschen. Sie sagen etwas über den Erfindungsreichtum der damaligen Technologie, sie sagen etwas über die Kunst, die die Menschen einsetzten, um ihre Ereignisse aufzuzeichnen. Und jetzt möchten die Menschen, dass diese Fakten in den Vordergrund treten. Die Menschen damals verfügten über technisches Know-how und Kulturen, die Teil ihrer Geschichte sind und die dazu beitragen, ihre Identität herauszustreichen.

Wie stehen Sie zu den Statements der Restitution Study Group, dass die Nachfahr*innen der versklavten Menschen, deren Verkauf die Bronzen finanzierte, ebenfalls Ansprüche oder zumindest Mitspracherechte in Bezug auf die Bronzen haben sollten?

Olorunfemi: Die Gruppe argumentiert, dass der Handel mit versklavten Menschen in unmittelbarer Verbindung mit dem Handel mit afrikanischen Kulturerbeobjekten einschließlich der Benin-Bronzen stand und dass die Nachfahren derjenigen, die versklavt und ausgebeutet wurden, im Restitutionsprozess eine Stimme haben sollten. Dieses Statement wirft wichtige Fragen zu den ethischen und moralischen Überlegungen auf, die zur Restitution von Kulturerbeobjekten gehören, insbesondere solchen, die durch Kolonialismus und Ausbeutung erworben wurden. Es hebt die Notwendigkeit hervor, den komplexen historischen und kulturellen Kontext anzuerkennen, innerhalb dessen diese Objekte in Besitz genommen wurden, und die Perspektiven all derjenigen zu berücksichtigen, die von ihrer Aneignung und ihrem Abtransport betroffen waren. Ich denke, das ist eine ziemlich komplexe und heikle Frage. Oluwatoyin, was denkst Du dazu?

Oluwatoyin: Mir ist bewusst, dass es immer zwei Seiten einer Medaille und immer mindestens zwei Seiten einer Geschichte gibt. Und sie verleihen dieser Frage der Restitution einen reichhaltigen Kontext. Es ist zudem interessant, dass sich Menschen in der Diaspora dafür interessieren, insbesondere die Restitution Study Group, die sich als Miteigentümer*innen fühlen. Ja, sie dürfen sich natürlich gerne als Miteigentümer*innen fühlen, aber ich sehe es aus folgender Perspektive: Als erstes müssen wir verstehen, dass diese Kunst aufgrund eines Gildensystems entstand, das im ersten Jahrhundert unter der Herrschaft der Ogiso-Könige seinen Anfang nahm. Die Ogiso-Könige waren die ersten Könige der beninischen Dynastie und die Gilden wurden von den Kunsthandwerker*innen organisiert, was zu einer Reihe königlicher Werke für verschiedene Festivals und Kulturereignisse im Königreich Benin führte. Die Gilde der Bronzegießer*innen wurde sehr beliebt. Sie entstand nur deshalb, weil die Monarchie, der König, sie mit der Schaffung dieser Gegenstände beauftragte, die ihre Geschichte aufzeichneten. Ehrlich gesagt sollten die Objekte zurückgegeben werden. Die Restitution Study Group kann daher ebenfalls als Miteigentümer*innen betrachtet werden, weil sie zu derselben Gruppe von Menschen gehören, die im heutigen Nigeria leben. Sie sind Teil dieser breiteren Familie und erweitern die Frage der Restitution um einen neuen Diskurs.

Zwanzig Kunstwerke werden an Nigeria zurückgegeben, neun befinden sich nach wie vor im Smithsonian National Museum of African Art. Sie sind dort als Dauerleihgabe, was bedeutet, dass die Restitution Study Group sie nach wie vor sehen und mehr über sie lernen kann. Die Wahrheit ist, dass es einfacher ist, Afrika von außerhalb Afrikas zu studieren. Und jetzt, da es ein Bewusstsein für die Existenz dieser Kunstwerke gibt, sollten Afrikaner*innen sie an ihrem eigenen geografischen Standort erleben können, ohne Tickets kaufen zu müssen, um in ausländische Museen zu fahren und das zu sehen, was ihnen gehört. Ich ziehe daher den Hut vor dem Mut der Restitution Study Group, sich als Menschen afrikanischer Herkunft identifizieren zu können, als Nachfahr*innen von Menschen der Ära des Sklavenhandels wahrgenommen werden zu können. Das ist eine wirklich achtbare Sache. Und wie Olorunfemi schon erwähnte, haben die Bronzen mittlerweile eine Art internationale Identität angenommen. Und wir haben unterschiedliche Menschen, die auf die eine oder andere Weise Anspruch auf die Bronzen erheben könnten. Aber der Punkt ist, dass sie ihren Anfang an einem Ort namens Königreich Benin nahmen. Das Königreich Benin ist heute zu einem Teil Nigerias geworden und das muss respektiert werden. Und wir, die Menschen Benins und Afrikas, freuen uns zu sehen, dass Nachfahr*innen, die nicht in Nigeria leben, gerne mit dieser Kultur assoziiert werden, die die Bronzen repräsentieren. Aber meiner Meinung nach sollten die Kunstwerke in erster Linie an ihre Herkunftsgemeinschaften zurückgegeben werden. Und dann können wir darüber diskutieren, wie wir es anstellen, dass viel mehr Menschen aus aller Welt sie sehen können. Obwohl ich eigentlich denke, dass die Dauerleihgaben dieses Problem bereits gelöst haben.

Olorunfemi: Ja, ich würde hier tatsächlich gerne noch eine Kleinigkeit hinzufügen: Wenn ich Museen besuche und Artefakte anschaue, fehlt ihnen, wenn sie einfach nur an der Wand hängen, oft ihr Kontext. Häufig gehe ich in Kunstausstellungen hinein und wieder hinaus, weil sie mir nichts sagen. Ich denke, dass Artefakte generell etwas Kontextuelles an sich haben müssen. Eine Art kontextuelles Feedback, um den Menschen zusätzliche Forschungsmöglichkeiten geben zu können, kontextuelle Hintergründe, die für eine gewisse Tiefe sorgen, um zu forschen, zu lernen und sich mit diesen Artefakten auf eine Weise aktiv zu beschäftigen, wie das zuvor nicht möglich gewesen wäre. Ich stimme Dir also zu, Oluwatoyin.