Schreibwettbewerb „Arbeit“ Nein zu Five

Illustration einer Person vor einem Laptop
Illustration: © Tobias Schrank

Was tun, wenn sich ein ungebetener Gast in der Wohnung und im Familienalltag breitmacht? Und dieser Gast auch noch „Arbeit“ heißt? Da hilft nur eins: Grenzen setzen. Möglichst früh.

Plötzlich steht sie vor der Tür. Seine Arbeit. Ein paar zerfledderte Aktenordner und einen Locher unter den Arm geklemmt. Das Büro sei wegen Corona jetzt komplett dicht, nuschelt sie verlegen, keiner käme mehr. Es würde nicht mal mehr geheizt oder gereinigt, es sei kalt und staubig und einsam und überhaupt. Sie schnieft. Er zögert. Sie kennen sich ewig, aber eigentlich kaum, der tägliche Kontakt ist über die Jahre angenehm unpersönlich geblieben, ab und an ein Händedruck oder Blumen zum Jubiläum. Die kleine Wohnung eh schon überfüllt.

„Nur übergangsweise!“, hört er sich sagen. Und es gebe Regeln, vor allem: kein Job-Gerede nach 17 Uhr, dann müsse sie sich selbst beschäftigen. Im Gästezimmer richtet er der Arbeit ein provisorisches Plätzchen ein – zwischen drei Lego-Kisten und einem reich behängten Wäscheständer. Hier könne sie erstmal bleiben. Er versuche es nachher seiner Frau zu erklären.

Mehr Work als Life

Seine Arbeit sitzt splitternackt auf der Küchentheke, nur stellenweise von bunten Post-Its bedeckt, und verschlingt eine 5-Minuten-Terrine. „Gleich Zoom-Meeting zum Thema Work-Life-Balance!“, erinnert sie ihn schmatzend. Sie folgt ihm durch jeden der 52 Quadratmeter, protestiert laut, wenn er zu lange im Supermarkt oder auch nur im Nebenzimmer verweilt. Sie fühle sich sehr wohl, betont sie immer wieder, es sei irgendwie viel persönlicher als im Büro. Am Abendbrottisch funkt sie zuverlässig dazwischen, er versteht seinen Sohn kaum, wenn der lispelnd von seinem Dinosaurierprojekt berichtet. Nachts steckt sie flüsternd den Kopf durch die Tür: „Übrigens, du hast die Mail gar nicht abgeschickt!“, um wenig später knarzend zu korrigieren: „Falscher Alarm, hast sie doch abgeschickt.“ Oder sie krabbelt direkt in die Mitte des Bettes und textet ihn unter der Decke noch weiter zu. Dann zieht seine Frau genervt aufs Sofa um, sie müsse morgen früh raus, überhaupt frage sie sich, warum sie noch neben ihm schlafe, wenn er doch nur noch Augen und Ohren für seine Arbeit habe.

Es reicht

Er trägt kaum noch Hosen. Er vergisst sie, wenn keine Konzentration mehr übrig ist, vergisst sie absichtlich, wenn keine Energie mehr übrig ist. Oder er vergisst zu waschen, dann ist einfach keine Hose mehr übrig. Je entspannter die Arbeit wird, desto mehr Arbeit macht ihm die Entspannung. Als er eines unterkoffeinierten Morgens versucht, seinen Sohn mit der Fernbedienung stummzuschalten, droht ihm seine Frau mit fristloser Ehe-Kündigung.

„Du musst ausziehen. Sonst muss ich ausziehen“, sagt er. „Hab‘ dir ein Coworking-Space in der Nähe rausgesucht, bis wir wieder ins Büro können.“ Die Arbeit nickt, sie hat das schon geahnt. Dann sehen sie sich lange an, von Augenring zu Augenring, bis sie fast lächeln, zum ersten Mal seit Monaten. Sie kennen sich nun wohl besser als je zuvor, vor allem ihre Grenzen. „Morgen dann um 9?“, fragt sie versöhnlich, mit ihren Aktenordnern und dem Locher unterm Arm. „Keine Sekunde früher“, seufzt er. Und schließt die Tür. Und schließt sie gleich nochmal.