Kultur

Kaffeefahrt ins Verderben

Aero Film

Der Dokumentarfilm Šmejdi zeigt, mit welchen üblen Geschäftspraktiken Rentner bei Kaffeefahrten über den Tisch gezogen werden.

Minderwertige, überteuerte Töpfe, die man sonst nirgends so einfach kaufen kann. Na, greifen Sie doch zu! Foto: © Aero Film.

Eine kleine Stadt, der große Saal des örtlichen „Kulturhauses“. Drinnen sitzen rund 40 Rentner, die mit einem Bus aus den umliegenden Dörfern hergebracht wurden. Viele der Senioren kennen sich untereinander, sie sind Nachbarn oder Freunde. Alle wurden von einem knallbunten Flugblatt hierhergelockt, das sie in ihrem Briefkasten vorfanden. Es versprach einen unterhaltsamen Nachmittag mit Schlossbesichtigung, zum Mittagessen gebratene Entenkeulen sowie eine Menge Geschenke. Für die Damen Markenwaschmittel, für die Herren einen Akku-Bohrer, für Paare eine Stange Salami. Und das alles auch noch zu dem lächerlich niedrigen Preis von 50 Kronen. Diejenigen Senioren, die nicht das erste Mal an einem „unterhaltsamen Nachmittag“ teilnehmen, wissen allerdings schon, dass das mit dem Schlossbesuch, der Ente und dem Waschmittel alles ein wenig anders sein wird. Der Dokumentarfilm Šmejdi hat die Sache unter die Lupe genommen.

Der unterhaltsame Nachmittag verwandelt sich nämlich schnell in eine sogenannte Verkaufsveranstaltung, bei der Rentnern mit den übelsten Druckmitteln wertlose Waren aufgezwungen werden. Heute ist es ein spezieller Topf mit einem speziellen Boden aus drei Schichten. „Die Zusammensetzung der dritten Schicht ist ein Geheimnis, über das ich jetzt nicht sprechen kann – vielleicht ist jemand von der Konkurrenz hier. Jedenfalls kann man dadurch in diesem Topf wirklich alles auftauen. Das funktioniert sogar, wenn der Topf nicht auf dem Herd steht! Vorhin hat mir ein deutscher Ingenieur aus Berlin Löcher in den Bauch gefragt, ich sollte ihm unbedingt das Geheimnis der dritten Schicht verraten…“

Der agile Verkäufer im gut sitzenden Anzug beschreibt den Rentnern das Produkt und manipuliert sie dabei meisterhaft. Er schafft eine Atmosphäre der Angst, schreit die Senioren an und lügt hemmungslos. Ganz im Sinne der Taktik „Zuckerbrot und Peitsche“ ruft er beim Publikum sodann ein Gefühl der Exklusivität hervor und bietet den „einzigen intelligenten Kunden, die zu sparen verstehen“, Waren im Wert von „130.000“ zum „unglaublichen, einmaligen Preis“ von 30.000 Kronen (etwa 1100 Euro) an. Dann erklärt er, dass die Töpfe ein Gewinn sind, der Gewinn aber immer durch eine andere Zahlung bedingt ist. Wenn die Senioren zögern, werden sie so lange bearbeitet, bis sie den Kauf mit ihrer Unterschrift bestätigen. Wenn sie freundlich ablehnen, werden sie mit einer Salve gröbster Beschimpfungen überschüttet. Und bekommen kein Mittagessen. Oder werden nicht auf die Toilette gelassen. Und wehe, sie bekommen jetzt einen Herzinfarkt, einen Rettungswagen würde nämlich niemand rufen.

Nimm mit, was du mitnehmen musst

Das Ergebnis? Nach Hause nehmen die Rentner wertlosen Abfall mit, bestehend aus einem obskuren Mixer für 20.000, einem Kocher für 10.000 und einer Ökolampe mit „EU-Zertifikat“ für 5000 Kronen; alles Zeug, das sie nicht brauchen, nicht haben wollten, aber das ihnen von jemanden auf absolut skrupellose Art und Weise aufgezwungen wurde. Jetzt sind sie für mehrere Jahre verschuldet. Bei der nächsten Kaffeefahrt sind sie dennoch wieder dabei. Wie kommt das?

Eines der Flugblätter, die zu einer außergewöhnlichen Veranstaltung locken, von der einem hinterher der Kopf dröhnen wird. Foto: © Aero Film.

Genau das fragt auch die Regisseurin Silvie Dymáková, deren Dokumentarfilm Šmejdi [der Filmtitel spielt mit der Doppelbedeutung des tschechischen Wortes šmejd, das einerseits „Schund“, „Ramsch bedeutet, andererseits Personen im Sinne von „Gauner“, „Betrüger“ bezeichnet, Anm. d. Übers. ] seit Mitte April in den tschechischen Kinos läuft. Darin sind Aufnahmen zu sehen, die sie mit einer versteckten Kamera selbst gemacht hat. Das war gar nicht einfach. Jüngere Menschen werden zu diesen Verkaufsveranstaltungen gar nicht reingelassen. Silvie Dymáková hat sich deshalb immer als Rentnerin verkleidet und sich einem Senioren angeschlossen. Was sie dann filmte, hat in der tschechischen Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Diese Kaffeefahrten, bei denen mit unlauteren Verkaufspraktiken Rentner über den Tisch gezogen werden, waren zwar ein allgemein bekanntes Phänomen, aber so genau hatte bisher noch niemand hingeschaut.

Dabei stehen überteuerte Kochplatten oder unbrauchbare Multifunktionsmixer, die einem auf Kaffeefahrten aufgeschwatzt wurden, in den Speisekammern zahlreicher Omas (einschließlich der des Autors dieses Artikels), und täglich sind in Tschechien Busse voller Senioren unterwegs, die zu Verkaufsveranstaltungen gekarrt werden. Aber erst der Dokumentarfilm Šmejdi löste die notwendige Lawine von Reaktionen aus, von denen zumindest einige den Betrügern endlich das Handwerk legen könnten.

Kreuzzug gegen Kaffeefahrten

Die Medienpartner des Films, die Boulevardzeitung Blesk und die Zeitschrift dTest initiierten eine Petition gegen Gauner, die Tausende Menschen einschließlich Präsident Miloš Zeman unterschrieben haben. Zeugenaussagen von Rentnern, Interviews mit der Regisseurin und Fernseh-Diskussionen zum Thema beherrschen den medialen Raum. Der tschechische Wirtschaftsminister Martin Kuba fordert zudem, dass solche Verkaufsveranstaltungen 14 Tage vorher bei der Tschechischen Handelsinspektion angemeldet werden und dass auf jedem Flugblatt ganz klar kenntlich gemacht wird, welche Produkte zu welchem Preis verkauft werden.

Die Verantwortung, dass dies alles hätte schon längst passieren sollen, wird dem Ministerium allerdings niemand abnehmen können. Das Wichtigste ist jedoch, dass der Film Šmejdi jene erreicht, die bei den Kaffeefahrten regelmäßig ausgenommen werden: die Senioren. In ganz Tschechien finden jetzt spezielle Vorführungen für Rentner statt, der Film wird in zahlreichen Einrichtungen für alte Menschen gezeigt. Die Produzenten hatten zudem entschieden, dass Menschen über 65 in ausgewählten Kinos freien Eintritt haben.

Trailer zum Film Šmejdi. © Aero Film.

Gnadenlose Einblicke

Im Internet wimmelt es vor schockierten Reaktionen auf den Film. Die Regisseurin geht nämlich tatsächlich keine Kompromisse ein und zeigt alles ungeschminkt. So zum Beispiel den Rentner, der davon berichtet, wie er von Verkäufern brutal zusammengeschlagen wurde, die drei geistig behinderten Frauen, die von Verkäufern auf die grausamste und widerlichste Art verspottet werden oder die verzweifelt weinende Rentnerin, die die für 200.000 Kronen erworbenen Produkte bis zu ihrem Tode abbezahlen wird. An der nächsten Kaffeefahrt werden sie dennoch wieder teilnehmen, weil sie „Freunde treffen, mal rauskommen“ und vor allem weil sie eine weitere Dosis der Droge bekommen. Denn genau diese Funktion erfülle die Teilnahme an Kaffeefahrten, erklärt eine Psychologin in dem Film. Offenbar nehmen die Rentnerinnen aber vor allem deshalb an diesen Werbefahrten teil, weil sie immer alleine sind, weil sie nie Besuch von den Enkeln bekommen, weil sie niemanden haben, mit dem sie sich unterhalten könnten. Wohl auch deshalb gibt es in den Kommentaren zu dem Film oft die Anmerkung: „Morgen muss ich Oma anrufen!“

Rein filmisch betrachtet gibt Šmejdi nicht besonders viel her. Im Großen und Ganzen handelt es sich um eine simple Zusammenstellung von Aufnahmen mit versteckter Kamera, Aussagen von Senioren sowie Statements von „Experten“ wie Juristen, Psychologen und Köchen. Mehr als bezeichnend ist die Tatsache, dass die Boulevardzeitung Blesk Medienpartner des Filmes ist. Auch der Film ist nämlich so ein wenig „boulevardesk“, er bemüht eher die emotionale Seite, als dass er sich mit originellen Ansätzen oder neuen Blickwinkeln beschäftigen würde. Auch kommen eine expressive Musik sowie plakative Zwischentitel zum Einsatz, genauso wie man es aus der Blesk kennt.

Dieser „Boulevard-Touch“ sowie die Tatsache, dass das Werk keinen Meilenstein des Dokumentar-Genres darstellt, taugen im vorliegenden Fall allerdings nicht als Vorwurf. Der Film Šmejdi ist kein Streifen für Filmfans, sondern für die Gesellschaft als solche. Damit sichtbar wird, was die ältere Generation so macht, wenn die Jüngeren noch nicht mal in der Lage sind, ihre Eltern und Großeltern hin und wieder anzurufen.

„Zuerst eine Puppe umsonst, dann gar nichts“

Frau Antonie aus Pelhřimov im Landkreis Vysočina nahm oft und gerne an Kaffeefahrten teil. Jetzt war sie aber schon länger bei keiner mehr dabei. Einem derart aggressiven Verkäufer-Verhalten, wie es im Dokumentarfilm Šmejdi gezeigt wird, ist sie selbst nie begegnet. Die Praktiken der Verkäufer haben dennoch wenig mit guten Sitten und Anstand zu tun, findet die Rentnerin.

Frau Antonie, wie oft haben sie an einer sogenannten Kaffeefahrt teilgenommen?

Ziemlich oft, mit meinem Mann waren wir auf mehreren Dutzend solcher Veranstaltungen.

Wie haben sie die Veranstaltungen wahrgenommen? Ist es wirklich so, dass dort mit gröbster Manipulation Rentnern wertlose Dinge angedreht werden?

Vulgäre Beschimpfungen oder dass jemand im Klo eingesperrt wird oder den Personalausweis abgenommen bekommt – so etwas haben wir nicht erlebt. Arrogant und bösartig sind die Verkäufer manchmal aber ohne Zweifel. Darüber hinaus wird betrogen. Sie bieten Waren an, die angeblich 120.000 Kronen wert sind und verkaufen diese dann für „nur“ 30.000. Dabei handelt es sich um Staubsauger, Pfannen oder Kocher, die nie und nimmer diesen Wert haben.

Haben auch Sie persönlich arrogantes Verhalten erlebt?

Einmal wollte ich bei so einer Veranstaltung meiner Enkelin eine Puppe für 450 Kronen kaufen. Sie war schön, hatte ein Faltenkleid, der Preis kam hin. Also meldete ich mich, dass ich sie kaufe. Der Verkäufer erklärte dann vor allen Leuten, dass er sie mir umsonst gibt. Ich sagte nichts. Ich nahm die Puppe und legte sie vor mich auf den Tisch. Dann bin ich auf die Toilette gegangen, und als ich wiederkam, war die Puppe weg. Mir wurde klar, dass sie sie mir nie umsonst geben wollten, das war nur eine Show für die anderen Leute.

Sind die angebotenen Produkte wirklich so minderwertig?

Minderwertig sind vor allem die Geschenke, die man bekommt, wenn man an einer Kaffeefahrt teilnimmt. Die sind völlig wertlos. Seltsame Schraubenzieher, Küchenartikel…. Alles aus China und untauglich. Über die teuren Waren sagen die Verkäufer stets, dass es das Beste ist, was es am Markt gibt, und dass diese Produkte im freien Verkauf noch lange nicht zu bekommen sein werden. Einmal wurde mir eine Keramikpfanne für 3000 Kronen angeboten. Eigentlich wollte ich gleich zwei kaufen, für meine Töchter zu Weihnachten, habe es mir dann aber noch überlegt. Die gleiche Pfanne habe ich dann für 500 Kronen im Laden gesehen.

Hat man Sie einmal davon überzeugt etwas zu kaufen?

Aber ja. Für 10.000 Kronen habe ich mir mal ein Massagegerät gekauft, und merkwürdigerweise bereue ich das gar nicht. Ich bin mit dem Apparat zufrieden, ich und mein Mann benutzen ihn quasi täglich. Schöne Decken haben wir auch mal gekauft. Es gibt nämlich auch Verkäufer, die nicht so schlecht sind. Einmal sind wir mit einer Firma zu einer Werbefahrt in die Türkei gefahren, das hat uns nur 11.000 Kronen gekostet. Und es war herrlich dort. Manchmal ist so eine Kaffeefahrt auch ein schöner Ausflug; wir waren beispielsweise in Kutná Hora oder im Zoo von Jihlava.

Also steht auf diesen Einladungszetteln, die Sie zugeschickt bekommen, wo es hingeht?

Nein, das steht meistens gerade nicht da. Es steht nur da, dass ein Ausflug stattfindet, dass es ein gratis Mittagessen gibt und dass man beispielsweise eine Sehenswürdigkeit besucht. Das Wichtigste ist aber die Verkaufsveranstaltung in irgendeinem Gemeindesaal oder einem Restaurant. Wenn sich niemand etwas kaufen will, dann dauern diese Veranstaltungen zudem furchtbar lange. Die Verkäufer ziehen das dann künstlich in die Länge. Für die Besichtigung der Stadt oder des Schlossen bleibt dann kaum noch Zeit übrig. Einmal wurde uns die Besichtigung des Schlosses in Telč versprochen, schließlich durften wir uns nur den Marktplatz anschauen.

Warum macht man bei diesen Kaffeefahrten überhaupt mit?

Das ist doch klar. Es sind doch vor allem Rentner, die sich noch etwas anschauen möchten. Vor allem alte Witwen, die ständig zu Hause hocken, machen da mit. So kommen sie wenigstens unter Leute.

Jan Škoda
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2013
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