Kultur

TONYC

Sprudelnder Funk

Foto: TonycEin milder Abend, mitten im Altweibersommer. Ich bin ich auf dem Weg zur Bandprobe von TONYC. Nahe der berüchtigten Kamenná kolonie, der „Steinernen Kolonie“ in Brno, steht im Vorgarten eines kleinen, künstlerisch anmutenden Hauses eine geduckte Blech-Garage. Erfrischende Töne dringen von dort auf die ansonsten ruhige Straße. Es ist funky.

Foto: Tonyc

Tonyc; „Dahinter steckt mehr Poesie, als es der erste Eindruck verrät.“

Ich schlage ein paar Mal an das Tor der Garage, aber nichts! Die Musik spielt weiter. Ich klingele bei jemandem anderen im Haus und gehe durch bis in den Keller. Um mehrere Ecken gelang ich in die ersehnte Garage, die im Innern eher aussieht wie ein Bunker. Die Stimmung ist gelöst. In einer Art Vorraum warten weitere zehn Leute, trinken Bier und unterhalten sich über ihre Alltagsprobleme. Auf einem Tisch inmitten von Streichhölzern und Aufzeichnungen zu Konzerten stehen Kunstwerke wie Keramik-Fäkalien herum. Es gibt noch mehr von diesen Gegenständen: Überall an den Wänden, am Schränkchen und auf den Stühlen ist etwas versteckt, was überrascht. So wie die Band TONYC. Dahinter steckt mehr Poesie, als es der erste Eindruck verrät. Es ist die Band von „glorreichen sieben“ jungen Männern aus Brno, die ihre Musik als „leicht sprudelnd“ bezeichnen.

„Wir wollen unser Publikum vor allem aufheitern und zwanglos unterhalten“, beschreibt der Sänger und Frontmann Sláťa. Die graue Eminenz des Septetts, Honza Wolf, bechreibt den Stil als Funk mit Jazz- und Rockelementen. Die Probe ist mittlerweile zu Ende und wir sind in einer nahen Kneipe gelandet, die sich in einer alten Arbeitersiedlung befindet.

Die Band hat ihren Platz gefunden

Auf dem Boden vor der Kneipe sitzen viele junge Leute, ein schmächtiger Mann aus der Nachbarschaft schiebt sein Rad vorbei, und ein Stammgast lehnt sich aus dem Fenster und grüßt… kurz gesagt: es ist ein Abend, wie er sein soll. In diesem Viertel scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die kleinen pittoresken Häuschen haben wohl dabei geholfen, dass sich hier die Menschen nähergekommen sind. Und es wird offensichtlich, dass auch die Band hier ihren Platz gefunden hat. Wenn die Jungs über ihre Konzerterlebnisse sprechen, leuchten ihre Augen – und sie sind sich einig, dass ihr größter Erfolg ein Openair-Konzert im Viertel war: das Kamenka open. „Das ging voll ab“, sagen sie begeistert. „Es war sogar im Fernsehen“, ergänzt jemand von unter dem Tisch.

Foto: Tonyc

„Es war sogar im Fernsehen.“, das Kamenka Open 2010

Das Entstehen ihrer Band führen die Jungs auf den Gleichklang mit diesem Dorf inmitten der Stadt zurück und darauf, dass sie bereits in unterschiedlichen Kapellen gespielt haben, bevor diese auseinanderfielen. „TONYC in seiner heutigen Besetzung ist vor drei Jahren entstanden“, sagt Pianist Honza Wolf lächelnd. „Wir haben damals begonnen, zweimal in der Woche zu proben. Und wegen unserer Freunde und Bekannten von den Konzerten konnten wir dann auch mal aufreten“, erzählt Honza. Was bedeutet aber der Bandname? „Der Name ist einfach so bei einer Probe entstanden. TONYC klang irgendwie gut. Es hat das leichte Sprudeln von Tonic und lässt sich auch vielleicht als eine Art Reise nach New York verstehen“, meinen Honza und Sláťa. Am Ende des Tisches, mit einem alkoholfreien Bier in der Hand, bestätigt der angeblich begabteste Musiker der Band mit einem Kopfnicken: Pepa, der an der Zither und an der Gitarre zaubert. Das Septett vervollständigen Tomáš am Saxophon, Gabo an den Percussions, Wolf am Schlagzeug und Bassist Michal.

„Würde ich Senegalesisch können…“

Die Songs entstehen hauptsächlich durch gegenseitige Inspiration und beim Jammen. „Am wichtigsten ist, dass alles ganz natürlich fließt“, betont Sláťa. „Die Texte stimme ich dann so ab, dass sie zur Musik passen und den Rhythmus ergänzen. Weil Tschechisch manchmal nicht passt, verwende ich häufig Englisch. Würde ich Senegalesisch können, dann würde ich auch das singen“, fügt der Frontmann hinzu.

Nach dem vierten Bier kommt die Sprache sogar darauf, dass die Vertreibung der Deutschen eine Art Kriegsverbrechen gewesen sei, auf die Untaten der Hussiten und auch auf die Adamiten als Hippies ihrer Zeit. Die Debatte wird durch die Philosophie des Karate ergänzt, von wo aus wir wieder zum zentralen Thema zurückkommen, der Musik. Honza verrät, dass es manchmal im Zusammenspiel auch quietscht. „Wir sind gut eingespielt. Kleine Nuancen in der Musik entstehen dann, wenn die Band musikalisch nicht den gemeinsamen Nenner findet.“ Sláťa fügt mit der ihm eigenen Eleganz hinzu: „Wir kommen nicht so schnell in Fahrt, da wir auf festem Grund stehen.“

Trotz dieser kleinen Unzulänglichkeiten kann sich die Band nicht über einen Mangel an Auftritten beklagen. Mit ihrer Live-Performance bereichert sie verschiedene Kulturveranstaltungen, von Dorffesten bis zu Openair-Konzerten im Zentrum von Brno. Für mich haben sie aber bereits heute Abend gespielt. Freundschaftlich gestimmt bin ich gegen zwei Uhr früh nach Hause geschaukelt. Ich habe ein Tonic eingeschenkt und mir das Flaschenetikett angeschaut: Es war falsch geschrieben. Einfach leicht sprudelndes TONYC!

Jan Duda
Übersetzung: Till Janzer

Copyright: Goethe-Institut Prag
März 2012
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