Abgeschottet abfeiern
Tanzen, das ist zwar Träumen mit den Beinen, doch vor allem ein stets ambivalentes Erlebnis zwischen Individualität und Gemeinschaft: bei dem sich jeder für sich bewegt und doch erst in der Menge aufgeht – getragen von sanften Klängen und wummernden Bässen in lichtanimierten Clubs. Doch was passiert, wenn die musikalische Verbindung zum Kollektiv gekappt wird, wenn plötzlich jeder Kopfhörer trägt? Ein seltsam schönes Erlebnis: „Silent Disco“.
Zwei feierwütige DJs auf einer schmalen Bühne, die kopfnickend die Musikauswahl arrangieren und dazu parallel eine am Kopf grün und blau blinkende Masse vor sich zum Tanzen animieren. Es ist ein gewöhnlicher Samstagabend in einer Prager Discothek, doch ein absurdes Bild, das sich einem beim Betreten des Clubs bietet. Zwar sieht alles aus, wie eine gelungene Party in einer zeitgemäßen Tanzlokalität eben auszusehen hat – doch etwas Entscheidendes fehlt: der Ton. Es ist, als säße man während eines spannenden Spielfilms mit klemmender Stummschalt-Taste vor dem heimischen Fernseher.
Die Eintrittskarte für eine Teilhabe an der Geräuschkulisse in der tanzenden Menge stellt ein auf den ersten Blick unscheinbarer Funkkopfhörer dar. Gleichzeitig dient er via FM-Transmitter als drahtlose Verbindung zu Johana Švarcová: Schauspielerin, Musikerin – und an diesem Abend DJane. Auch sie feiert an den Plattentellern Premiere bei einer „Silent Disco“. Seit fünf Jahren versorgt sie als DJ Johana tanzaffines Publikum mit Musik, spielt gemischte Klänge zwischen, wie sie es nennt, „Old-School-Rock“ und Elektro. Über ihren Start als Sound-Versorgerin informiert Švarcová entwaffnend ehrlich: „Anfangs habe ich die Songs direkt vom Discman abgespielt. Ich dachte, das wäre punkig, aber aus heutiger Sicht war es einfach nur dämlich.“
Zweikampf an den Plattentellern
In dieser Prager Nacht hat sie folgerichtig auf den Discman verzichtet. Eine außergewöhnliche Situation ist es jedoch auch für sie: Zunächst, weil da neben ihr noch eine weitere Person an Turntables zugange ist– DJ Wokurka, der links von Švarcová sein munteres Platten-Werk verrichtet. Mit seinen Mixen versetzt er die Besucher in Tanzlaune – und nicht nur sie: Der Mann in Ektase mit der Wolfgang-Petry-Mähne hat Spaß an seiner Arbeit, sorgt mit hampelmannähnlichen Luftsprüngen für eine bebende Bühne. Es wirkt wie ein Duell zwischen den beiden DJs, ausgetragen mit unterschiedlichsten Kalibern, welche die vielfältige Musikgeschichte hervorbrachte. Für Švarcová ging aus dem Zweikampf allerdings kein eindeutiger Sieger hervor: „Wir haben alle gewonnen, weil es eine gute Party war.“
Dass die Situation für DJ Johana keine wie an jedem anderen Abend ist, an dem sie auflegt, hat aber noch eine andere Ursache. Ihr Fazit wäre nach den ersten Minuten sicher noch ein wenig nüchterner ausgefallen. Denn sie selbst und das tanzende Fußvolk müssen sich erst an die bizarren Umstände gewöhnen. Zur Erinnerung: Švarcová beschallt mit ihrer Musik nicht jeden Winkel des Clubs, sondern eben nur einen der beiden Kanäle, der über die verteilten Kopfhörer zu empfangen ist. Deshalb entwickelt sich das lustvolle Treiben bei praktischer Lautlosigkeit erst nach einer Eingewöhnungsphase, in der die Ohren unter den Kopfhörern und die Füße allmählich warm werden.
Gesangseinlagen unter den SchallwandlernUnterbrochen wird die Stille, die den Auftritt Švarcovás auch für sie selbst zu einem besonderen werden lässt, nur von mehr oder weniger gelungenen Gesangseinlagen bei teils ausbaufähiger Textsicherheit. Denn einige Tänzer scheinen sich unter den schützenden Schallwandlern wie in der heimischen Dusche zu fühlen, weshalb es ihnen dann und wann misslingt, Zunge und Stimmbänder zu zügeln. Momente, die Švarcová aus ihrer Beobachterposition besonders genoss: „Das war einfach großartig. Ich bedauere nur, mein Aufnahmegerät vergessen zu haben. Es hätte die Platte des Jahres werden können!“ sagt sie im Scherz.
Leuchtdioden an den Kopfhörern zeigen an, zu der Musik welchen Kanals eine Person aktuell tanzt: mit Grün markiert DJ Wokurka sein Revier, Blau ist die Farbe von DJ Johana. Die beiden Protagonisten an den Plattentellern können sich mit dieser kleinen Hilfe rückversichern, wie gefragt sie beim Publikum sind. In der Menge fördert sie die Neugier, wofür sich der Nebenmann gerade interessiert, wozu er sich bewegt. In manchen Momenten kommen sich die Musikstile von Grün und Blau sehr nahe – und damit auch die rhythmischen Tanzbewegungen der Besucher. Und sie selbst. Wenige Augenblicke später kann die Konformität allerdings schon wieder vorbei sein. Dann weiß man: Einer der beiden DJs tastet sich gerade an ein anderes Genre heran.
Silent Discos basieren auf einem an sich sehr simplen Konzept, das heute technisch keine große Herausforderung mehr darstellt. Doch sie können gerade dort eine sehr pragmatische Lösung sein, wo sonst aufgrund von Lärmschutzbestimmungen schon spätestens gegen Mitternacht die Musik und die Lichter ausgingen. Darüber hinaus steigert das Feiern im Stillen die ohnehin schon reizvolle Ambivalenz des Tanzes im Wechselschritt zwischen Individualität und Kollektivität. Abgeschottetes Abfeiern unter Kopfhörern geht direkt ins Gehör und bleibt im Gedächtnis.