Durch den Rost gefallen
Uli Hoeneß: Weltklassestürmer, Wurstverkäufer, Steuerhinterzieher
Die Steueraffäre von Uli Hoeneß sorgt für Gesprächsstoff –deutschlandweit, unentwegt. Viele äußern sehr drastisch ihre Meinung über ihn, wissen aber doch nur recht wenig von ihm. Eine Annäherung an die Person hinter dem Konto 4028BEA und eine Rekapitulation der abwechslungsreichen Hoeneß-Vita.
Wer sich Ulrich, genannt „Uli“, Hoeneß nähern will, muss sich vorab die Frage stellen: welchem eigentlich? Denn es gibt nicht nur den „einen Uli Hoeneß“, wie es treue Fans und Bewunderer in der Vergangenheit in der Melodie des Ohrwurm-Klassikers Guantanamera durch die Münchner Arena schallen ließen. Nein, es gibt drei – zumindest sieht das einer so, der es vielleicht wissen könnte, wenn nicht sogar müsste: Uli Hoeneß selbst.
So sagte der 61-Jährige kürzlich im Interview mit der Zeit über seine Ichs: „Einer ist der seriöse, konservative Geschäftsmann, beim FC Bayern, bei unserer Wurstfabrik. Der zweite Uli Hoeneß ist auch privat sehr konservativ [...]. Und dann gibt es da den dritten Uli Hoeneß, der dem Kick nachgejagt ist, der ins große Risiko ging. Vielleicht steckt dahinter auch die Sehnsucht, die Wirklichkeit zu vergessen, auszubrechen.“
Diese Sehnsucht ist an sich nur menschlich. Und doch wirkt sie bei Uli Hoeneß unpassend, unangemessen, ja eigentlich unvorstellbar. Auf den ersten Blick.
Auf den zweiten kann man durchaus Verständnis dafür aufbringen: Der Alltag eines außergewöhnlichen Mannes, der in den vergangenen Jahrzehnten Vieles erreicht und noch mehr erlebt hat, wurde genau das: zu alltäglich, wohl zu langweilig. Und so begab er sich auf die Suche nach einem neuen Abenteuer, das Anfang des Jahrtausends still und leise mit nächtlicher Börsen-Zockerei begann und am 20. April 2013 mit öffentlich gewordener Selbstanzeige wegen eines Nummernkontos in der Schweiz und nicht gezahlter Steuern endete. Aus einem Adrenalinkick wurde ein Albtraum. Und aus einem privaten Hobby ein Politikum, über das nun ganz Deutschland diskutiert.
Das Frühjahr 2013 markiert deshalb eine Zäsur im Leben des Uli Hoeneß, diesem Mann mit mindestens drei Gesichtern. Es ist nicht die erste, aber zumindest ist es die, die ihn am meisten trifft: Er gehöre jetzt nicht mehr dazu, fühle sich auf die „andere Seite der Gesellschaft katapultiert“, konstatierte er im Gespräch mit der Zeit.
Polarisiert hatte er in den vergangenen dreißig Jahren fast ohne Unterbrechung. Einhergehend mit seinem Lebensprojekt, dem FC Bayern München. Für den 61-Jährigen und den Verein gilt gleichermaßen: Beide werden geliebt oder gehasst. Dazwischen gibt es wenig. Doch die Wucht aus Verachtung, Häme und Abwendung im Zuge der Steueraffäre hatte selbst für Hoeneß, an dem Kritik abzuperlen schien wie der Schweiß an seiner hohen Stirn, ungewohnte Ausmaße.
Weltmeisterschaft und schnelle ScheineAufgewachsen in einem katholisch geprägten Elternhaus in Ulm, zog das junge Fußballtalent mit dem damals engelsblonden Haar 1970 nach München: Der damalige Bayern-Trainer Udo Lattek wollte den pfeilschnellen Stürmer unbedingt in seiner Mannschaft haben. Hoeneß wurde gleich in seiner ersten Saison Stammspieler und gewann den DFB-Pokal. Sein erster Titel mit den Roten. In seinen Funktionen als Spieler, später als Manager und Präsident folgten unglaubliche 48 weitere, allein mit den Bayern. Hinzu kamen der Europameistertitel 1972 und der Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 – errungen im Finale gegen die Niederlande in seiner neuen Heimatstadt München.
Mit gerade einmal Mitte zwanzig hatte der Sportler Uli Hoeneß schon nahezu alles erreicht, was in einem Fußballerleben zu erreichen ist - und auch privat sein Glück gefunden: In Person von Susanne, seiner Frau, die er schon zu Schulzeiten kennenlernte und 1973 heiratete. In einem Interview mit der Bunten verbalisierte er einmal die Dankbarkeit, sie an seiner Seite zu haben: „Ich weiß, dass ich das, was ich bin, nie ohne meine Frau geworden wäre, die mir im Hintergrund so viele Dinge abnimmt und die mich so unabhängig macht.“ Unabhängig machte ihn aber nicht nur seine Susi, sondern auch die Scheine in seiner Tasche. Denn bei aller anerzogenen schwäbischen Bodenständigkeit spielte Geld schon immer eine zentrale Rolle in seinem Leben. Wie Der Spiegel schrieb, verkaufte er die mediale Berichterstattung über seine Hochzeit und ließ Touristengruppen bezahlen, um mit ihm am Frühstückstisch plaudern zu dürfen.
Doch dann, am 20. Juni 1976, kam es zu einem ersten Einschnitt in der Hoeneß’schen Glücksseligkeit: Finale um die Europameisterschaft. Deutschland traf auf die Tschechoslowakei, nach 120 Minuten stand es 2:2. In der denkwürdigen Nacht von Belgrad machte der Bayern-Stürmer Bekanntschaft mit dem Gefühl des Scheiterns: Sein Elfmeter landete nicht im Tor, sondern weit dahinter, auf der Tartanbahn. Die Tschechoslowakei wurde Europameister. Der zweite Einschnitt folgte knapp drei Jahre später: Nach Knie-Operationen und Cortison-Kuren musste Hoeneß schweren Herzens sein Karriereende im Alter von nur 27 Jahren bekannt geben.
Bratwürste als Plan BVom Bürostuhl aus baute er als Jung-Manager den finanziell angeschlagenen FC Bayern in den Folgejahren zu einem reichen Verein von Weltruhm auf. Und während er den Club zunächst aus den roten Zahlen führte, kümmerte er sich noch um seinen Plan B zur privaten finanziellen Absicherung – B wie Bratwurst: Das in den Achtzigern mit einem Freund in Nürnberg gegründete Unternehmen für Wurstwaren gehört inzwischen zu den größten in der Bundesrepublik und beliefert die bekanntesten Supermarkt- und Fastfood-Ketten.
Unterbrochen wurde die Phase des Aufbruchs von einem dramatischen Absturz: 1982 überlebt Hoeneß den Unfall einer Propellermaschine – als Einziger von vier Insassen. Bis heute habe er keine Erinnerung an dieses Unglück, bei dem er stark blutüberströmt und unterkühlt von einem Jäger in einem Waldstück bei Hannover aufgefunden wurde.
30 Jahre später ist Hoeneß nicht nur der ehemalige Manager und heutige Präsident eines Weltklubs und Würstchenverkäufer, sondern auch Wertehüter und Wohltäter. Einer, der in Talkshows und Universitäten über Geld und Moral diskutiert (, was nun, wenig verwunderlich, nach seinem Steuervergehen wie ein verspätetes Echo zurückhallt). Einer, der mit Politik-Größen verkehrt, dessen Meinung sich selbst die Bundeskanzlerin anhört. Einer, der defizitäre Vereine finanziell unterstützt, Stiftungen gründet und sich für Zivilcourage einsetzt. Aber auch einer, dessen Fehden mit anderen Bundesliga-Protagonisten legendär geworden sind.
Doch was ist davon nun in der Öffentlichkeit übrig geblieben? Allein der Mann, der dem Kick nachjagte und dabei moralisch versagte.
Uli Hoeneß hat einen Großteil seines Lebens auf der Sonnenseite verbracht. Doch nun hat er sich selbst in den Schatten gestellt.