Wenn die Scheinwerfer erlöschen

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Rainer Werner Fassbinder am Set von „Berlin Alexanderplatz“, Foto: Pete Welsch, CC BY-SA 2.0

Wonach sehnt sich Veronika Voss? Eine Erinnerung an den deutschen Berlinale-Sieger des Jahres 1982.

Erloschene Scheinwerfer, zu Füßen nicht eine einzige Rose, leere Flughäfen, auf denen einzig der Zöllner ein Autogramm verlangt... auf dem Gepäckübergabeformular. Und der rote Teppich? Für immer eingerollt. Das Phänomen gefallener Stars, die versuchen, die letzten Strahlen ihres Ruhms zu erhaschen, faszinierte das Publikum seit jeher – ganz gleich, ob es sich um die fiktive Stummfilmdiva Norma Desmond aus Wilders Sunset Boulevard, die amerikanische Filmcelebrity Lindsay Lohan, oder die tschechische Sängerin Iveta Bartošová handelt. Das Publikum verfolgt in Echtzeit wie sie dem Alkohol oder anderen Süchten erliegen. Muss ein Mensch, der abhängig ist von Ruhm, dessen Mangel wirklich durch andere Abhängigkeiten ersetzen? Oder lässt es sich auch nach dem Ruhm ruhig und würdevoll leben?

Auf einer wahren Geschichte beruht auch die Studie des Falls einer ätherischen Leinwandiva, gedreht Anfang der 1980er Jahre vom deutschen Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Er nannte seinen Film Die Sehnsucht der Veronika Voss und gewann mit ihm 1982 den Goldenen Bären auf der Berlinale.

Die deutsche Greta Garbo

Anfang der 1980er Jahre wollte Fassbinder, dieser hochgelobte Vertreter des Neuen Deutschen Films, die Novelle Kokain des italienischen Journalisten Pitigrilli verfilmen. Das Projekt wollte aber nicht so richtig auf die Beine kommen, einerseits wegen der kontroversen und nicht jugendgerechten Vorlage, andererseits wegen des überbordenden Budgets. Fassbinder stellte sich trotzdem hinter die Kamera und ersetzte das Kokain durch Morphium. Denn er wollte die letzte Etappe im Leben von Veronika Voss beschreiben, eines deutschen Filmstars der 1940er Jahre und damals Geliebte des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels. Der Zuschauer lernt die Filmfigur jedoch erst Mitte der 1960er Jahre kennen, längst schon ein Wrack und abhängig von Tabletten und Morphium.

Fassbinder beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Darstellung des Niedergangs der Nazigeliebten. Die fiktive Figur der Veronika Voss ist nämlich angelehnt an den wahren und nie abschließend aufgeklärten Fall der „deutschen Greta Garbo“. Damit war die real existierende Schauspielerin Sybille Schmitz gemeint, die sich im Jahr 1955 das Leben nahm. Ihr Tod war angeblich kein Zufall. Verstrickt darin war die Ärztin Ursula Moritz, die reiche morphiumsüchtige Patienten manipuliert haben soll. Es hieß, sie habe diese umgebracht, um sich anschließend ihren Besitz zu verschaffen. Verurteilt wurde die Ursula Moritz jedoch nie.

Fassbinder machte daraus einen Kriminalthriller: Der Plot beginnt damit, dass sich der Sportjournalist Robert die vom Regen durchnässte Veronika Voss in einem Waldstück antrifft und sich ihrer annimmt. Obwohl Veronika Starallüren an den Tag legt, erkennt Robert – ebenso wie alle anderen – die ehemalige Celebrity nicht. Veronika ist ein psychisch gestörtes Wrack, die 300 Mark für eine überflüssige Brosche erbettelt, im Restaurant die Keller schikaniert, weil ein zu grelles Licht auf sie scheint, und immer wieder von Schmerzanfällen oder wechselnden Launen geplagt wird. Robert verliebt sich in sie, erkennt aber schnell, dass sie suchtkranke Veronika vollkommen unter dem Einfluss einer sadistischen Ärztin steht, die nur auf Veronikas Reichtum wartet. Robert nimmt den Kampf mit dem korrumpierten medzinischen System und der Ärztin selbst auf, verliert jedoch am Ende...

Auch wenn Die Sehnsucht der Veronika Voss lediglich wie ein Pflaster auf die Wunde des nicht realisierten Projektes Kokain wirken mag, wurde der Film eines der bedeutendsten Werke Fassbinders. Er ergänzte die Filme Die Ehe der Maria Braun und Lola zu Fassbinders loser Trilogie BRD, die das westdeutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit beschreibt – Ein Wunder, von dem längst nicht alle profitierten.

Wie ein Schlafmittel

Die Dekonstruktion der Celebrity, erzählt als Thriller über den Versuch die böswillige Ärztin zu überführen, wird durch die visuelle Form noch verstärkt. Der Schwarzweißfilm setzt auf harte Kontraste. Während die Arztpraxis in einem grellen, klinischen Weiß erstrahlt, ist das Haus Veronikas finster, voller Schatten der mehrärmigen Kerzenleuchter, trotzdem ein sicherer Ort. Es war gerade diese bedeutungsschwere formelle Seite, die auf dem 32. Jahrgang der Berlinale im Jahr 1982 die Kritiker überzeugte. Nach einem Erfolg sah es zunächst gar nicht aus, manche sagten, der Film sei zäh und langweilig, er wirke wie die Schlaftabletten, die Veronika wie Smarties schluckte. Trotzdem holte Fassbinder am Ende den Goldenen Bären.

Und mit ihm die gesamte deutsche Kinematograohie – der Berlinale-Jahrgang vor dem Sieg von Die Sehnsucht der Veronika Voss stand nämlich im Zeichen der Krise der deutschen Kinematographie. Die deutschen Filmemacher beschuldigten den Festivalleiter Moritz de Hadeln des Dilettantismus und forderten seinen Rücktritt. Sie störten sich daran, dass für den Hauptwettbewerb nur ein einziger deutscher Film nominiert war. De Hadeln verteidigte sich mit Verweis auf die mangelnde Qualität der deutschen Filme. Dass die Krise aber schon ein Jahr später endete, beweist nicht nur der Erfolg Fassbinders, sondern auch die Nominierung von fünf deutschen Filmen im Hauptwettbewerb und 90 westdeutschen Projekten, die während des Festivals 1982 gezeigt wurden.

Für Fassbinder selbst war Die Sehnsucht der Veronika Voss das letzte Projekt, das er beenden konnte. Für seine Protagonistin zeigte er Verständnis. „Sie ließ sich zerstören. Vielleicht hat das Ganze auch etwas mit mir zu tun. Sie sagen sich, dass kann Ihnen nicht passieren, aber das Gegenteil ist der Fall. Klar kann es,“ sagte Fassbinder damals in einem Interview. Nur wenige Monate nach seinem Erfolg auf der Berlinale wurde dem 37-Jährigen Fassbinder eine Kombination aus Kokain und Schlaftabletten zum Verhängnis.

Jan Škoda
Übersetzung: Patrick Hamouz

Copyright: Goethe-Institut Prag
Februar 2014