Messe abseits der Masse

Foto: © Matthias MischoFoto: © szim (The Millionaires Club)
Hinterhof statt Glashalle: Mitveranstalterin Anna Haifisch (rechts) auf der Leipziger Comic-Messe „The Millionaires Club“. Foto: © szim (The Millionaires Club)

Ausstellungen gibt es satt in der Messestadt: Mal geht es in Leipzig um Autos, mal um Haus und Garten, mal um Prothesen und Bandagen – und seit Neuestem auch um Comics. Doch Schauplatz von „The Millionaires Club“ waren nicht etwa die imposant verglasten Messehallen, sondern ein gut versteckter Hinterhof.

Auf den ersten Blick gibt es einige Anzeichen, die dafür sprächen, das Comics and Graphics Fest als Kontrast-Veranstaltung zur renommierten Leipziger Buchmesse zu bezeichnen: Da ist der Termin – beide Ausstellungen fanden zeitgleich im März statt. Da ist dieser Name, den die Comic-Clique dem erstmals auf die Beine gestellten Fest gab: „The Millionaires Club“ – das klingt nach Parodie, ja nach Antihaltung einer Künstlergruppe in der als alternativ geltenden Leipziger Südvorstadt. Und dann ist da noch die thematische Überschneidung, die grafische Literatur als Objekt der Begierde – denn auch auf der zweitgrößten Buchmesse Deutschlands gibt es extra einen Bereich für Comics.

Doch vier Tage nach dem Ende der ersten Auflage des Comics and Graphics Festes sitzt Mitveranstalterin Anna Haifisch in einer gemütlich-düsteren Bar. Sie nimmt einen großen Schluck Bier, dazu einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und wischt die so schön zurechtgelegte David-gegen-Goliath-Theorie von der kleinen Alternativveranstaltung im Schatten der kommerziellen Messe mal eben beiseite: „Unser Festival ist nicht als Konkurrenzveranstaltung zur Buchmesse gedacht, sondern eine längst notwendige Ergänzung.“ Wenn Leipzig und seine zahlreichen Besucher eh schon mit Kind und Kegel unterwegs sind, so die Idee, können sie auch mal eben in der Galerie KUB vorbeischauen – zum Comic-Gucken.


400 Kunstinteressierte und zahlreiche Kollektive

Auch wenn zwischen dem Messegelände ganz im Norden der Stadt und der ausgewählten Location für Grafiken und Comics gut zehn Kilometer liegen und Haifisch Angst hatte, „dass nur 20 Leute kommen“: Das Konzept ging voll auf. Vielleicht auch, weil nicht Mangas aus Fernost (und entsprechende Kostüme, Perücken und Kuscheltiere) wie auf der Buchmesse im Mittelpunkt stehen, sondern exklusiv die kreativen Schöpfungen junger Künstler. Gezählt hat niemand, doch groben Schätzungen zufolge fanden etwa 300 bis 400 Kunstinteressierte am Premierenwochenende den Weg in den „Millionaires Club“. Neben der heimischen Gruppe um Anna Haifisch, Max Baitinger, James Turek, Phillip Janta, Marie-Luce, Schaller, Andrea Rausch und Simone Müller präsentierten auch Kollektive aus Köln und Berlin ihre Comics, Drucke und Zeichnungen. Außerdem reisten Künstler aus Frankreich, Kroatien oder Lettland an, um ihr vielfältiges Repertoire auszustellen.

Dass es nun erstmals ein Comic-Festival in Leipzig gab, ist auch Superman zu verdanken. Denn die Leidenschaft für Comics wurde bei den Künstlern durch die Lektüre von Klassikern wie dem blaurot-kostümierten Superhelden geweckt. Etwas später griffen Haifisch, Max Baitinger und James Turek dann selbst zu den Stiften, um die Simpsons nachzuzeichnen. Ein toller Comic – allerdings aus ihrer jugendlichen Perspektive. Was zeichnet heute aus ihrer Sicht als Profis einen guten Comic aus? Die Antwort von Baitinger ist wohl überlegt, obwohl sie zunächst etwas banal klingt: „Man muss ihn einfach mehrfach aufschlagen wollen.“ Turek nickt zustimmend und ergänzt, dass die Qualität der Story eigentlich sogar egal sei, „solange es gut aussieht und gut gezeichnet ist“.

Foto: © szim (The Millionaires Club)
Männer mit Mützen: Mitveranstalter James Turek (rechts) beim Erinnerungsfoto mit Comic-Ikone Chris Ware. Foto: © szim (The Millionaires Club)

Signierstunde einer Zeichner-Legende

Bei Tureks Landsmann Chris Ware stimmt fast immer beides: Der US-Amerikaner ist in der Szene das, was man einen Star nennt. Ein Künstler, der mit seinem Stil und seiner Kreativität Zeichner rund um den Globus prägt. Entsprechend stolz sind die Veranstalter, dass er anlässlich des Comics and Graphics Festes Station in Leipzig machte – ein echter Coup. Fast so, als besuche David Garrett ein Frühlingskonzert der örtlichen Volkshochschule. Ware sorgte beim Fachgespräch über seine Arbeit und einer Signierstunde deshalb für großen Andrang auf der kleinen Messe.

Abgesehen von Autogrammen einer Branchengröße – was bleibt sonst nach der ersten Auflage von „The Millionaires Club“? Die außergewöhnlichen Eindrücke und Begegnungen mit gleich gesinnten Zeichnern wirkten bei den Veranstaltern appetitanregend. Auch wenn die Organisation einen Kraftakt darstellte, der Hunger auf mehr ist groß: Ein weiteres Festival steht schon kollektiv im geistigen Kalender für 2014. Freiberuflichkeit bedeutet für Grafikdesigner und Comickünstler eben auch, sich selbst einen geschmackvollen Präsentierteller zu decken, um gefragt zu bleiben. In einen wahren Club von Millionären à la Donald Trump werden es die Leipziger nie schaffen – und wollen es wohl auch gar nicht: Ein Blatt Papier, ein Stift und sie lassen im Handumdrehen Großes entstehen.


Copyright: Goethe-Institut Prag
April 2013

    The Millionaires Club

    Comics vs. Mangas: Zeichnerin Anna Haifisch beschreibt Mangas „als eine komplett andere Welt“. Für manche stellen japanische Mangas eine eigene Stilrichtung innerhalb des Mediums Comics dar, für andere eine andere Art der grafischen Literatur, die neben dem westlichen bzw. US-amerikanischen Comic als eigenständiges Medium anzusiedeln ist. Unterschiede resultieren auch aus der jeweiligen kulturellen Verwurzelung – etwa in der Darstellung von Emotionen über den Gesichtsausdruck, in der Leserichtung oder in der Aufteilung in Panels, also Einzelbilder innerhalb einer Sequenz.

    Schwarzweiß vs. farbig: eine Frage des Stils, des Geschmacks und der Stimmung der Geschichte des jeweiligen Comics, die stets individuell, von Fall zu Fall neu beantwortet werden muss. Manchmal fällt eine Entscheidung gegen Farbe auch aus Kostengründen: So war es bei den frühen Bänden der berühmten „Lustigen Taschenbücher“ von Disney so, dass zwei Seiten bunt gezeichnet waren, dann wieder zwei Seiten in schwarzweiß – immer im Wechsel. Dies hing damit zusammen, dass der Farbdruck eben sehr teuer war, weshalb erst mit Band 119 komplett auf Farbe umgestellt wurde.

    Text vs. Bild: Max Baitinger drückt diese Beziehung so aus: „Die Worte sind das Gehirn, die Bilder der Körper.“ Und dennoch gibt es Comics, die ohne Gehirn auskommen – und das sogar sehr gut. Ein berühmter Comic ohne Text ist beispielsweise La Linea (Die Linie), gezeichnet von dem italienischen Cartoonisten Osvaldo Cavandoli. James Turek bezeichnet es als große Herausforderung, „ganz ohne Text eine gute Geschichte zu kreieren“. Es bestehe die Gefahr langweiliger Geschichten. Einen Vorteil sieht er jedoch darin, dass bei textlosen Comics die Sprachbarriere wegfällt.

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