Wie ein Spielzeug im Fastfood-Menü

Bio Illusion

Die Verfilmung des berühmten tschechischen Kindercomics Čtyřlístek (Vierblättriges Kleeblatt) leidet unter einem überfrachteten Drehbuch und übertriebenem Product-Placement.

Myšpulín und Bobík. Foto: © Bio Illusion
Der Kater Myšpulín und das Schwein Bobík. Foto: © Bio Illusion

Als 1969 der Kindercomic Čtyřlístek zum ersten Mal erschien, rechnete sein Schöpfer Jaroslav Němeček überhaupt nicht mit einer Fortsetzung. Das Interesse der jungen Leser an den Abenteuern eines Katers (der Erfinder Myšpulín), eines Schweins (Kraftprotz Bobík), einer Hundedame (die Hausfrau Fifinka) und eines Hasen (der Angsthase Pinďa) war aber so groß, dass weitere Folgen geradezu erzwungen wurde. Das Interesse ließ nie nach, auch bei den folgenden Kinder-Generationen nicht – die Abenteuer des ungleichen Tier-Quartetts waren so beliebt, dass die Auflage der Comics in den 80er Jahren bei über 200.000 Heften monatlich lag. Die Geschichten, die sich entweder im fiktiven tschechischen Ort Třeskoprsky oder auf diversen Expeditionen rund um den Erdball abspielen, fanden auch nach der Wende ihre Leser. Čtyřlístek erscheint aktuell 20 Mal im Jahr mit einer Auflage von ungefähr 40.000 Heften. Allerdings geht es heute nicht mehr nur um die Hefte oder Buchausgaben. Jetzt ist auch noch eine Verfilmung hinzugekommen.

Čtyřlístek ist mittlerweile eine kommerzielle Marke, über die zahlreiche Fanartikel vermarktet werden: Schulutensilien, Vitaminbonbons, Figuren, Brettspiele, Regenschirme, Besteck, Tassen und allerlei weitere mögliche und unmögliche Produkte, die das entsprechende Čtyřlístek-Logo schmückt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis auch ein Kinofilm mit den beliebten und vor allem kommerziell erfolgreichen Figuren entsteht. Unter dem Titel Čtyřlístek im Dienste des Königs (Čtyřlístek ve službách krále) hatte er Ende Februar 2013 in den tschechischen Kinos Premiere; bis Mitte April hatten ihn 196.000 Zuschauer gesehen. Ob ihnen der Film gefallen hat, bleibt fraglich.

Čtyřlístek im Dienste des Königs funktioniert nämlich kaum noch wie ein Film – eher wie ein von Werbe-Experten zusammengedrechseltes Produkt, das von der berühmten Marke profitiert und das gleichzeitig als Promo-Video für die Sponsoren der Filmproduktion dient. Und wenn in ein paar Monaten die DVD auf den Markt kommt, wird sie im offiziellen E-Shop neben einem aufblasbaren Vinyl-Planschbecken und einem vierfarbigen Laufrad angeboten werden – und niemandem wird das unangemessen vorkommen.

Sendivoj im Labor. Foto: © Bio Illusion
Sendivoj im Labor. Foto: © Bio Illusion

Der Film mit den vier Kultfiguren ähnelt dem Spielzeug, das man in Fastfood-Ketten zum Kindermenü bekommt. Die Eltern finden es furchtbar, auf die Kinder übt es einen magischen Reiz aus. Und so erbetteln sie es sich, denn alle anderen Kinder haben es ja auch – die Eltern bezahlen. Dabei handelt es sich aber nicht um einen einmaligen Vorgang. Das Spielzeug ist nur ein Puzzleteil in einer ganzen Serie weiterer Spielzeuge, die die Kinder selbstredend auch haben müssen. Im Falle von Čtyřlístek im Dienste des Königs übernimmt das erwähnte Arsenal an Schulutensilien, Spielzeugen und Planschbecken diese Funktion.

Unübersichtliches Durcheinander

Die Geschichte des Films spielt an Fifinkas Geburtstag. Statt einer Feier findet jedoch ein Ausflug zur Prager Burg statt. Im Goldenen Gässchen werden die vier Freunde von einem lebenden Löwen überrascht, der sie zur Grabstätte von Kaiser Rudolf II. führt. Das Grab ist jedoch leer, und der Kaiser lebt! Der wackere Rudolf II. ist nämlich aus der Vergangenheit angereist, um die vier Helden in die Rettung des Königreichs vor Magister Kelley und dem Gespenst Zimozel einzubinden. Dabei spielt auch der legendäre Stein der Weisen – mit zweischneidigen Eigenschaften – eine Rolle, außerdem noch eine neue Eiszeit, der Diebstahl goldener Ziegel… und alles Mögliche andere auch noch.

Ich gebe zu, dass ich bereits nach ungefähr zehn Minuten völlig den Überblick verloren habe, was sich auf der Leinwand abspielt, wer gegen wen verbündet ist und was welche Figur eigentlich für Ziele hat. Ich bin mir aber sicher, dass es nicht daran gelegen hat, dass ich mit meinem neunjährigen Bruder dreimal pinkeln war. Der Film ist für eine Kinderkomödie schlicht und ergreifend extrem unübersichtlich, überfrachtet, kompliziert – es werden gleich mehrere Handlungsstränge eingeführt, und nicht ein einziger zeichnet sich durch besondere Logik oder nachvollziehbare Stringenz aus. Das ist verwunderlich, denn für das Drehbuch sind Hana und Josef Lamka verantwortlich, die schon seit über 20 Jahren am Čtyřlístek zusammenarbeiten und 200 Geschichten des Quartetts geschrieben haben. Es ist ihnen aber nicht gelungen, eine einfache und gute Geschichte für das Kinofilm-Format zu entwickeln. Und darüber hinaus hat der Film kaum Humor.

Fifi mit Pinďa in der Goldenen Gasse in Prag. Foto: © Bio Illusion
Fifi mit Pinďa in der Goldenen Gasse in Prag. Foto: © Bio Illusion

Die schwer nachvollziehbare Handlung wird auch visuell nicht durch die 3D-Animation kompensiert. Diese ist – bei allem Respekt gegenüber der Produktion und den in Tschechien beschränkten (finanziellen) Möglichkeiten – viel zu simpel, relativ unattraktiv und entspricht nicht den aktuellen Standards. Die Produktion des Films musste offenbar auch einige Schwierigkeiten überwinden, die Premiere wurde verschoben. Aber selbst der visuelle Aspekt des Films ist nicht so unangenehm wie das absolut hemmungslose Product-Placement, also die Präsentation bestimmter Marken und Waren innerhalb der Filmhandlung.

Ich habe zwar keine Statistiken zur Verfügung, aber nach meinem Dafürhalten hat der Streifen gleich gegen mehrere Tabus und Konventionen verstoßen. Im Film taucht nämlich als reguläre Nebenfigur (!) das Maskottchen eines tschechischen Joghurt-Herstellers auf: ein Kater, der eben diese Milchprodukte verteilt. Wenn das Quartett vor Feinden flüchtet, wird ihnen ein Bein gestellt, und zwar mit Hilfe von Lollys einer bestimmten Marke. Wenn sie auf den Marktplatz von Třeskoprsky kommen, erscheint im Hintergrund das Logo einer Spielzeug-Franchise-Kette – im vollen Glanz. Man könnte unzählige weitere Beispiele nennen. Ich bin nicht naiv und weiß, dass irgendjemand die Filmproduktion bezahlen muss (zumal wenn der Staat bei der Filmförderung derart fatal versagt), und ich weiß auch, dass Product-Placement ein klassisches Finanzierungsinstrument von Mainstream-Filmen ist. In Čtyřlístek haben wir es jedoch mit einem so offensichtlichen und dreisten Sponsoren-Schaulaufen zu tun, dass einzelne Filmabschnitte locker als Werbespots durchgehen könnten.

Trailer zum Film

Dass in dem Film „keine amerikanischen Zeichentrickmonster“, sondern „traditionelle tschechische Figuren“ vorkommen, ist jedenfalls kein Argument, sich den Film anzusehen. Genauso wenig wie die Behauptung, die Kinder würden „sich auf unterhaltsame Art und Weise in Geschichte weiterbilden.“ Nein, werden sie nicht. Sie werden nicht verstehen, was sich auf der Leinwand abspielt. Sie werden höchstens mal lachen (wenn Bobík rülpst) und nach dem Film den guten böhmischen Joghurt kaufen wollen. Oder wenigstens einen Lolly. Welchen? Na klar, diesen ausländischen mit dem Doppelnamen.

P.S. Mein Bruder hat nicht gelacht, wenn Bobík rülpste. Ich war stolz auf meinen Bruder, viel stolzer als die Eishockeymama, deren Sohn aus zehn Zentimeter Entfernung das leere Tor trifft.

Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012

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