Wo ist hier Europa?
Auf den Wahlplakaten jedenfalls nirgends: Die Parteien machen Wahlkampf, als gäbe es gar kein europäisches Parlament. Stell dir vor, es ist Europawahl und keiner geht hin: Dieses Szenario ist kein Wunschdenken antieuropäischer Parteien, sondern könnte am letzten Maiwochenende bittere Realität werden. Doch Schuld an der Politikverdrossenheit der Bürger tragen auch die europäischen Parteien.
Das Problem: Europäische Parteien gibt es in diesem Sinne gar nicht. Das Europaparlament besteht zwar aus Fraktionen so genannter Europaparteien, mit der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) als den beiden größten. Obwohl beide das Europa, das sie vertreten sollen, im Namen tragen, handelt es sich eher um lose Zusammenschlüsse nationaler Parteien, die auch auf europäischer Ebene allzu oft eine nationalstaatliche Interessenpolitik vertreten.
Dies macht sich auch beim Wahlkampf zur Europawahl bemerkbar. Für die Bürger ist in diesem Wahlkampf – wieder einmal – völlig unersichtlich, dass es um Europa und nicht um ihr jeweiliges Herkunftsland geht. In den Mitgliedstaaten der EU werben die nationalen Parteien, die Mitglied in den europäischen Parteienbündnissen sind, um Stimmen für die Europawahl – und nicht das europäische Bündnis selbst.
Merkel auf dem Wahlplakat – obwohl sie nicht kandidiert
In Deutschland nimmt das absurde Ausmaße an. Denn hier sind auf den Wahlplakaten auch Politiker zu sehen, die überhaupt nicht zur Europawahl antreten. Zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die verfügt zwar über ein hohes Maß an Prominenz, kandidiert aber gar nicht für das Europaparlament. Trotzdem wirbt die CDU mit dem Antlitz der Bundeskanzlerin. Damit führt sie die Wähler in die Irre.
Die Wahl zum Europaparlament ist die einzige Möglichkeit der Mitbestimmung für die EU-Bürger. Ein starkes Europaparlament würde die EU demokratischer und transparenter machen. Dazu bräuchte es erstens eine hohe Wahlbeteiligung und zweitens einen Wahlerfolg der Parteien, die für ein starkes und demokratisches Europa stehen. Dass die Bürger auch den europafreundlichen Parteien nicht glauben, dass sie sich mehr Demokratie in Europa wünschen, ist indes kein Wunder. Denn wer seinen Bürger nicht einmal auf Wahlplakaten verraten will, wen sie eigentlich wählen, wenn sie ihre Stimme abgeben, kann kein Bürgervertrauen erwarten.
Der nicht-europäische Wahlkampf nutzt den rechten Parteien
Damit setzen die demokratischen Parteien das ganze europäische Projekt aufs Spiel. Denn sie spielen den rechten, antidemokratischen Parteien in die Hände, wenn diese Europa als Elitenprojekt denunzieren. Im Wahlkampf erscheinen die europäischen Entscheidungsträger weit weg, im fernen Brüssel. Das ist vor allem deshalb traurig, weil es gar nicht den Tatsachen entspricht. Die großen Parteienbündnisse haben gemeinsame Spitzenkandidaten aufgestellt, darunter den amtierenden Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz, und den ehemaligen Präsidenten der Eurogruppe Jean-Claude Juncker.
Politiker, die auf den Wahllisten der SPE, der EVP, der europäischen Grünen und der Liberalen stehen, wollen in aller Regel ein starkes Europaparlament mit mehr Kontrolle über die bislang so viel stärkeren EU-Institutionen, die Kommission und den EU-Ministerrat. Wer am 25. Mai eine demokratische Partei ins Europaparlament wählt, wählt Transparenz. Bloß schade, dass es den Wählern niemand sagt.